Wirtschaftskrimi der Extraklasse erschüttert Russland

Alexej Uljukajew mit Wladimir Putin
Alexej Uljukajew mit Wladimir PutinAPA/AFP/RIA-NOVOSTI/ALEXEI NIKOL
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Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew wurde wegen einer angeblicher Schmiergeldannahme abgesetzt und unter Hausarrest gesetzt. Sein vorerst letztes Interview gab er vor wenigen Tagen der "Presse".

Nichts, aber schon gar nichts hatte in den vergangenen Tagen darauf hingedeutet, dass in Moskau der größte Justiz- und Wirtschaftskrimi der jüngeren russischen Geschichte bevorsteht. Auch als Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew Mitte der Vorwoche sich zum Interview mit der "Presse" traf und dabei Russlands Erwartungen an den neuen US-Präsidenten sowie die heikle Situation der russischen Wirtschaft erklärte, hat nichts den Anschein gehabt, dass dies sein vorerst letztes Interview sein würde. Ja selbst am Montagnachmittag und -abend hatte er in gewohnter Manier eine Sitzung mit Vertretern von Staatskonzernen abgehalten, ehe er um etwa 17 Uhr zum größten Ölkonzern Rosneft fuhr. Wenige Stunden später dann klickten die Handschellen.

Uljukajew habe im Zuge eines Ölgeschäftes Schmiergeld in der Höhe von zwei Millionen Dollar (1,85 Millionen Euro) angenommen, so die oberste Ermittlungsbehörde. Der angebliche Hintergrund: Mit dem Geld soll seine Zustimmung zum Erwerb der sechstgrößten Ölgesellschaft Baschneft durch den staatlichen Branchenprimus Rosneft erkauft worden sein. Uljukajew drohen acht bis 15 Jahre Gefängnis.

Die Nachricht schlug in- und außerhalb Russlands ein wie eine Bombe. Seit dem Ende der Sowjetunion wurde noch nie ein Politiker dieses Ranges festgenommen. Gut, es gab die spektakuläre Verhaftung des Öltycoons Michail Chodorkowski im Jahr 2003 und die anschließende Filetierung seines Ölkonzerns Yukos, die zum wichtigsten Meilenstein auf dem Weg der russischen Marktwirtschaft hin zum Staatskapitalismus unter Kremlchef Wladimir Putin wurde. Aber einen Politiker auf Ministerebene? Nein.

Deshalb scheint Russlands Establishment auch nicht so recht zu glauben, dass bei der Festnahme alles mit rechten Dingen zugegangen ist. „Würde man Uljukajew beschuldigen, dass er in der Nacht in Moskau mit einem Geländewagen und mit überhöhter Geschwindigkeit eine alte Frau niedergefahren habe, so würde das glaubwürdiger erscheinen“, empörte sich Alexandr Schochin, Chef des russischen Industrie- und Unternehmerverbandes.

"Seltsame und überraschende Nachricht"

Uljukajew nach seiner Festnahme
Uljukajew nach seiner FestnahmeREUTERS

Die Festnahme sei „eine seltsame und überraschende Nachricht“, sagt Uljukajews Sprecherin Jelena Laschkina, auf Anfrage der "Presse": „Das erfordert eine ernsthafte Untersuchung“. Auch Premierminister Dmitri Medwedjew und Putin selbst fordern laut dessen Sprecher eine genaue Untersuchung und vor allem Beweise. Die Ermittlungsbehörde ist übrigens direkt Putin unterstellt, und dieser wurde laut seinem Sprecher unmittelbar informiert.
Zur Vorgeschichte: Seit Wochen tobt ein erbittertes Tauziehen und eine heftige Diskussion in Russlands Establishment, was die aktuelle Privatisierung von Staatsvermögen betrifft. Um angesichts der Wirtschaftskrise das Budget vor einem noch größeren Defizit zu bewahren, wurde zuletzt immerhin der Verkauf von 50 Prozent Staatsanteilen am Ölkonzern Baschneft genehmigt. Schon im Vorfeld war vielen sauer aufgestoßen, dass Rosneft als Staatskonzern (sic!) bei einer so genannten Privatisierung den Vorzug vor dem privaten Mitbewerber Lukoil bekommen sollte. Am Ende gewann Rosneft und zahlte im Oktober 330 Milliarden Rubel (4,62 Milliarden Euro) für den Hälfteanteil an Baschneft.

