Indien: Alle großen Geldscheine sind plötzlich wertlos

Nur noch kleinere Geldscheine behielten in Indien ihre Gültigkeit.
Nur noch kleinere Geldscheine behielten in Indien ihre Gültigkeit.(c) REUTERS (JAYANTA DEY)
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Die indische Regierung macht einen großen Schritt in Richtung bargeldlose Gesellschaft.

Wien/Neu Delhi. Auch in Indien saßen in der Nacht auf Mittwoch viele Menschen vor den Fernsehgeräten, um die US-Präsidentschaftswahlen zu verfolgen. Doch dann passierte etwas Unerwartetes. Zahlreiche Fernsehsender unterbrachen das Programm. Premierminister Narenda Modi wandte sich in einer Fernsehansprache an die Nation. Er kündigte eine radikale Bargeldreform an und löste damit in dem 1,25 Milliarden Menschen zählenden Land ein wirtschaftliches Erdbeben aus.

Über Nacht verloren alle großen Geldscheine im Wert von 500 Rupien und 1000 Rupien (13,58 Euro) ihre Gültigkeit. Der größte legale Geldschein ist vorübergehend nur der 100-Rupien-Schein. Dieser ist umgerechnet 1,35 Euro wert.

Mit der Bargeldreform will die Regierung die Schattenwirtschaft bekämpfen. Premierminister Modi sagte, das Land soll aus dem Griff von Schwarzgeld und Korruption befreit werden. In der Fernsehansprache rief er die Bevölkerung auf, Panik zu vermeiden. Mit der Reform wird in Indien über Nacht fast die ganze Währung ausgetauscht. Denn der 1000-Rupien-Schein war das meistgenutzte Zahlungsmittel.

Ab dem heutigen Donnerstag sollen von der indischen Nationalbank neue Geldscheine im Wert von 500 Rupien und 2000 Rupien in Umlauf gebracht werden. Als Vorbereitung dazu mussten sämtliche indische Banken am gestrigen Mittwoch ihre Filialen geschlossen halten. Auch viele Bankomaten funktionierten vorübergehend nicht. Bargeld dürfte in Indien knapp bleiben. Denn an den Bankomaten, wo die neuen Geldscheine erhältlich sein sollen, können die Menschen nur 2000 Rupien pro Tag abheben. Das Limit soll in den nächsten Tagen auf 4000 Rupien erhöht werden.

Umtauschen mit Ausweis

Wer alte Banknoten im Wert von 500 und 1000 Rupien besitzt, kann diese vom 10. November bis 30. Dezember 2016 in der Bank und im Postamt umtauschen lassen. Dabei ist jedoch eine Identifizierung mit einem Ausweis erforderlich. Allerdings können nur kleinere Beträge direkt umgetauscht werden. Der Rest muss auf ein indisches Bankkonto eingezahlt werden.

Die Reform gilt in Indien als wichtiger Schritt in Richtung bargeldloser Gesellschaft. Zur Eindämmung der Schattenwirtschaft soll ein großer Teil des Geldverkehrs nur noch elektronisch abgewickelt werden. Laut früheren Angaben besitzen jedoch 42 Prozent der Inder kein Bankkonto und keine Bankomatkarte. Um das zu ändern, startete die Regierung vor zwei Jahren das Programm „Bankkonto für alle“.

Damit das öffentliche Leben nach der Reform nicht zusammenbricht, gilt eine Notregelung. In den ersten 72 Stunden kann in allen staatlichen Spitälern, bei Ticketschaltern auf Bahn- und Flughäfen, an Friedhöfen sowie an Marktständen, wo Milch verkauft wird, noch mit den alten Geldscheinen bezahlt werden. Nach diesen 72 Stunden sind auch dort nur noch die neuen Geldscheine gültig. Aufpassen müssen zudem Touristen. Sie dürfen in den ersten Tagen in bestimmten Wechselstuben einen gewissen Betrag in ihre alte Währung umtauschen.

Das österreichische Außenministerium empfiehlt Reisenden in Indien den bargeldlosen Zahlungsverkehr (Kreditkarte) sowie die Mitnahme von Euro und US-Dollar in kleinen Stückelungen.

Unmittelbar nach der Fernsehansprache des Premierministers am Dienstagabend kam es teilweise zu chaotischen Szenen. Taxifahrer, Restaurantbesitzer und Geschäftsinhaber wollten die alten Geldscheine nicht annehmen. Hingegen bildeten sich vor den Tankstellen, bei denen die alten Scheine noch 72 Stunden lang gültig sind, lange Schlangen. Doch schon bald ging dort das Wechselgeld aus. Medienberichten zufolge befand sich die indische Polizei in Alarmbereitschaft, um bei Unruhen rasch einschreiten zu können.

Am Mittwoch verlor der indische Leitindex zeitweise 6,3 Prozent an Wert, doch er erholte sich im Lauf des Tages wieder und schloss am Abend bei einem Minus von 1,3 Prozent.

Indien gehört weltweit zu jenen Länder, in denen Korruption und Schattenwirtschaft blühen. Über das Ausmaß gibt es verschiedene Schätzungen. Im Länderbericht zu Indien schreiben die Experten der deutschen Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS), dass die Schattenwirtschaft etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts ausmachen soll, und vor allem von den besser gebildeten Schichten in Form von Steuerhinterziehung oder Bestechung ausgeübt werde. Um die 15 Prozent dieser Gelder „werden jährlich als Kapitalflucht ins Ausland verschoben, wodurch Devisen- und Kapitalknappheit erzeugt werden, die wiederum die Entwicklung Indiens bremsen“, heißt es in dem Bericht.

Auf einen Blick

In Indien gibt es eine radikale Bargeldreform. Über Nacht wurden alle großen Geldscheine für ungültig erklärt. In einer Fernsehansprache rief Premierminister Narenda Modi die Bevölkerung auf, Panik zu vermeiden. Bis Jahresende können die alten Geldscheine umgetauscht werden. Dafür ist eine Identifizierung notwendig. Möglich ist auch die Einzahlung auf ein indisches Bankkonto. Mit der Maßnahme soll die Schattenwirtschaft bekämpft werden. Gleichzeitig wird in Indien der Umstieg zur bargeldlosen Gesellschaft forciert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2016)

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