Fünf Jahre Draghi: "Unterm Strich geht es den Sparern besser"

Mario Draghi
Mario DraghiAPA/AFP/dpa/FRANK RUMPENHORST
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Im November 2011 wurde Mario Draghi EZB-Chef. Seitdem hat er sich mit seiner ultralockeren Geldpolitik nicht nur Freunde gemacht.

Ausgerechnet ein Italiener. "Mamma mia", stöhnte die "Bild"-Zeitung vor Mario Draghis Amtsantritt als oberster Währungshüter Europa. "Bei den Italienern gehört Inflation zum Leben wie Tomatensoße zur Pasta!" Seit dem 1. November 2011 führt Draghi die Europäische Zentralbank (EZB) - doch die gefürchtete Geldentwertung hat trotz einer beispiellosen Geldflut in diesen fünf Jahren nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Die Inflation im Euroraum ist im Keller. Dennoch sind viele Menschen gerade in Deutschland nicht gut zu sprechen auf den Italiener an der Spitze der Notenbank.

Wahlweise ist von "Fehlentwicklung", "zerstörerischer Geldpolitik" oder "Enteignung der Sparer" die Rede, Banken und Versicherungen fühlen sich durch Draghis ultralockerere Geldpolitik gegängelt und ihrer Erträge beraubt. "Wer kann Mario Draghi stoppen?", fragte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" im April dieses Jahres.

Leitzins bei Null

Schon zu seinem Einstand bei der Notenbank in Frankfurt überraschte der ehemalige Exekutivdirektor der Weltbank (1984-1990) und spätere Goldman-Sachs-Investmentbanker (2002-2005) mit einem Paukenschlag: Draghi senkte die Zinsen. Inzwischen liegt der Leitzins bei Null, Banken müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken, und die EZB kauft Monat für Monat für 80 Milliarden Euro Staats- und Unternehmensanleihen - noch bis mindestens März 2017.

Verkehrte Welt. "Wie wollen Sie heute Kindern den Sinn des Sparens erklären, wenn am Ende des Jahres keine Zinsen gezahlt werden? Wenn sich der Verzicht auf Konsum heute nicht lohnt?", fragt die Chefin von HSBC Deutschland, Carola Gräfin von Schmettow. "Im besten Fall erziehen wir eine Generation von Eigenheimbesitzern und Aktionären." In der Tat ist das viele Notenbank-Geld seit Jahren der Schmierstoff für die Börsen. Der deutsche Leitindex Dax etwa legte - allerdings nach vorherigem Absturz in der Finanzkrise - seit November 2011 um etwa 80 Prozent zu. Das Zinstief heizt auch die Preise an den Immobilienmärkten an, weil "Betongold" so gefragt ist wie lange nicht und Kredite von der Bank kaum noch etwas kosten.

Euroraum vor Zusammenbruch bewahrt

Trotz der vielen kritischen Stimmen verteidigt Draghi seine Linie: "Unter dem Strich geht es den Sparern, Arbeitnehmern, Unternehmern, Rentnern und Steuerzahlern im gesamten Eurogebiet - auch in Deutschland - dank unserer Maßnahmen besser, und zwar jetzt und in Zukunft“, so der EZB-Chef vor kurzem im deutschen Bundestag.

Selbst Kritiker halten Draghi zugute, den Währungsraum im Sommer 2012 vor dem Zusammenbruch bewahrt zu haben. "Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten", sagte "Super-Mario" damals. "Und glauben Sie mir: Es wird genug sein."

Und der einstige Jesuitenschüler, der nächstes Jahr 70 wird, hält unbeirrt Kurs - obwohl er und seine Mitstreiter im EZB-Rat sich immer wieder rechtfertigen müssen. Vielen ist die Machtfülle der nicht demokratisch gewählten Notenbank nicht geheuer. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich ebenso mit einzelnen Maßnahmen der Frankfurter Euroretter wie das Bundesverfassungsgericht. Auch wenn Karlsruhe Leitplanken für den deutschen Beitrag einzog - durchfallen ließ auch Deutschlands höchstes Gericht Draghis Anti-Krisen-Kurs nicht.

Schon als junger Professor stur

Schon als junger Wirtschaftsprofessor habe sich der gebürtig aus Rom stammende Draghi durch eine gewisse Sturheit ausgezeichnet, war kürzlich in der "Wirtschaftswoche" zu lesen. Als er das Examen an der Universität von Trient abnahm, hätten seine Studenten ihm erklärt, sie wollten Fragen nur als Kollektiv beantworten. Draghi habe entgegnet: "Wenn der Kollektivsprecher richtig antwortet, besteht die ganze Klasse. Liegt er falsch, fallen alle durch." Der Sprecher der Gruppe antwortete falsch - Draghi ließ alle durchfallen.

Beharrlich verteidigt Draghi auch als EZB-Chef seine Überzeugung: "Unsere Maßnahmen greifen. Sie tragen dazu bei, dass sich die Erholung fortsetzt und Arbeitsplätze entstehen; sie sorgen also für einen Aufschwung, von dem letztlich auch die Sparer und Rentner in Deutschland und im Euroraum insgesamt profitieren", betonte er Ende September im Bundestag. Wenige Tage später gab er vor der versammelten Finanzelite bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington zu Protokoll: Spätestens Anfang 2019 werde die Inflation im Euroraum wieder die EZB-Zielmarke von knapp unter zwei Prozent erreichen. In Herbst 2019 endet turnusgemäß Draghis achtjährige Amtszeit als EZB-Präsident.

(APA)

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