Allgemeiner Einschätzung zufolge hatte Rosnefts Sieg damit zu tun, dass Rosneft-Chef Igor Setschin eine der mächtigsten Figuren im Land und Putins langjähriger Wegbegleiter ist. Setschin, zwischenzeitlich auch Energieminister, galt schon als Mastermind hinter der Zerschlagung von Yukos, wodurch Rosneft als Unternehmen erst groß wurde. Später im Jahr 2012 verleibte er sich noch den landesweit drittgrößten Ölkonzern (TNK-BP) ein, wodurch Rosneft zum größten börsennotierten Ölkonzern der Welt mutierte. Aber Setschin schluckt weiter und kam nun eben auch bei Baschneft zum Zug.

Geld nicht persönlich übergeben

Es ist allemal merkwürdig, dass Wirtschaftsminister Uljukajew das Schmiergeld am Montag in bar übernommen haben soll und laut Ermittlungsbehörde mit Drohungen und Erpressung erwirkt habe, von Rosneft-Vertretern Schmiergeld zu bekommen. Zum einen nämlich wurde nicht mitgeteilt, wer das Geld übergeben hat. Zum anderen berichtete die russische Investigativzeitung „Nowaja Gazeta“, dass das Geld nicht persönlich dem Minister übergeben, sondern in einem Bankschließfach hinterlegt worden sei, von wo Uljukajew es nicht entnommen habe. Zum dritten hat Rosneft Baschneft durchaus zu Marktpreisen, also nicht vergünstigt, gekauft. Zum vierten gebe es laut Ermittlungsbehörden keine Vorwürfe an Rosneft, so die Agentur Interfax: Im Übrigen stehe der Privatisierungsdeal nicht in Frage. Ein Kreml-Sprecher war sich da nicht so sicher.

Unabhängig von der Faktenlage und den Ermittlungen wirft die Festnahme Uljukajews auch die Frage nach etwaigen Grabenkämpfen innerhalb des russischen Establishments auf. Gemeinhin gilt als Tatsache, dass die so genannten Liberalen mit ihrer Befürwortung der Marktwirtschaft den dirigistischen Hardlinern aus Militär und Geheimdiensten gegenüberstehen. Putin sieht sich als Schiedsrichter zwischen den Gruppierungen und hat zuletzt einen Vertreter der Liberalen zum neuen Stabschef im Kreml gemacht. Auch Uljukajew, der seit 2013 Wirtschaftsminister ist und zuvor als Stellvertretender Finanzminister sowie neun Jahre lang als Vizechef der russischen Zentralbank tätig war, gilt als Anhänger einer liberalen Politik. Dies hatte der studierte Ökonom bereits zu Beginn der 1990-er Jahre unterstrichen, indem er die damalige erste postsowjetische Reformregierung beriet.

Es sei gut möglich, dass die Hardliner Uljukajew provoziert haben und nun zeigen können, dass die Liberalen auch nicht besser sind, meint Sergej Petrov, Milliardär und oppositioneller Abgeordneter in der Staatsduma, auf Anfrage. Uljukajews Sprecherin Laschkina wollte zu einem möglichen politischen Motiv hinter der Festnahme nichts sagen.

Putin hat seinen Uljukajew inzwischen abgesetzt. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte am Dienstagabend laut russischen Nachrichtenagenturen zur Begründung, der Minister habe Putins „Vertrauen verloren“. Ein Moskauer Richter ordnete Hausarrest für Uljukajew an.

"Ernsthafte Reformen" gefordert

Im Interview mit der "Presse" hatte Uljukajew in der Vorwoche davon gesprochen, dass sich mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eine günstige Gelegenheit biete, die Beziehung zwischen den USA und Russland zu verbessern und auch in der Frage der Aufhebung der Sanktionen voranzukommen. Für die russische Wirtschaft sieht er das Potenzialwachstum bei zwei bis 2,5 Prozent, für dessen Überschreitung es „ernsthafte strukturelle und institutionelle Reformen“ brauche. Bemerkenswert war seine Antwort auf die Frage, ob Putin oder Ex-Finanzminister Alexej Kudrin Recht hätten. Kudrin hatte ja kürzlich bei einer Besprechung mit Kremlchef Wladimir Putin leise angeregt hat, ob es sich nicht lohne, die geopolitische Spannung im Interesse des Wirtschaftswachstums zu verringern, woraufhin Putin ihn forsch in die Schranken wies. Wer von beiden Recht habe, „wird sich weisen“, so Uljukajew.

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