"Was Trump verspricht, ist völlig inkonsistent"

Was können wir von den Deutschen lernen? IHS-Chef Martin Kocher (l.) im Gespräch mit dem Wirtschaftsweisen Lars Feld.
Was können wir von den Deutschen lernen? IHS-Chef Martin Kocher (l.) im Gespräch mit dem Wirtschaftsweisen Lars Feld.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der deutsche Wirtschaftsweise Lars Feld und IHS-Chef Martin Kocher verschaffen Überblick: Warum Italien besser im Euro bleibt, Österreich Deutschland hinterherhinkt und den USA eine Schuldenpolitik wie unter Reagan schadet.

Die Presse: Bei der Sparpolitik für Eurokrisenländer hieß es immer: Da müssen sie durch, sie wollen ja im Euro bleiben. Für Italien ist das jetzt nicht mehr sicher. Das BIP pro Kopf stagniert dort seit eineinhalb Jahrzehnten. Verstehen Sie Italiener, die deshalb zurück zur Lira wollen?

Lars Feld: Verstehen kann ich so etwas immer. Aber es ist trotzdem der falsche Weg. Die Italiener kommen, selbst wenn sie aus dem Euro austreten, nicht um Reformen herum. Ihre alte Vorstellung – die eigene Währung regelmäßig abwerten – funktioniert nur kurzfristig. Auf Dauer kommt man genauso an die Grenze der Finanzierbarkeit.

Warum eigentlich?

Feld: Wenn die Löhne stärker steigen als die Produktivität, hat man einen Wettbewerbsnachteil. Eine Abwertung kann das zunächst kompensieren. Aber die Importe werden teurer, sie haben dadurch mehr Inflation. Das zieht wieder höhere Lohnabschlüsse nach sich. Der Vorteil der Abwertung ist so sehr schnell zunichte. Die Italiener haben das seit den Achtzigerjahren verstärkt gemacht, und sie standen am Ende gar nicht gut da. Deshalb wollten sie ja unbedingt hinein in den Euro: Weil sie eingesehen haben, dass es so nicht weitergeht.

Den Italienern ginge es also heute nicht besser, wenn sie auf den Euro verzichtet hätten?

Martin Kocher: Aller Voraussicht nach nicht! Natürlich sind die Menschen mit sinkenden Reallöhnen nicht zufrieden. Aber ein Austritt aus dem Euro würde dieses Problem nicht lösen.

Herr Feld, Sie sagen den Deutschen: Es ging uns nie so gut wie heute. Die Regierung aber kritisieren Sie als Wirtschaftsweiser scharf. Kann man bei falscher Politik erfolgreich sein?

Feld: Ja klar! Die alten Reformen der Agenda 2010 wirken fort. Gerade auf dem Arbeitsmarkt dauern die Prozesse sehr lang. Zu Hartz IV kamen damals Reformen bei Renten, Gesundheit, Steuern. Und viele Jahre Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften. Das alles sorgte dafür, dass die Firmen bis heute mehr investieren und Jobs im Inland schaffen. Der Finanzminister muss nicht ernsthaft sparen, weil wir für Anleger ein sicherer Hafen sind und sehr niedrige Zinsen haben. Aber gerade, wenn es wirtschaftlich gut geht, muss man wieder Reformen durchführen. Das verabsäumt die deutsche Bundesregierung.

Was läuft bei uns schlechter?

Kocher: Der Wachstumsabstand ist gar nicht so groß, entscheidend ist die viel höhere Arbeitslosigkeit. Das macht die Wahrnehmung um so viel negativer. Unsere letzten Reformen auf dem Arbeitsmarkt liegen fast 20 Jahre zurück. Vor der Krise haben wir keine durchgeführt, weil der Leidensdruck gefehlt hat. Während Deutschland noch die Lasten der Wiedervereinigung stemmen musste, hatten wir eine Sonderkonjunktur durch die Osterweiterung. Jetzt hinken wir hinterher.

Und die höhere Arbeitslosigkeit?

