Firmen verlassen Wiener Börse

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mit RHI verlässt ein weiteres Börse-Urgestein den Kurszettel, bei Raiffeisen Bank International wird der Streubesitz verringert. Der heimische Handelsplatz leidet unter konstanter Ausdünnung.

Wien. Die Aktie war bisher ein Fixstern auf dem heimischen Kapitalmarkt. Nur die OMV, der Verbund und der Ziegelkonzern Wienerberger sind ebenfalls von Anfang an Mitglied im heimischen Leitindex ATX. Doch für die RHI wird es das nach 25 Jahren bald gewesen sein. In der Nacht auf Donnerstag gab der Hersteller von feuerfesten Produkten für die Stahl- und Zementindustrie bekannt, den brasilianischen Konkurrenten Magnesita zu übernehmen. Bezahlt wird dabei unter anderem mit eigenen Aktien. Teil des Deals: Der Firmensitz wandert in die Niederlande, die Börsenotierung nach London.

Der Wechsel des Finanzplatzes sei „der dringende Wunsch“ – oder genau genommen – die „fixe Forderung“ der Verkäufer gewesen, sagt RHI-Interimschef Wolfgang Ruttenstorfer zur „Presse“. Der Grund? Die Brasilianer hätten darauf gedrängt, mit dem neuen Konzern dorthin zu gehen, wo auch Branchenrivalen und Rohstoffe gehandelt werden. „Die Liquidität ist in London größer. Wir erwarten letztlich einen besseren Wert für das Unternehmen“, so Ruttenstorfer.

Die Republik Österreich kann zwar aufatmen. Denn die operative Führung und auch die Steuern sollen in Österreich bleiben, betont man bei RHI. Für die Wiener Börse ist das – neben der Ankündigung von Raiffeisen Bank International, den Streubesitz zu verringern – jedoch ein weiterer schwerer Schlag. Denn der Kurszettel auf dem heimischen Handelsplatz wurde in den vergangenen Jahren konstant dünner. Neue Börsengänge waren seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor acht Jahren Mangelware. Und wenn es sie gab, wie beim Flugzeugzulieferer FACC im Jahr 2014, dann sorgten sie auch nicht unbedingt für Begeisterungsstürme bei den Anlegern. Die FACC-Aktien notieren heute gerade einmal bei der Hälfte des Ausgabepreises.

Im Gegenzug verließ eine Reihe einst namhafter Börsenwerte Wien. Etwa der Biotechkonzern Intercell, der 2013 mit der französischen Vivalis fusionierte. Die Papiere des in Valneva umbenannten und seither in Lyon beheimateten Unternehmens sind zwar nach wie vor in Wien erhältlich. Die Hauptbörse ist jedoch Paris. Ganz verschwunden ist der Online-Anbieter Bwin, der sich 2011 mit dem britischen Konkurrenten Partygaming zusammenschloss. Die Firma wird seitdem von London aus geleitet – die Börsenotierung wanderte logischweise ebenfalls mit. Und auch der Immobilienkonzern Conwert könnte schon bald diesem Beispiel folgen. Deutschlands größter Wohnkonzern Vonovia will das Unternehmen kaufen. Beobachter erwarten, dass allen Beteuerungen zum Trotz ein Delisting in Wien folgen würde. Vonovia selbst ist im DAX in Frankfurt notiert.

DAX holte auf, ATX stagniert

Zwar handelte es sich bei all diesen Werten nicht um wirkliche Schwergewichte. So steht die RHI nur für 1,7 Prozent der Marktkapitalisierung des ATX. Zum Vergleich: Die Erste Bank kommt auf fast 20 Prozent. Aber der Bedeutungsverlust der Wiener Börse seit dem Ausbruch der Krise lässt sich auch an handfesten Zahlen sehen. Lag die Marktkapitalisierung aller ATX-Werte im Vorjahr mit durchschnittlich 63 Milliarden Euro nur bei knapp mehr als der Hälfte des Höchststandes von 2006, konnte der deutsche DAX den einstigen Spitzenwert im Vorjahr sogar erstmals übertreffen. Auch das Handelsvolumen ging in Wien massiv zurück. Wurden 2007 pro Monat im Schnitt Aktien im Wert von bis zu 18 Milliarden Euro gehandelt, sind es heute nur mehr knapp fünf Milliarden.

Dies hängt zwar einerseits damit zusammen, dass der Börsenplatz Wien Teil des inzwischen geplatzten Osteuropa-Hypes war. Dennoch gibt es auch hausgemachte Gründe. So gibt es hierzulande einfach keinen politischen Willen, den Kapitalmarkt als wichtigen Faktor für den Standort zu stärken, kritisiert Wilhelm Rasinger vom Interessenverband für Anleger. Aktionäre würden als Spekulanten bezeichnet, statt „dass man stolz darauf ist, Anteile an einem börsenotierten Unternehmen zu besitzen“. Für Kursgewinne aus Aktiengeschäften gab es erst zu Jahresanfang eine Steuererhöhung von 25 auf 27,5 Prozent. Dies habe auch viele Privataktionäre verschreckt, sagen Experten.

Währenddessen hängt noch ein weiteres Damoklesschwert über dem heimischen Handelsplatz: Selbst die teilstaatliche Telekom Austria könnte ganz von der Wiener Börse verschwinden. Erst im August ließ Telekom-Chef Alejandro Plater in Interviews durchblicken, dass er einem Abgang von der Börse positive Seiten abgewinnen könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)

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