Steuerwunder durch Plastikgeld

Ein Straßenverkäufer am Fuß des Akropolis-Hügels in Athen. Für die Menschen im Land brachte das Sparprogramm schwere Einschnitte.
Ein Straßenverkäufer am Fuß des Akropolis-Hügels in Athen. Für die Menschen im Land brachte das Sparprogramm schwere Einschnitte.AFP
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In Griechenland ist das Sparprogramm auf Kurs – jedoch auf Kosten von Wachstum und Sozialstaat.

Nicht einmal Euklid Tsakalotos, der griechische Finanzminister, konnte es anfangs glauben: Die griechischen Steuereinnahmen waren im September um 800 Millionen Euro höher als erwartet. Im Oktober stand fest: Der Trend hält, denn auch im Oktober lagen die Einnahmen 835 Millionen Euro über dem Budgetziel – in den ersten zehn Monaten nahm der griechische Fiskus damit insgesamt 2,3 Milliarden Euro mehr ein als erwartet.

Vorausgesagt haben viele das Gegenteil. Sie haben gemeint, dass die hohe Steuerlast und die schlechte Zahlungsmoral zum völligen Zusammenbruch der Staatseinnahmen führen würden.

Doch wie sich zeigt, sind die griechischen Steuerzahler trotz aller Entbehrungen der sieben Krisenjahre immer noch in der Lage, in den Geldbeutel zu greifen. Konsumenten werden über die Mehrwertsteuer von 24 Prozent geschröpft, Angestellte, Hausbesitzer und Unternehmer über die Immobilien- und die Einkommensteuer. Der griechische Staat hat in den Krisenjahren die Abgabenquote, das heißt die Summe der Einnahmen aus Steuern und Kassenbeiträgen, um sieben Prozent gesteigert. 2016 wird die Quote mit etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung den europäischen Durchschnitt erreichen; das ist, angesichts der chronischen Ineffizienz der Finanzbehörden in früheren Jahren, beeindruckend.


Kapitalkontrollen wirken. Hauptursache für die gesteigerte Steuerleistung sind paradoxerweise die Kapitalkontrollen, die 2015 in Griechenland eingeführt werden mussten. Die Bürger, die nach wie vor auf 420 Euro Bargeld pro Woche beschränkt sind, mussten sich plötzlich mit Net-Banking und Bankomatkarten vertraut machen. 2015 nahmen elektronische Zahlungen um über 60 Prozent zu, 2016 bislang um die 50 Prozent. Das machte es Verkäufern aller Art unmöglich, ihre Einkünfte zu verschleiern und Steuern zu hinterziehen – vor allem die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer sind seither gestiegen.

Der Staat half weiter nach bei der Umstellung auf elektronische Zahlungsmittel: Steuerfreibeträge für 2016 werden nur auf Summen gewährt, die elektronisch gezahlt werden. Außerdem sind nun Konsumenten bei Käufen über 500 Euro zur Zahlung mit Karten verpflichtet.

Letztlich also dürften jene recht behalten haben, für die die Forcierung der Informationstechnologie das beste Mittel zur Bekämpfung von Korruption und Steuerflucht ist. Das Verbesserungspotenzial ist übrigens immer noch beachtlich: Griechenland liegt im europäischen Vergleich auch heute noch an vorletzter Stelle beim Einsatz von Plastikgeld. Fazit: Das griechische Sparprogramm, das im Sommer 2015 im Gegenzug zum dritten Rettungspaket von über 80 Milliarden Euro gewährt wurde, ist auf Kurs. Zumindest heuer.

Auch das angepeilte primäre Budgetplus, also die Staatseinnamen ohne Abzug der Schuldentilgung, wird erreicht werden. Ziel ist ein Überschuss in Höhe eines halben Prozents der Wirtschaftsleistung.

Doch die Erfolge des Sparprogramms haben politische Konsequenzen für die Regierung Tsipras. In Meinungsumfragen liegt sie zwischen zehn und zwanzig Prozent hinter der konservativen Opposition, und immer wieder kommt es zu teils rabiatem Widerstand verschiedener Bevölkerungsgruppen. Gerade ging ein monatelanger Streik der Anwälte zu Ende. Gegen protestierende Pensionisten musste Tränengas eingesetzt werden, und bei den nach mehrjährigem Stopp wieder anlaufenden Zwangsversteigerungen von verpfändeten Erstwohnsitzen gibt es täglich Prügelszenen.

Die Stimmung ist also schlecht, doch Tsipras hofft auf die große wirtschaftliche Trendwende gegen Jahresende. Schon heuer wird mit einem leichten Wachstum gerechnet, für 2017 prognostizieren die Regierung, aber beispielsweise auch der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Wachstum von 2,7 bis 2,8 Prozent.

Der IWF bescheinigt Griechenland eine beeindruckende Budgetkonsolidierung. Seine Experten stellen fest, dass eine weitere finanzpolitische Anpassung nicht mehr notwendig ist.


Soziale Fehlentwicklungen. Im Gegenteil: Die hohen Steuern und die Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben behindern ihrer Ansicht nach langfristig das Wachstum. Und trotz ihres schlechten Rufes in Griechenland ist es gerade die Organisation aus Washington, die auf gravierende soziale Fehlentwicklungen im Mittelmeerland hinweist: Nur zehn Prozent der Arbeitslosen in Griechenland bekommt Arbeitslosenhilfe, und in den Spitälern stehen aufgrund von Budgetkürzungen nicht einmal mehr Spritzen zur Verfügung, berichtete sie im September. Das Sparpaket, so das Urteil, ist sozial unausgewogen. Auch die Prognosen zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit, derzeit liegt sie bei 23,4 Prozent, sind niederschmetternd. Die Zahlen dürften bis 2050 zweistellig bleiben, heißt es. Tatsächlich ist zwar die Zahl der Beschäftigungslosen in den vergangenen zwei Jahren um etwa vier Prozent gesunken, doch das ist zu einem großen Teil auf das sprunghafte Ansteigen der Teilzeitbeschäftigung zurückzuführen.


Enorme Staatsschulden.
Die Rezepte des IWF für eine Rückkehr zum Wachstum freilich will Athen nur zum Teil hören. Gemeinsam fordert man zwar einen Schuldenschnitt angesichts der enormen Staatsschulden von augenblicklich rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung und eine Senkung der primären Budgetüberschüsse ab 2018, um mehr Budgetspielraum zu haben. Die Forderung nach einer Senkung der Steuerfreigrenze aber sorgt in Athen schon für weniger Begeisterung. Und geradezu allergisch reagiert man in der griechischen Regierung auf eine der Hauptforderungen der Washingtoner Organisation: Der IWF will die Ausweitung des Sozialstaates und eine Senkung der hohen Steuersätze durch die weitere Kürzung von Pensionen finanzieren. Das aber ist für Premier Alexis Tsipras politisch kaum durchsetzbar – und ein sicheres Rezept für eine Niederlage bei den nächsten Wahlen. ?

Zahlungen

Bargeld. Rechnungen über 500 Euro dürfen in Griechenland nicht bar bezahlt werden. Privatpersonen sind außerdem nach wie vor auf 420 Euro Bares pro Woche beschränkt.

Steuerfreibeträge.Diese gibt es heuer nur auf Beträge, die elektronisch gezahlt wurden. Auch das soll die Umstellung auf elektronische Zahlungsmittel vorantreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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