Wifo-Chef Aiginger: Ein Pragmatiker mit Visionen geht

PK WIFO UND IHS ´KONJUNKTUR 2016 UND 2017´ SOMMERPROGNOSE: AIGINGER / HOFER
PK WIFO UND IHS ´KONJUNKTUR 2016 UND 2017´ SOMMERPROGNOSE: AIGINGER / HOFER(c) APA/HANS PUNZ
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Nach 45 Jahren im Haus verlässt Karl Aiginger das Wirtschaftsforschungsinstitut. Kaum ein Ökonom der letzten Jahre prägte die Debatte im Land stärker als der scheidende Wifo-Chef.

Wien. Flüchtlingskrise, Arbeitslosigkeit, Maschinensteuer oder die Legalisierung von Marihuana. Es gibt kaum ein Thema, zu dem Karl Aiginger in den letzten Jahrzehnten um eine Meinung verlegen war. Für Journalisten war der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, der heute, Donnerstag, von Werner Badelt abgelöst wird, eine Idealbesetzung. Elf Jahre ist der Industrieökonom an der Spitze des Instituts gestanden, in dem er zuvor schon 34 Jahre lang gearbeitet hat.

An Prognosen und Forderungen aus seiner Zeit mangelt es nicht. Aber was waren sie wert? „Die Presse“ hat das Archiv durchstöbert und seine Voraussagen mit der Realität verglichen. Kurz vor der Finanzkrise griff er, wie die gesamte Ökonomenkaste, kräftig daneben. Die meiste Zeit über hatte er seine Karten aber ganz gut gelegt.

Kindergartenpflicht für alle

Das heißt zwar nicht, dass er das Wirtschaftswachstum je verlässlich auf einen Zehntelprozentpunkt genau hätte vorhersagen können. Das konnte er, wie alle anderen Ökonomen, nicht. Sein Zugang zu diesem nur scheinbar systemischen Fehler der Wirtschaftswissenschaften war pragmatisch: Alle Prognosen sind wertvoll, ist er überzeugt. Weil sie nämlich immer noch richtiger sind als die Vorurteile, die die Menschen sonst über die Zukunft hätten.

In der medialen Doppelconference mit dem Chef des Instituts für Höhere Studien war Aiginger meist die Rolle des „Linken“ zugedacht. Wirklich anfreunden konnte und wollte sich der erklärte Bürgerliche damit nie. So lieferte er sich schon 2006 in Zeiten der Hochkonjunktur einen Wettstreit mit IHS-Chef Bernhard Felderer, wer bei der Regierung mit schärferen Worten die Ausgabenbremse und sinkende Steuern einmahnen durfte.

Auch die Probleme, die mit der steigenden Zahl an Migranten auf Österreich zukommen, hat Aiginger früh erkannt: 2006 hat er gegen die herrschende Meinung ein verpflichtendes Kindergartenjahr für alle gefordert. Nur so könne gesichert werden, dass Volksschulkinder Deutsch können, was ihre späteren Chancen auf einen Job deutlich steigert. Der damalige SPÖ-Kanzler, Alfred Gusenbauer, war strikt dagegen. Heute ist das verpflichtende Kindergartenjahr selbstverständlich. Diskutiert wird nur noch, ob es nicht auch ein zweites geben sollte.

Und auch wenn das Wifo den Ausbruch der Finanzkrise im September 2008 nicht hatte kommen sehen, reagierte das Haus danach doch schnell. Bereits im Oktober erkannte Aiginger in der beginnenden Krise die „größte Herausforderung unserer Generation“. Die Regierung konnte reagieren, und Österreich überstand den ersten tiefen Einschnitt halbwegs unbeschadet.

Arbeiten statt Autofahren

Weniger Erfolg hatte Karl Aiginger mit seinen Vorschlägen zu einer ökologischen Steuerreform. Ginge es nach ihm, würden Arbeitnehmer heute viel weniger Steuern und Sozialversicherungsabgaben zahlen. Dafür wäre Autofahren, Rauchen oder Biertrinken deutlich teurer. Die Benzinpreise sollten „jährlich angehoben werden“, forderte er – vergebens. „Vorschläge, die besser sind, aber auch komplizierter, werden von der Politik nicht angenommen. Man könnte mit einem kleineren Defizit ein viel höheres Wachstum erzeugen“, sagte er im Vorjahr zur „Presse“. „Wenn wir durch die Ausgaben die Strukturen verbessern, statt den Koralmtunnel zu bauen und eine vierfache Bürokratie am Leben zu erhalten.“

Nicht nur deshalb blickte der Ökonom zuletzt vermehrt über Österreichs Grenzen hinaus. Er holte große Forschungsprojekte der EU zum Wifo und machte das Institut damit ein Stück weit unabhängig von der Regierung, die traditionell der größte Geldgeber war.

Europa wird Karl Aiginger auch in Zukunft nicht loslassen. Neben seiner Lehrtätigkeit an der WU steigt er bei der Querdenkerplattform Wien Europa ein. Nur zu Österreich will der frühere Wifo-Chef eine Weile nichts sagen, lässt er ausrichten. Aber keine Sorge: Die Gesprächsthemen werden ihm so schnell nicht ausgehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2016)

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