„Die jungen Menschen sind verzweifelt“

Echtes Unternehmertum findet man heute außerhalb der etablierten Strukturen, sagt Rahim Taghizadegan.
Echtes Unternehmertum findet man heute außerhalb der etablierten Strukturen, sagt Rahim Taghizadegan.(c) Clemens Fabry
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Den Jungen fehlt die Perspektive, sagt Ökonom und Philosoph Rahim Taghizadegan: „Die Eltern sagen: 'Mach, was du willst!' Zugleich hören sie nur von Krise.“

Was kann uns ein Philosoph eigentlich über das Unternehmertum erzählen?

Rahim Taghizadegan: Ein Philosoph muss sich auch mit dem realen Tun befassen. Der Platz der Philosophen war ursprünglich auf dem Marktplatz, inmitten der Unternehmer. Im Mittelalter waren sehr viele Philosophen eigentlich Gastronomen, die Studentenunterkünfte betrieben und mit der Ausschank hochgeistiger Getränke Geld verdienten. Ich war selbst immer unternehmerisch tätig. Das Institut, das ich leite, das Scholarium, ist auch ein Unternehmen. Ich komme aus einer Unternehmerfamilie. Und ich glaube auch nicht, dass man sich Philosoph nennen kann, ohne je unternehmerisch tätig gewesen zu sein.

Aber waren nicht viele Philosophen eigentlich Beamte?

Eine Beamtenlaufbahn kann Muße bieten, und auch die ist wichtig. Sie hat nur einen bitteren Beigeschmack, der die gesamte Ideengeschichte des Abendlandes durchzieht. Das fängt schon bei den Griechen an: Die hatten deshalb Muße, weil andere die Arbeit machten. Das waren die Sklaven. Dass jemand die Arbeit tun muss, wird gemeinhin übersehen. Das erklärt auch die Wirtschaftsferne der Philosophen – bis heute. Für sie ist es fast ein Ausweis, nichts von Ökonomie zu verstehen.


Aber eine Beamtenlaufbahn ist heute nicht mehr so erstrebenswert wie früher, oder?

Doch, doch. Da hat sich wenig geändert. Auch in Österreich. Das Gehalt muss gar nicht hoch sein. Auch sozialer Aufstieg ist nicht mehr so wichtig. Wichtig ist Stabilität. Und da sieht man heute, dass man das in normalen Anstellungen in der Wirtschaft nicht mehr so einfach bekommt. Es gibt aber noch Druck aus der Familie, etwa beim Bürgertum und bei Unternehmerfamilien. Dort wird Druck auf die Kinder ausgeübt, sich akademisch zu beweisen.

Bei Ihnen auch?

In meiner Familie gibt es das typisch iranische Augenmerk auf Bildung und dabei auf die sozusagen brauchbarsten Disziplinen. Medizin wollte ich nicht. Damit blieb nur der Ingenieur. Den hab ich dann auch gemacht.

Ist das Unternehmertum heute im Vergleich zu früher populär?

Es gewinnt wieder an Prestige. Aber das ist eine Reaktion darauf, dass die klassischen Karrierewege versperrt sind. Auch die Beamtenlaufbahn. Die Pragmatisierung ist heute keine gmahte Wiesn' mehr. Auch die Anstellung, bei der es irgendwann eine goldene Uhr zum Jubiläum gibt, ist eigentlich passé. Gleichzeitig gibt es einen gewissen Hype um Start-ups, der es cool erscheinen lässt, eine Firma zu gründen.

Ist das ein Comeback des Unternehmers?

Da bin ich skeptisch. Ich glaube nicht, dass Unternehmertum im eigentlichen Sinne wieder en vogue ist. Weil das wäre das Gegenteil der Anpasserkarrieren und des Schielens auf Prestige. Jeder Unternehmer muss einmal beginnen. Und da ist er noch nicht angesehen, erfolgreich und vermögend, sondern in aller Regel ein absoluter Spinner. Denn er setzt Mittel ein für etwas, von dem alle anderen sagen: Blödsinn, das kann nicht funktionieren. Aber natürlich ist jeder Karriereweg mit den damit verbundenen Bildungsentscheidungen irgendwie unternehmerisch. Man kommt dem eigentlich nicht aus. Die Frage ist: Wie hoch ist das Risiko bei meiner Karriereentscheidung? Diese Dinge sind zyklisch. Jetzt sind wir gerade in einer Phase, in der das Risiko bei einer früher risikolosen Karriere gewaltig in die Höhe geht.


Gab es das in dieser Form schon einmal?

