Es wirkt wie ein Rätsel: Die politische Krise in Italien lässt die Märkte kalt, Euro und Aktien legten sogar zu. Der Grund: Das Risiko war schon voll eingepreist – und die Anleger glauben nicht an baldige Neuwahlen.
Wien. Die Märkte sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Der italienische Premier stürzt und hinterlässt ein politisches Vakuum, das eine triumphierende Euro-feindliche Partei füllen könnte: Mitten in der Eurokrise hätte eine solche Nachricht ein gewaltiges Erdbeben an den Börsen ausgelöst.
Aber nichts dergleichen passierte am Montag. Im Gegenteil: Der europäische Aktienindex Euro Stoxx 50 und der deutsche DAX legten sogar deutlich zu, die Mailänder Börse notierte kaum verändert (nur Bankenwerte litten – siehe Seite 28). Der Euro verteuerte sich, niemand flüchtete in Gold, das sogar an Wert verloren hat. Italienische Staatsanleihen hatten in den vergangenen Wochen schon tiefere Kurse. Warum? Die einfachste Erklärung: Die drohende Gefahr war bereits eingepreist. Anders als vor Brexit und Trump-Sieg lagen die Meinungsforscher diesmal ganz richtig: Sie hatten Renzis Niederlage prophezeit, nur das Ausmaß kam überraschend. Die Investoren stellten sich darauf ein, gingen schon vor dem Wahlsonntag in Deckung und scheuten das Risiko.
Viele Hürden für Euro-Austritt
Aber warum sogar eine positive Reaktion? Sehr rasch setzte sich auf den Märkten die Meinung durch: Zu einer baldigen Neuwahl dürfte es nicht kommen. Als ihr Basisszenario sehen viele Analysten die Bildung einer aus Technokraten gebildeten Übergangsregierung, die sich einige Zeit hält – vermutlich sogar bis zum regulären Wahltermin 2018. Dass es schon bald zum Schlimmsten, nämlich einem Euro-Austritt Italiens kommt, erscheint weiterhin unwahrscheinlich. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung rund um den Ex-Komiker Beppe Grillo müsste dazu noch eine Reihe von Hürden nehmen: Neuwahlen durchsetzen, bei diesen siegen, die Verfassung ändern, damit eine Volksabstimmung über einen Austritt überhaupt möglich ist, und schließlich ein solches Referendum gewinnen. Wie fern ein solches Szenario immer noch liegt, scheint manchen Anlegern erst am Montag richtig bewusst geworden zu sein.
Und dann setzt die Börse noch auf einen anderen Italiener: Mario Draghi. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) hat bis jetzt noch jeden Anlass genutzt, um seine ultralockere Geldpolitik zu verlängern. Die Turbulenzen in Italien machen es wahrscheinlicher, dass die EZB bei ihrem Treffen am Donnerstag ihr (zuletzt bis kommenden März befristetes) Anleihenkaufprogramm um weitere sechs Monate verlängert. Damit drückt sie die Zinsen von Staatsanleihen und treibt die Marktteilnehmer in risikoreichere Anlagen wie Aktien.
Dennoch: Fast alle Analysten bedauern das Scheitern der politischen Reform in Italien. Und den Abgang Renzis, der doch einiges an wirtschaftlichen Reformen – vor allem am Arbeitsmarkt – auf den Weg gebracht hatte. Die Hoffnung, dass Italiens Wirtschaft kräftiger wächst und die Schulden sinken, rückt damit in weitere Ferne. (gau)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)