„Höhere Steuern auf Benzin sind Unsinn“

Auch Ölpreise von 150 Dollar je Fass hält Franz Wirl für durchaus realistisch.
Auch Ölpreise von 150 Dollar je Fass hält Franz Wirl für durchaus realistisch. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der aktuelle Vorstoß, angesichts niedriger Ölpreise die Mineralölsteuer zu erhöhen, sei ein strategischer Fehler, sagt der Wiener Ökonom Franz Wirl. Die Produzentenländer wären ihrerseits „gezwungen, den Preis zu erhöhen“.

Die Presse: Die Ölpreise sind seit Jahren extrem niedrig. Ein idealer Zeitpunkt für höhere Steuern auf Benzin und Diesel, sagen Politiker. Haben sie damit Recht?

Franz Wirl: Das ist natürlich absoluter Unsinn. Im Grunde geht es im strategischen Spiel von Produzenten- und Konsumentenländern um eine Frage: Wie wird der Gewinn, der in einem Fass Rohöl steckt, geteilt? Wenn Industriestaaten bei niedrigen Preisen die Steuern erhöhen, zwingen sie die Produzenten am Golf praktisch dazu, den Ölpreis in die Höhe zu treiben. Das haben wir schon in den 1990er-Jahren gesehen.


Deutschland überlegt dennoch, die „Flexisteuer“ einzuführen, die automatische Steuererhöhungen vorsieht, wenn der Ölpreis sinkt. Umgekehrt könnte die Steuer sinken, wenn der Preis steigt.

Das ist genauso falsch. Die Mineralölsteuer als Dämpfung zwischen hohen und niedrigen Ölpreisen zu missbrauchen, ist absurd, weil es dann keine niedrigen Ölpreise mehr gibt. Die Opec hat schon zweimal demonstriert, dass sie eine Antwort hat, wenn die Industrieländer Mineralölsteuern erhöhen wollen. 1992 hat die EU beim UN-Klimagipfel in Rio eine CO2-Steuer von zehn Dollar pro Fass gefordert. Beginnend mit drei Dollar. Darauf haben die Saudis gesagt: Wenn ihr drei Dollar mehr bezahlen wollt, kein Problem. Aber bitte bei uns.


Die Opec hat also den Preis einfach um drei Dollar erhöht?

Genau. Zweites Beispiel: 1985 war Saudiarabien so sauer auf das Opec-Mitglied Nigeria, dass es den Preis abstürzen lassen wollte, um das Land in den Ruin zu treiben. Gleichzeitig war aber Präsidentschaftswahlkampf in den USA, und beide Kandidaten hatten die Idee, bei derart niedrigen Preisen die Steuern um zehn Dollar pro Fass anzuheben. In dem Moment, in dem Saudiarabien das realisiert hat, hat es die eigene Produktion gedrittelt, der Ölpreis war auf dem alten Niveau – und kein Politiker in den USA konnte die zusätzlichen zehn Dollar pro Fass bei seinen Wählern durchsetzen.


Derzeit pumpen die Saudis trotz niedriger Preise ungebremst Öl. Der Plan, damit die US-Frackingindustrie in die Knie zu zwingen, scheint aber nicht aufzugehen.

Ich verstehe gut, was die Saudis machen. Erinnern Sie sich zehn Jahre zurück an die Israel-Invasion in Gaza. Eigentlich war das ein einmaliger Moment für die Golfstaaten, den Preis ansteigen zu lassen, um Druck auf den Westen auszuüben. Aber alle waren ruhig, die Saudis, sogar Ahmadinejad im Iran. Warum? Sie haben alle Angst, dass ein zu hoher Ölpreis die Gans töten könnte, die die goldenen Eier legt. Dazu kommt der Hype rund um die Energiewende. Es ist durchaus rational, dass die Saudis das Geschäft mit dem Öl beschützen, auf dem sie ihr Leben aufbauen. Auch wenn es kostet. Sie müssen die Frackingindustrie angreifen, um den Markt nicht zu verlieren.


Und die Amerikaner haben umgekehrt keine Wahl, als selbst Öl und Gas zu fördern, auch wenn es teurer ist?

