„Die Globalisierung ist ein Sündenbock“

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Viele Menschen hätten das Gefühl, sich nicht mehr mit ihrer eigenen Arbeit gut erhalten zu können, sagt DIW-Chef Fratzscher. Schuld daran sei aber nicht der Freihandel.

Die Presse: Der künftige US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, das pazifische Freihandelsabkommen TPP kündigen zu wollen. Auch TTIP dürfte somit gestorben sein. Was halten Sie davon?

Marcel Fratzscher: Ich bedauere das. Es wäre eine wichtige Chance für Europa, Asien und die USA gewesen, der Weltwirtschaft wieder einen wichtigen Impuls zu geben. Aber es ist auch kein riesiges Drama. TTIP ist in meinen Augen nämlich nicht gestorben, sondern liegt nur auf Eis. Irgendwann wird es kommen. Denn Europa und die USA können es sich gar nicht leisten, darauf zu verzichten. Es liegt in unserem ureigensten Interesse.

Trotzdem gibt es allgemein die Sorge, dass wir vor einer neuen Phase des Protektionismus stehen. Teilen Sie diese Sorge?

Ich teile diese Sorge, halte es gleichzeitig aber auch für unwahrscheinlich. Der Grund dafür ist, dass sich der Herr Trump mit seinen Drohungen einfach nicht wird durchsetzen können. Vieles davon war Wahlkampfrhetorik. Einen Handelsprotektionismus – etwa mittels Strafzöllen – wird er nicht durchbringen. Die Republikaner sind eigentlich viel eher für Freihandel als die Demokraten. Und daher werden sie das verhindern.

Viele Ökonomen erwarten, dass Trumps Wirtschaftspolitik Wachstum kosten wird. Gleichzeitig jubilieren die Finanzmärkte, weil sie auf Investitionen in die US-Infrastruktur hoffen. Wie passt das zusammen?

Kurz- bis mittelfristig wird sein Strukturprogramm das Wachstum ankurbeln. Das ist gar keine Frage. Daher ist auch klar, dass die Aktienmärkte und der Dollarkurs nach oben gehen. Die große Frage ist, wie sich das langfristig auswirken wird. Gibt es eine höhere Verschuldung, die das Wachstum dann wieder negativ beeinflusst? In Summe bin ich bei der Wirtschaftspolitik aber relativ entspannt. Meine Sorge in den USA liegt eher bei der Verteidigungs- und Außenpolitik.

Die Wahl von Trump ist quasi der Höhepunkt einer politischen Bewegung, die sämtliche westliche Länder erfasst hat. Diese eint eine Ablehnung der Globalisierung, obwohl eine offene Weltwirtschaft so viel Wohlstand wie nie zuvor gebracht hat. Wie erklären Sie sich das?

Für mich ist das ein Problem der sozialen Ungleichheit. Die Menschen, die für Trump gestimmt haben, sind nicht unbedingt Arbeitslose. Es sind vielmehr Menschen aus der Mittelschicht, die Angst um ihre Jobs haben und auch bereits die vergangenen 40 Jahre miterleben mussten, dass ihre Einkommen zurückgegangen sind. Sie sehen, dass der amerikanische Traum geplatzt ist. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie mit ihrer eigenen Arbeit nicht mehr für sich und ihre Familie gut sorgen können und die volle Kontrolle über ihr Leben haben. Für viele ist das heute einfach nicht mehr Realität. Ich halte jedoch die Globalisierung für einen Sündenbock, der eigentlich wenig mit dem Problem zu tun hat. In Wirklichkeit geht es viel mehr um den technologischen Wandel und dabei einhergehend um Bildungschancen und soziale Mobilität.

Gerade im sogenannten Rust-Belt hat Trump gewonnen. Dort sind viele Jobs durch Verlagerungen weggefallen. Was kann die Politik für einen 45-jährigen Ex-Fabriksarbeiter tun?

Mit Sicherheit nicht Handelsbarrieren aufbauen. Das bringt die Jobs nicht zurück. Man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Es muss vielmehr eine Strukturanpassung stattfinden, sodass neue Jobs geschaffen werden. Dazu braucht es Investitionen, aber auch eine höhere Mobilität der Arbeitnehmer. Und auch bei 45-Jährigen ist zusätzliche Bildung entscheidend.

In anderen Weltregionen brachte die Globalisierung viele Menschen aus der Armut. Braucht es auch mehr Solidarität in den Industrieländern, nach dem Motto: Das ist der Preis, den wir bezahlen müssen, damit es in Afrika und Asien besser geht?

Ganz im Gegenteil. Wir Deutschen und Österreicher haben unglaublich davon profitiert, dass sich China an den Weltmarkt angeschlossen hat. Viele Produkte könnten wir nie so günstig kaufen, wenn diese nicht in Asien produziert würden. Es gibt kein ,Wir gegen die‘ oder ein ,Die profitieren auf unsere Kosten‘. In Summe haben alle profitiert. Natürlich gibt es aber auch einzelne Verlierer, die ihre Jobs verloren haben. Um die muss man sich gezielter kümmern. Und das hat die Politik bisher falsch gemacht.

Nach der Globalisierung kommt die Digitalisierung. Sie bedroht noch viel mehr Jobs. Wie soll sich die Gesellschaft vorbereiten?

Die Digitalisierung kostet Jobs, sie schafft aber noch viel mehr – wenn es richtig gemacht wird. Erneut geht es hier um die Qualifizierung und Flexibilität der Arbeitnehmer. Die Welt hat sich massiv geändert, die Bildungssysteme wurden aber nicht angepasst. Wenige Kinder werden in der frühkindlichen Phase gefördert. Hier gehört viel mehr gemacht. Auch die Lerninhalte gehören verändert: Informationstechnologie, aber auch Wirtschaft haben an Bedeutung gewonnen. Die Lehrpläne spiegeln das aber nicht wider.

Aber auch in einem guten Bildungssystem sind nicht alle Menschen befähigt, App-Designer oder Programmierer zu werden.

Die Digitalisierung kann zwei Dinge nicht ersetzen: Empathie und Kreativität. Gerade im Pflegebereich wird es in Zukunft sogar einen größeren Bedarf an Arbeitskräften geben. Diese Jobs sind sehr anstrengend und derzeit auch schlecht bezahlt. Sie werden in Zukunft aber an Bedeutung gewinnen, weil sie nicht ersetzt werden können. Was es nicht mehr geben wird, sind die klassischen Industriejobs am Fließband. Ich weine diesen Jobs aber auch keine Träne nach, da sie kaum das aus dem Menschen herausbringen, was uns zum Menschen macht.

ZUR PERSON

Marcel Fratzscher leitet seit 2013 das DIW in Berlin – das größte Wirtschaftsforschungsinstitut Deutschlands. Der 1971 Geborene arbeitete zuvor bei der Europäischen Zentralbank, wo er zuletzt der Abteilung für internationale wirtschaftspolitische Analysen vorstand. Er gilt als einer der einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Er war auf Einladung von Wifo und Wirtschaftsuniversität Wien diese Woche in Österreich. [ Akos Burg ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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