Wie man ein Steuerbetrüger wird

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SymbolbildDie Presse (Michaela Bruckberger)
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EU-Kommission und heimische Politiker glauben, dass die Österreicher jährlich 2,88 Milliarden Euro Umsatzsteuer hinterziehen. Vieles deutet darauf hin, dass diese Rechnung falsch ist.

Es steht also wieder einmal fest: Die Menschen sind böse, vor allem die Unternehmer. Die EU-Kommission veröffentlichte vor wenigen Tagen die Hitparade der Länder mit den fleißigsten Steuerhinterziehern. Die Österreicher zählen zwar nicht dazu. Aber immerhin seien dem heimischen Fiskus im Jahr 2014 2,88 Milliarden Euro an Umsatzsteuer entgangen. Das sind etwas mehr als zehn Prozent des gesamten Umsatzsteueraufkommens.

Österreichs Steuereintreiber sind zwar bei Weitem nicht so arm dran wie ihre Kollegen in Rumänien, denen 38Prozent der Mehrwertsteuer durch die Finger schlüpfen. Wir könnten uns aber eine Scheibe von der Steuermoral der Skandinavier abschneiden, heißt es unisono. In Schweden macht die Mehrwertsteuerlücke gerade einmal 1,2 Prozent aus.

Dass hierzulande der Steuerbetrug fröhliche Urständ feiert, dieses Gefühl hat man ja schon seit der jüngsten Steuerreform. Damals wurde bekanntlich die Lohnsteuer adaptiert. Zur Gegenfinanzierung griff Finanzminister Hans Jörg Schelling zur Registrierkassa. Die Registrierkassenpflicht gilt mittlerweile auch für Kleinstunternehmer. Immerhin soll sie 900 Millionen Euro in die Staatskasse spülen. Im Finanzministerium ist man sehr zuversichtlich, dass die Rechnung aufgehen wird.

Diesen Optimismus teilen allerdings nicht alle. Unter Steuerexperten tobt nämlich seit geraumer Zeit ein ziemlich harsches Gerücht. „Die Interpretation der Umsatzsteuerlücke in Österreich ist vermutlich ein großer Holler“, sagt der renommierte Steuerberater Gottfried Schellmann. Er ist nicht allein mit seinen Bedenken. Erst im Mai kam ein Absolvent der Fachhochschule FH Campus Wien in seiner Masterarbeit ebenfalls zu dem Ergebnis. „Die Qualität der Mehrwertsteuerlückenschätzung hängt sehr stark von der Genauigkeit und Vollständigkeit der von den Mitgliedstaaten übermittelten Daten ab“, heißt es da einerseits. Andererseits könne man nicht automatisch davon ausgehen, dass alle „Steuerausfälle die Folge von Betrug und Hinterziehung, Konkursen, Insolvenzen und Misswirtschaft“ sind. Auch wenn die Experten in Brüssel vermutlich diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen haben: Es gibt auch Staaten, die selbst dafür sorgen, dass weniger Umsatzsteuer gezahlt wird. Die also selbst einen Großteil ihrer Steuerlücke zu verantworten haben. Willkommen in Österreich.


Stiller Finanzausgleich. Die Geschichte der staatlich verordneten und erwünschten „Steuerhinterziehung“ beginnt hierzulande in den 1970er-Jahren unter Bruno Kreisky. Damals hat man eine Konstruktion geschaffen, die vor allem dem sozialen Wohnbau zugutekommt. Jeder sechste Österreicher lebt in einer von Gemeinnützigen errichteten Wohnung. Die größten Bauherren in diesem Land sind bekanntlich die Bundesländer. Allein die Stadt Wien verfügt über knapp eine Viertelmillion Gemeindewohnungen.

Die öffentliche Hand schafft günstigen Wohnraum und besteuert diesen auch niedriger. Für Mieten gilt nämlich der niedrigere Steuersatz von zehn Prozent. Andererseits dürfen sich die Bauherren den vollen Vorsteuerabzug von 20 Prozent genehmigen. Der Staat verzichtet also seit mehr als 40 Jahren auf sehr viel Geld. „Es handelt sich um einen stillen Finanzausgleich“, sagt Schellmann – schließlich seien vor allem die Länder Nutznießer dieser Regelung.

Das Dumme an der Sache ist nur: Während Bruno Kreisky genau gewusst hat, warum er weniger Mehrwertsteuer eingenommen hat, scheint der stille Finanzausgleich bei den heutigen Politikern längst in Vergessenheit geraten zu sein. Dabei musste Österreich 1995 bei den EU-Beitrittsgesprächen diese Sonderregelung erst mühsam verhandeln.

Und heute? Heute sucht der vergessliche Staat die Schuld für die Steuerlücke bei anderen: Es sind – wieder einmal – die bösen Unternehmer, die den Staat nach Strich und Faden hintergehen und Steuern hinterziehen.

Steuerbetrug ist nur halb so groß. Stellt sich am Ende noch die Frage: Um wie viel Geld „betrügt“ sich Vater Staat – mittlerweile unbewusst – selbst? Steuerberater Schellmann wagt eine Prognose: Er kramte in den Statistiken der Bauwirtschaft und kam für das Jahr 2013 auf einen Vorsteuerabzug von mindestens zwei Milliarden Euro. Ziehe man davon die Umsatzsteuer ab, die von den rund 1,5 Millionen Haushalten in Mietwohnungen entrichtet wurden, so bleibe für den Staat unter dem Strich ein sattes Minus von 1,1 bis 1,3 Milliarden Euro, konstatiert Schellmann.

Mit anderen Worten: Der Staat verzichtet laut diesen Berechnungen freiwillig auf bis zu 1,3MilliardenEuro Umsatzsteuer. Er ist somit also für fast die Hälfte seiner 2,88 Milliarden-Euro-Umsatzlücke selbst verantwortlich.

Aber was heißt das nun für unseren Fiskus und die vergangene Steuerreform? Die gute Nachricht lautet: Die Steuermoral in diesem Land ist viel höher, als viele Politiker glauben wollen. Sie ist nahezu so gut wie in den skandinavischen Ländern.

Die schlechte Nachricht lautet: Selbst wenn Finanzminister Schelling die heilige Inquisition zum Steuereintreiben ausschickt – sie wird bei den vermeintlich steuersündigen Unternehmen nicht so viel finden wie erwartet. Die Sünden zuerst bei sich selbst suchen, das gilt wohl auch für Vater Staat. Vor allem, wenn es sich um Steuersünden handelt.

Steuer

160 Mrd. Euro an Umsatzsteuer wurden im Jahr 2014 in der EU nicht abgeführt. In absoluten Zahlen geht dem italienischen Fiskus das meiste Geld durch die Lappen: Der italienische Staat nimmt um 36,9 Milliarden Euro weniger ein, als er eigentlich sollte.

2,88 Mrd. Euro an Umsatzsteuer gingen 2014 in Österreich „verloren“. Dass dieser Fehlbetrag vor allem auf das Konto von Steuerhinterziehern geht, scheint nicht zu stimmen. Der Staat verzichtet beim sozialen Wohnbau freiwillig auf mehr als eine Steuermilliarde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2016)

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