Notenbank-Chef geht nach Brexit

Mark Carney geriet nach dem Brexit ins Kreuzfeuer der Kritik. Offiziell geht er aus persönlichen Gründen zurück nach Kanada.
Mark Carney geriet nach dem Brexit ins Kreuzfeuer der Kritik. Offiziell geht er aus persönlichen Gründen zurück nach Kanada.(c) APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
  • Drucken

Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, zieht die Konsequenzen. Er wird sein Amt 2019 zurücklegen. Carney ist der erste Ausländer an der Notenbankspitze.

London. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, wird nach dem geplanten Vollzug des Austritts Großbritanniens aus der EU sein Amt im Juni 2019 zurücklegen. Wie Carney nach einem Gespräch mit Premierministerin Theresa May Montagabend in London mitteilte, wolle er während der Brexit-Verhandlungen für „Kontinuität in einer kritischen Periode für die britische Wirtschaft“ sorgen. Carney war 2013 für eine Amtszeit von fünf Jahren bestellt worden.

Der Kanadier ist vom damaligen Schatzkanzler, George Osborne, geholt worden. Er ist der erste Ausländer an der Spitze der 1694 gegründeten Notenbank. Osborne verlor nach der Entscheidung der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union am 23. Juni seinen Regierungsposten. Ohne seinen politischen Mentor geriet Carney seither ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik von Vertretern des Brexit-Lagers, die mit wachsender Aggressivität Andersdenkende aus Führungspositionen vertreiben wollen.

„Persönliche Gründe“

Ob Carney mit seiner Entscheidung diesen Kontrahenten nachgegeben hat oder entgegengetreten ist, bleibt Betrachtungssache. Seine Amtszeit wäre eigentlich nach fünf Jahren im Juni 2018 zu Ende gegangen. Zugleich hätte er aber nach Gesetz und Brauch Anrecht auf eine Verlängerung bis 2021 gehabt. Stattdessen entschied er sich für eine Fortsetzung um ein Jahr bis Mitte 2019 und sprach von „persönlichen Gründen, die sich nicht verändert haben“: Seine Familie plant die Rückkehr nach Kanada im Sommer 2018.

Premierministerin May will bis März 2017 die Verhandlungen mit der EU über den Austritt Großbritanniens aufnehmen. Artikel 50 sieht dafür eine Dauer von zwei Jahren vor. Carney hatte – sehr zum Missfallen des Brexit-Lagers – vor der Volksabstimmung eindringlich vor den Folgen eines EU-Ausstiegs gewarnt.

Nach der Entscheidung der Briten sahen manche die Stunde der Abrechnung gekommen. Während ihm der Europaabgeordnete Daniel Hannan eine „unentschuldbare Politisierung“ seines Amts vorwarf, schien May den Gouverneur in ihrer Parteitagsrede wegen der Niedrigzinspolitik der Bank of England zu kritisieren.

Die Wirtschaft sah in Carney hingegen einen Garanten für Stabilität. „Mark Carney ist der Einzige, der vor dem Absinken Großbritanniens in wirtschaftliches Chaos steht“, sagte etwa der Ökonom David Blanchflower. Auf den Brexit reagierte er mit der Bereitstellung von 250 Milliarden Pfund, um einen Finanzengpass für die Wirtschaft zu vermeiden, und einer Senkung des Leitzinssatzes auf 0,25 Prozent. Während sich die Londoner Regierungsspitze Ende Juni auflöste, bewahrte Carney als Einziger kühlen Kopf und blieb handlungsfähig.

Warnung vor Rezession

Dass es ihm damit gelang, die schlimmsten Auswirkungen von „today's events“, wie er den Brexit in coolem Understatement nach dem Referendum bezeichnete, zu verhindern, wurde ihm nicht als Leistung angerechnet.
Seine Warnung vor einer möglichen Rezession nach dem Brexit hat sich mittlerweile als falsch herausgestellt. Radikale EU-Anhänger, die heute das Meinungsklima bestimmen, leiteten daraus den Vorwurf eines „Schlechtredens der britischen Wirtschaft“ ab.

Der nächste öffentliche Vertreter in ihrer Schusslinie ist Schatzkanzler Philip Hammond. Man darf gespannt sein, wie lang er angesichts von Kritik aus dem eigenen Lager noch im Amt sein wird.

Warten auf das Budget

Die wachsenden Spekulationen über die Zukunft Carneys in den vergangenen Wochen hatten Premierministerin May gewaltig unter Zugzwang gesetzt. Nur wenige Stunden vor der Ankündigung des Gouverneurs erklärte sie, er sei „absolut der richtige Mann“ auf dem Posten. Hammond wird Ende November das mit Spannung erwartete Budget vorstellen. Es wird nicht nur für Großbritannien eine Weichenstellung bedeuten, sondern auch seine politische Zukunft entscheiden. Keine Sorgen um die Zukunft muss sich indes der 51-jährige Carney machen. Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker leitete vor seiner Zeit als Gouverneur der Bank of England bereits die kanadische Notenbank. Wegen seines Aussehens der „George Clooney der Finanzwirtschaft“ genannt, gehört Carney zu den angesehensten Bankern der Gegenwart. In seiner Zeit in Großbritannien setzte er Akzente mit einer Niedrigzinspolitik, der quantitativen Lockerung und der Neuordnung der Finanzmarktaufsicht. „Es ist ein lohnender, aber extrem strapaziöser Job“, sagte er einmal über seine Tätigkeit.

Wenn einst seine Politik und alle Kritik daran vergessen sein werden, wird Carney den Briten dennoch dauerhaft in Erinnerung bleiben: Unter seiner Führung wurden die ersten Plastikgeldscheine für fünf Pfund eingeführt.
In Kürze folgt ein neuer „Tenner“ mit einem Porträt der Schriftstellerin Jane Austen. Die neuen Scheine sind knitterfrei, abwaschbar und unzerstörbar. Dass sie aufgrund des dramatischen Kursverlusts des Britischen Pfunds – laut Bloomberg die Währung mit dem schlechtesten Abschneiden von weltweit 150 Währungen in diesem Jahr – immer weniger wert sind, liegt nicht an Carney.

Auf einen Blick

Entscheidung. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, wird wegen seines Aussehens der „George Clooney der Finanzwirtschaft“ genannt. Seine Amtszeit wäre im Juni 2018 zu Ende gegangen. Zugleich hätte er aber nach Gesetz Anrecht auf eine Verlängerung bis 2021 gehabt. Stattdessen entschied er sich für eine Fortsetzung um ein Jahr bis Mitte 2019.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.