Kern in der Ceta-Zwickmühle

Bundeskanzler Christian Kern.
Bundeskanzler Christian Kern.(c) AFP
  • Drucken

Für den Bundeskanzler gibt es drei Optionen: Er beendet wegen des Vertrags mit Kanada die Koalition, scheitert völlig oder schafft einen Kompromiss, der parteiinterne Kritiker besänftigt.

Wien/New York. SPÖ-Chef Christian Kern hat die Parteimitglieder befragen lassen – und das erwartbare Ergebnis geerntet: 92 Prozent haben sich gegen das Handelsabkommen mit Kanada ausgesprochen, wenn darin Schiedsverfahren gegen Staaten enthalten sind. 88 Prozent sind dagegen, dass es noch vor der Ratifizierung durch die Parlamente vorläufig in Kraft gesetzt wird. Und 98 Prozent sind gegen eine Senkung europäischer Qualitätsstandards.

Trotz eher niedriger Beteiligung – 14.387 Parteimitglieder, das sind 7,5 Prozent, machten bei der Internet-Umfrage mit – hat sich die SPÖ damit selbst unter Zugzwang gesetzt: Eine Zustimmung zu Ceta ist nun nicht mehr so einfach möglich. Eine weltanschaulich recht breite Allianz aus Parteijugend, „Kronen Zeitung“ und den Oppositionsparteien FPÖ und Grüne fordert den Bundeskanzler nun auf, Nägel mit Köpfen zu machen und das Freihandelsabkommen abzublasen.

Anders der Koalitionspartner ÖVP: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner bezeichnet es als „schwere Belastung für die Koalition“, sollte das Handelsabkommen nicht zustande kommen. Mit dem Abkommen stehe auch die handelspolitische Reputation Österreichs auf dem Spiel, so Mitterlehner, der als Wirtschaftsminister in der Regierung auch fachlich für das Abkommen zuständig ist. Es wäre „wider alle Vernunft“, nicht zuzustimmen, assistiert Klubchef Reinhold Lopatka. Und: Österreich müsse aufpassen, dass es nicht in eine Situation wie Ungarn kommt und sich außerhalb die Gemeinschaft stellt, so Lopatka zur „Presse“.

Mit seiner doch etwas populistisch motivierten Mitgliederbefragung hat sich Kern selbst in die Zwickmühle gebracht: Er kann jetzt die Erwartungen der Ceta-Gegner enttäuschen oder eine schwere Koalitionskrise auslösen. Die Szenarien im Detail:

1 Absprung in Neuwahlen

Niemand will derzeit das Wort Neuwahlen in den Mund nehmen. Faktum ist aber: Das Koalitionsklima hat sich seit dem Wechsel von Werner Faymann zu Christian Kern nicht verbessert – im Gegenteil. Mit dem neuen SPÖ-Chef sind die ideologischen Gräben noch tiefer aufgerissen. Kerns Forderungen nach einer Wertschöpfungsabgabe und vermehrten staatlichen Investitionen haben die ÖVP gegen ihn aufgebracht. Erfolge in der Regierungsarbeit sind dagegen bisher eher spärlich. Geht das so weiter, könnte durchaus der Wunsch nach einem Absprung aus der Koalition entstehen. Fraglich ist allerdings, ob dies mit dem Freihandelsabkommen Ceta argumentierbar wäre. Das weitaus umstrittenere EU-Abkommen TTIP mit den USA wäre dafür eher geeignet – das befindet sich allerdings immer noch im Verhandlungsstadium. Und auch der Zeitpunkt wäre vor der Bundespräsidentenwahl nicht ganz ideal.