Den Zugang der Amerikaner verstehe ich nur über den politischen Umweg. Denn im Moment ist es um ein Vielfaches teurer, Erdgas aus amerikanischem Schiefergestein zu holen, als es einfach zuzukaufen. Wie ist es möglich, dass die Unternehmen nicht abwarten, bis sich die Förderung in den USA wieder besser rechnet? Auf öffentlichem Grund hat Barack Obama dafür gesorgt; er sagt: „Use it or lose it.“ Wer auf öffentlichem Grund eine Förderlizenz hält, ist also dazu verdammt, den Rohstoff aus der Erde zu holen, auch wenn es kein gutes Geschäft ist.


Wer gewinnt dieses Machtspiel ums Öl aus Ihrer Sicht?

Im Moment gewinnt niemand an den niedrigen Ölpreisen. An sich hätten die Industrienationen gute Karten, daraus Profit zu schlagen. Aber das Wirtschaftswachstum und die Nachfrage springen nicht an. Sogar China lässt als Konsument aus. Wie soll man der Bevölkerung erklären, dass man aus strategischen Gründen die Mineralölsteuer erhöhen will, um künftige Preiserhöhungen bei Erdöl zu verhindern?


Warum springt das Wachstum denn nicht an? Sollte der niedrige Ölpreis nicht helfen?

Der amerikanische Ökonom Robert Gordon hat in seinem jüngsten Buch ein interessantes Gedankenexperiment zu dem Thema angestellt. Er stellt uns vor die Wahl: Verzichten wir lieber auf all die Innovationen der letzten 20 Jahre – auf das Internet, Handys, Tablets, alles. Oder verzichten wir lieber auf die Erfindungen um das Jahr 1900 – also auf die Wassertoilette, den elektrischen Strom, das Auto? Er sagt, die Killerinnovationen rund um 1900 waren viel wichtiger als das, was heute erfunden wird. Solange wir nicht so etwas sehen wie damals, werden auch die alten Wachstumsraten nicht zurückkommen. Die Wachstumsperiode, die wir hatten, ist im historischen Kontext eine extreme Ausnahme.


Werden wir noch einmal Ölpreise um 150 Dollar sehen?

Temporär ist das immer möglich. Als langfristige Strategie in nächsten 15 Jahren nicht. Man darf nicht vergessen, dass die Energienachfrage generell träge ist. Jeder muss kurzfristig an seinem Auto und an seiner Heizung festhalten. Und bei jeder Knappheit auf der Angebotsseite beginnt der Streit unter den Konsumenten, wer nun verzichten muss. Dann kann der Ölpreis auch wieder auf 150 Dollar steigen.


Aber ändert sich diese Abhängigkeit von Erdöl nicht gerade? Die Erneuerbaren sind trotz des Ölpreisverfalls auf dem Vormarsch.

Die Erneuerbaren sind aus meiner Sicht nur ein Hype, da sie eine zu geringe Energiedichte haben. Sie sind nur in Form von Strom sinnvoll transportierbar. Aber der Anteil des Stroms am gesamten Energiemix ist sehr gering.


Die Bedeutung des Stroms steigt aber ständig.

Um in Österreich die Energieversorgung auf Strom umzustellen, bräuchten wir drei- bis viermal so viele Kraftwerke. Wollen Sie das mit Windrädern und PV-Anlagen machen? Das geht sich nicht aus.


Aber etwas ändert sich doch, wenn selbst die Saudis verkünden, dass sie mittelfristig nicht von Öl abhängig sein wollen.

Das ist nicht mehr als PR. Denken Sie nur an BP. Das stand einmal für British Petrol. Dann hat die Firma verkündet: „So heißen wir nicht mehr. BP steht jetzt für Beyond Petroleum (mehr als nur Öl, Anm.). Und was ist in 20 Jahren „Beyond Petroleum“ passiert? Eben.

Zur Person

Franz Wirl (*1951) ist in Österreich einer der profundesten Kenner der Energieszene. Nach dem Studium (Wirtschafts- und Planungsmathematik) hat er sechs Jahre im Herzen des Ölkartells Opec verbracht. 1983 startete Wirl seine akademische Karriere. Seit 16 Jahren hat er den Lehrstuhl für Industrie, Energie und Umwelt an der Universität Wien inne. Franz Wirl wurde mehrfach zum forschungsstärksten Betriebswirt im deutschsprachigen Raum gekürt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2016)

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