Die kalte Progression nagt an den Lohnerhöhungen. Ein automatischer Ausgleich würde aber Besserverdiener bevorzugen, so eine WU-Studie. Dieser Effekt fällt allerdings nur gering aus.
Wien. Minus 0,1 Prozent bei den Brutto- und minus 0,2 Prozent bei den Nettolöhnen. So lautet die Reallohnprognose des Wifo für das Jahr 2017. Grund für das Sinken der Reallöhne sei einerseits die Inflation – und andererseits die kalte Progression. Letztere sorgt bekanntlich ja dafür, dass Arbeitnehmer nach der zum Inflationsausgleich durchgeführten jährlichen Lohnrunde mit einem Teil ihres Gehaltes in eine höhere Progressionsstufe fallen und daher nach Abzug der Inflation sogar weniger im Geldbörsel haben als zuvor.
Vor allem Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) fordert daher, dass die kalte Progression abgeschafft werden soll. Ihm schwebt ein automatisches Anpassen der Progressionsstufen vor, sobald die Inflation kumuliert fünf Prozent ausmacht. Der Koalitionspartner SPÖ sieht einen Automatismus aber skeptisch und möchte lieber beim bestehenden System bleiben, bei dem die kalte Progression von der Regierung per Steuerreform ausgeglichen wird. Dies soll künftig geschehen, sobald die Fünf-Prozent-Hürde überschritten worden ist. Die Politik könne dadurch weiterhin steuernd eingreifen, so das Argument. Zudem dürfte die SPÖ aber auch nicht darauf verzichten wollen, den Wählern entlastende Steuerreformen zu präsentieren.
Mitten in diese Diskussion zwischen den beiden Regierungsparteien platzte nun die WU mit einer Studie, die die Effekte einer Kalten-Progression-Automatik untersucht hat. Das Ergebnis: Ein automatische Angleich der Progressionsstufen nach der durchschnittlichen Inflation würde Besserverdiener tendenziell bevorzugen und überkompensieren. Die Mitte der Einkommenspyramide würde hingegen weniger entlastet werden, als zum Ausgleich der kalten Progression eigentlich notwendig wäre.
Grund dafür sei, dass die durchschnittliche Inflation die reale Teuerung für die einzelnen Einkommensgruppen nicht korrekt darstellen würde. Gerade untere Einkommensschichten müssten größere Anteile ihres Einkommens für Lebensmittel, Wohnen oder Energie ausgeben – Bereiche, bei denen die Teuerung im Untersuchungszeitraum 2009 bis 2015 über dem Durchschnitt lag. Besserverdiener könnten hingegen mehr für Freizeit und Mobilität aufwenden. In diesen Bereichen sei die Inflation jedoch unterdurchschnittlich stark ausgefallen.
Wird die kalte Progression nun anhand der durchschnittlichen Inflationsrate ausgeglichen, kommt es zu einer Verschiebung der Steuerlast von höheren zu niedrigeren Einkommensschichten. Profitieren würden Einkommen, die höher als der Median sind (für die untersten Einkommensbezieher ist das Thema neutral, weil diese von der kalten Progression gar nicht betroffen sind, da sie keine Steuer zahlen). Laut Statistik Austria waren das im Vorjahr 25.767 Euro brutto für unselbstständig Erwerbstätige. Am stärksten profitieren würden die obersten 20 Prozent der Einkommenspyramide, die allerdings auch für 80 Prozent des gesamten Lohnsteuereinkommens sorgen.
Für Einzelnen kaum zu spüren
Diese würden zum Teil auf eine Überkompensation von 0,15 Prozent des Durchschnittsteuersatzes kommen – also eine reale Steuersenkung erhalten. Für den Zeitraum zwischen den jüngsten beiden Steuerreformen 2009 und 2015 wäre dies in Summe eine Entlastung von 200 bis 700 Mio. Euro, so die Studie. Im Gegenzug würden vor allem Einkommen knapp unterhalb der Mitte stärker belastet werden – weil die kalte Progression nicht vollständig ausgeglichen wird. Dieser Effekt würde bis zu 0,1 Prozentpunkte des Durchschnittsteuersatzes betragen. Für den Einzelnen sind diese Effekte jedoch wohl nur gering zu spüren. So liegt der Durchschnittsteuersatz beim Medianeinkommen bereits bei 22,1 Prozent und steigt bei höheren Einkommen auf knapp unter 50 Prozent an.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2016)