Wie viele Arbeitslose sind unwillig?

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Vor einem Monat riefen die Wirtschaftskammern in Tirol und Oberösterreich die Firmen auf, arbeitsunwillige Arbeitslose zu melden. Doch bis jetzt gibt es kaum Meldungen.

Wien. Die vor einem Monat gestartete Aktion scharf der Wirtschaftskammern in Tirol und Oberösterreich sorgte für Aufregung. Konkret forderten die Kammern die Unternehmen auf, arbeitsunwillige Arbeitslose zu melden. Die Arbeiterkammer zeigte sich darüber empört und sprach von einer Vernaderungskampagne. Doch bis jetzt sind nur wenige Firmen dem Aufruf gefolgt. Ein Sprecher der Wirtschaftskammer Tirol sagte am Montag zur „Presse“, dass zwar viele Unternehmen die Aktion begrüßen. Doch bisher wurde kein einziger konkreter Fall gemeldet. Bei der Wirtschaftskammer Oberösterreich heißt es, dass es wöchentlich mehrere Fälle gibt. Doch eine konkrete Zahl wollen die Oberösterreicher nicht nennen.

Hintergrund der Aktion ist, dass viele Firmen trotz hoher Arbeitslosigkeit keine geeigneten Mitarbeiter finden. So gab es zuletzt beim Arbeitsmarktservice (AMS) rund 43.800 gemeldete offene Stellen. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 40,8 Prozent.

Angst vor Unannehmlichkeiten

Laut Angaben der Wirtschaftskammer möchte nicht jeder Arbeitslose tatsächlich arbeiten. Die Kammer wolle sich nicht damit abfinden, „dass einzelne Arbeitslose das System ausnützen, grund- beziehungsweise sanktionslos gute Jobs ablehnen und lieber im Status der Arbeitslosigkeit verbleiben“, erklärt die Wirtschaftskammer in Kufstein. Im Bezirk Kufstein gab es zuletzt mehr als 700 offene Stellen, aber gleichzeitig über 2000 Arbeitslose. Doch warum machen dann kaum Firmen bei der Aktion der Wirtschaftskammern mit? Möglicherweise befürchten sie Unannehmlichkeiten.

Keine gute Erfahrungen machte etwa Sylvia Sima, Geschäftsführerin einer Marketingagentur. Sie erzählt, was passiert ist, nachdem sie eine arbeitsunwillige Arbeitslose gemeldet hat. Sima hate einen Job zu vergeben. Das AMS vermittelte eine 56-jährige arbeitslose Dame. „Wir hatten Interesse, denn die Bewerbungsunterlagen klangen vielsprechend“, sagt Sima. Doch die Dame habe nicht einmal Zeit für ein persönliches Gespräch gehabt. Sie habe Sima angerufen, doch sie als Geschäftsführerin sei nicht sofort erreichbar gewesen. Dann habe die Dame per E-Mail eine fadenscheinige Absage geschrieben. „Ich wollte dieser Frau eine Chance geben“, so Sima. Für sie seien auch ältere Arbeitnehmerinnen interessant. Denn diese Menschen hätten Lebenserfahrung.

Die Geschäftsführerin meldete dem AMS das Desinteresse der Dame und dachte, die Sache sei damit erledigt. Doch es kam anders. Sieben Monate später erhielt Sima eine Vorladung zum Bundesverwaltungsgericht. Denn die Arbeitslose hatte das AMS geklagt, da die Bezüge aufgrund der Meldung eingestellt wurden. „Toll habe ich mich bei diesem Gerichtsvormittag nicht gefühlt, eher als Angeklagte“, erzählt Sima. Vor Gericht sei auch ein Vertreter der Arbeiterkammer anwesend gewesen. Dieser habe sie, so die Geschäftsführerin, „verhört“.

Das Ganze habe sie sechs Stunden Arbeitszeit (inklusive An- und Abreise) gekostet. Sima ist froh, dass die Kommunikation mit der Arbeitslosen schriftlich per E-Mail stattgefunden habe. Was beim Gerichtsverfahren herausgekommen ist, weiß sie nicht: „Ich war froh, dass ich weg war vom Gericht und wieder meiner Arbeit nachgehen konnte.“

Bei der Wirtschaftskammer heißt es dazu, man nehme den Vorfall zum Anlass, um Firmen bei Bedarf zu unterstützen. Daher sei es wichtig, dass Unternehmen, die arbeitsunwillige Arbeitslose melden, der Wirtschaftskammer eine Kopie des Schriftverkehrs mit dem AMS mailen.

Tausende Missbrauchsfälle

Laut Auskunft des AMS gab es im Vorjahr 14.485 Sanktionen bei Missbrauchsfällen (siehe Grafik). Davon entfielen 14.260 Fälle auf Paragraf zehn des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Hier wurde bei Verweigerung beziehungsweise Vereitelung einer Arbeitsaufnahme oder Schulungsmaßnahme das Arbeitslosengeld beziehungsweise die Notstandshilfe für sechs oder acht Wochen gesperrt. Bei gänzlicher Arbeitsunwilligkeit (Paragraf zehn des Gesetzes) kann das Geld ganz gestrichen werden. Das kam 2015 in 225 Fällen vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2016)

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