2 Mit fliegenden Fahnen untergehen

Kern hat angekündigt, dass er möglicherweise „mit fliegenden Fahnen untergehen“ könnte. Denn die Möglichkeiten, Ceta zu verhindern, sind beschränkt. Nach derzeitigem Fahrplan soll der EU-Rat am 18. Oktober das Abkommen beschließen. Davor muss der Ministerrat das Abstimmungsverhalten Österreichs einstimmig festlegen. Blockieren kann die Bundesregierung Ceta im Rat der EU sowieso nicht, denn die Entscheidung fällt mit qualifizierter Mehrheit, und Österreich stünde mit einer Ablehnung derzeit ziemlich allein da. Selbst Deutschlands Wirtschaftsminister und SPD-Chef, Sigmar Gabriel, hat für eine Zustimmung seine Partei hinter sich gebracht. Am 27. Oktober soll das Abkommen dann unterzeichnet werden. Kern hat in New York erklärt, notfalls die Unterschrift zu verweigern und es auch auf einen Eklat mit der EU ankommen lassen zu wollen. Dies ist möglich, weil Repräsentanten aller Regierungen dem Abkommen zustimmen müssen, da es auch in nationale Kompetenzen eingreift. Laut Vertretern der EU-Kommission kann sich Kern von einem ÖVP-Minister vertreten lassen. Die SPÖ hätte dann noch immer die Möglichkeit, das Abkommen bei der Ratifizierung im Nationalrat zu verhindern. Problematisch ist, dass die EU-Partner Ceta schon vorher vorläufig in Kraft setzen wollen – zumindest jene Teile, die nicht in die nationale Kompetenz fallen, wie die Aufhebung von Zöllen.

3 Ein Kompromiss

Die wahrscheinlichste Variante ist ein Kompromiss. Kern will der kanadischen Regierung eine bindende Klarstellung abringen, um die österreichischen Bedenken gegen Ceta auszuräumen. Er setzt damit auf einen Mechanismus, der freilich schon in Gang ist. Tatsächlich dürften die Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll zu Ceta schon weit gediehen sein. Die für Handel zuständige EU-Kommisssarin, Cecilia Malmström, und die kanadische Handelsministerin, Chrystia Freeland, haben bereits über Eckpunkte beraten. Aus österreichischer Sicht soll mit dem Protokoll klargestellt werden, dass die öffentliche Daseinsvorsorge (z. B. Wasser, Gesundheit etc.) vom Abkommen nicht betroffen sein wird und es hier auch zu keinen aufgezwungenen Privatisierungen kommen darf. Außerdem soll nochmals festgehalten werden, dass die für Ceta vorgesehenen Schiedsgerichte unabhängige Entscheidungen gewährleisten. Schon jetzt ist im Abkommen vorgesehen, dass die Schiedsgerichte legitime öffentliche Interessen eines Staates nicht beeinflussen dürfen. Auch der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel fordert eine solche Klarstellung mit ähnlichem Inhalt. Kern will im Gegensatz zu Gabriel aber erreichen, dass sie vor der Unterzeichnung des Vertrags am 27. Oktober vorliegt. Nicht gelingen dürfte, wie es Teile der SPÖ fordern, die Schiedsgerichte völlig abzuschaffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Leitartikel

Die Anti-EU-Allianz ist wieder auferstanden

Und diesmal reden wir nicht (nur) von den Rechtspopulisten. Sondern von jenen Kräften links der Mitte, die gegen Ceta und TTIP kampagnisieren.
Blick auf die Regierungsmitglieder im Nationalrat
Österreich

Ceta-Befragung: "Europa wäre gut beraten, wenn..."

"No-na-Fragen" oder doch Nachverhandeln? Nach der SPÖ-Befragung zum umstrittenen Abkommen sind sich Rot und Schwarz weiter uneins.
Symbolbild
Österreich

Befragung: SPÖ-Mitglieder lehnen Ceta (vorläufig) ab

88 Prozent der teilnehmenden Parteimitglieder stimmten - "wie vermutet" - gegen die vorläufige Anwendung des Handelsabkommen auf EU-Ebene.
Europa

Volksbegehren gegen TTIP und Ceta im Jänner

Sechs SPÖ-Bürgermeister beantragten Protestvotum und hoffen auf eine halbe Million Unterschriften.
Symbolbild
Österreich

SPÖ-Mitglieder stimmten über Freihandelsabkommen ab

Die Ergebnisse werden ausgewertet. Morgen trifft Bundeskanzler Kern auf Kanadas Premier Trudeau, um mit ihm über Ceta zu debattieren.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.