Die Verdichtung ist neu, dass es so viele Bereiche umfasst. Das ist eine Folge des Konjunkturzyklus. Der führt in der Zeit des Booms zu einer Überschätzung von Möglichkeiten, Profiten und Lohnerwartungen – und einer Unterschätzung von Risken. In der Korrekturphase stagniert das. Damit werden auch die Erwartungshaltungen negativ. Man merkt das an der Antwort auf die Frage, wie man das Wohlergehen der nächsten Generation einschätzt. In Österreich ist das eigentlich schon gekippt. Da glauben viele, dass es ihren Kindern schlechter gehen wird. Diese Befürchtung halte ich für naheliegend.


War früher wirklich alles besser?

Meine Familie hat fast alles verloren, als Folge des Iran-Irak-Kriegs nach der Islamischen Revolution. Aber meine Eltern konnten sich etwas aufbauen, von null weg. Das war möglich in dieser Generation: in den Mittelstand aufsteigen. Heute ist das schwieriger. Die Vorstellung, mit einem Durchschnittsgehalt irgendwann eine Eigentumswohnung in Wien kaufen zu können, schwindet.


Woran liegt das?

Am Konjunkturzyklus und an der massiven Ausweitung der Geldmenge. Da kann die Produktivität nicht Schritt halten. Es kommt zu Verzerrungen. Bereiche profitieren, die nahe an der Geldschöpfung liegen. Etwa Banken. Dort, wo die Finanzwirtschaft besonders verdichtet ist, merkt man das auch am Immobilienmarkt – etwa in London, wo die Banker sehr ausgabenfreudig sind. Aber inzwischen merkt man das auch an einer Flucht in die Sachwerte. Auch das treibt die Immobilienpreise in die Höhe.

Hat der klassische Unternehmer heute also gar keine Chance?

Nur außerhalb der etablierten Strukturen. Deswegen sehen wir auch wachsendes Unternehmertum im Finanzindustriebereich. Das ist an sich eine Überraschung, weil das ja einer der am stärksten regulierten Bereiche überhaupt ist. Aber es ist auch kein Zufall, dass die Banken zu den uninnovativsten Unternehmen überhaupt gehören. Die reden zwar viel über Research und zahlen auch gute Honorare für Ideengeber. Aber in der Regel kommt dabei nichts heraus, weil Wertschöpfung und Produktivität aufgebläht sind. Da fehlt Dynamik. Das schafft Räume und Möglichkeiten für Leute, die das ganz anders machen, abseits der bestehenden Strukturen. Das Internet ist der letzte unregulierte Bereich. Auch weil es unregulierbar ist.

Was bedeutet das für junge Österreicher?

Zunächst wird sich die Lage noch verschlechtern. Es ist jetzt schon das größte Problem der Generation Y, dass ihnen die Eltern nicht mehr klar sagen, was sie tun sollen. „Mach, was dich interessiert“, heißt es da. Die jungen Menschen sind zum Teil richtig verzweifelt, weil ihnen der Reibebaum fehlt. Gleichzeitig hören sie, seitdem sie denken können, nur von Krise.

Sie sprechen von der Generation der heute 20- bis 30-Jährigen?

Ja. Die hören von der Krise – aber zugleich auch, dass ihnen die Welt offen steht. Da passt etwas nicht zusammen. Das zerreißt dich. In diesem Umfeld gehst du nicht noch zusätzlich das Risiko ein, unternehmerisch tätig zu sein. Deswegen werden sie lieber Funktionäre. Oder sie spielen Unternehmer – in subventionierten Start-ups. Dort betreiben sie nur Networking und lernen bloß, die richtigen Formulare auszufüllen, um an Förderungen zu gelangen. Die sind praktisch über ein Stipendium Unternehmer, wie ein Künstler. Und wenn das Geld aufhört zu fließen, ist es aus. Das ist die völlige Umdrehung des unternehmerischen Konzepts.

Steckbrief

Rahim Taghizadegan leitet die private Forschungs- und Bildungseinrichtung Scholarium in Wien, die an diesem Wochenende ihren zehnten Geburtstag feiert. Der Philosoph unterrichtet auch in Krems und in Liechtenstein.

Zwei Bücher sind erhältlich (beide FBV): In „Helden, Schurken, Visionäre“ analysiert er die Geschichte des Unternehmerbegriffs. In „Alles, was Sie über die Österreichische Schule der Nationalökonomie wissen müssen“, erklärt er die Theorien von Ludwig von Mises, F. A. Hayek und Co.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2016)

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