Kocher: Wir haben viele Geringqualifizierte, die keinen Arbeitsplatz finden, nicht einmal in Branchen, die Arbeitskräfte suchen. Aber auch das Arbeitskräftepotenzial steigt viel kräftiger als in Deutschland. Anders als dort wächst bei uns die Bevölkerung, vor allem durch früher stärkere Zuwanderung. Die Welle zusätzlicher Frauen, die meist Teilzeit arbeiten, hat bei uns etwas später eingesetzt.

Was könnten wir uns davon erwarten, Hartz IV zu kopieren?

Feld: Auf jeden Fall sinkt die Arbeitslosigkeit. Bei den Kosten ist es nicht so klar. Schon seit 1990 sind in Deutschland die niedrigsten Markteinkommen deutlich gesunken, und das haben wir durch viel Umverteilung ausgeglichen. Hartz IV ist am Ende teurer geworden als das vorherige System! Kurzfristig ist eine solche Reform also eine Belastung für das Budget, eine Investition in den Arbeitsmarkt. Auf längere Sicht gleicht es sich aus oder wird ein Gewinn. Im Moment ernten wir die Früchte dieser Politik.

In allen Industriestaaten wächst die Produktivität viel schwächer als früher. Gibt es dafür auch länderspezifische Gründe?

Kocher: Die Produktivität wird von Investitionen getrieben, und da hat Österreich eine Lücke. Wir investieren zu wenig. Nicht der Staat, sondern die Unternehmen.
Feld: In Deutschland geht es mehr um das Wie: Firmen investieren in den Bereichen zu wenig, in denen es große Innovationen gibt, etwa bei der Digitalisierung. Aber das ändert sich jetzt. Nehmen Sie den Maschinenbau: Gerade im deutschen Paradesektor ging die Produktivität sogar zurück – weil die Maschinenbauer maßgeschneidert auf Kundenwünsche eingehen und mehr begleitende Dienstleistungen anbieten. Die können sie nun einsparen: durch Industrie 4.0., durch mehr digitale Vernetzung.

Die Wahl von Donald Trump hat eine überraschende Rallye auf dem US-Aktienmarkt ausgelöst. Wird der neue Präsident wirklich mehr Wachstum bringen? Oder ist die Euphorie kurzsichtig?

Feld: Ich will den Finanzinvestoren nicht den Weitblick absprechen. Aber was Trump im Wahlkampf versprochen hat, ist völlig inkonsistent, in jeder Hinsicht. Die Anleger können also nur Hoffnungen haben. Für die Fiskalpolitik verspricht Trump das Gleiche wie Reagan, und es wird genauso wenig funktionieren. Wenn er die Steuern massiv senkt, vor allem für Unternehmen, dann kostet das viel. Zugleich will er viel mehr für Infrastruktur ausgeben. Und dann behauptet er, dass man dadurch Schulden abbauen könnte. Das hat schon bei Reagan nicht gestimmt. Es sind die einfachen Wahrheiten, die zählen.

Und das Wachstum?

Feld: Die Steuersenkung hätte gute Chancen, mehr Wachstum zu bringen. Aber wenn dabei die Schuldenquote auf über 100 Prozent steigt, müssen sich Investoren fragen: Kann ein Land das durchhalten, wie belastbar ist der Haushalt?

Das sollte den Geldgebern keine Sorgen bereiten, solange der Dollar die Weltleitwährung ist . . .

Feld: Wenn die USA noch mehr Geld leihen müssen, bekommen sie das nicht allein aus dem Inland. Sie müssen also Kapital importieren. Dem entspricht in der Zahlungsbilanz mehr Import von Waren und Dienstleistungen. Und das passt überhaupt nicht zu der protektionistischen Linie, die Trump sonst fährt. Er will ja die Importe beschränken. Dann fehlt ihm aber Kapital von außen. Da steht uns also eine interessante Zeit bevor.

Zu den Personen

Lars Feld (50) lehrt in Freiburg und zählt als einer der fünf Wirtschaftsweisen zu den bekanntesten deutschen Ökonomen.

Martin Kocher (43) ist einer der aktivsten deutschsprachigen Verhaltensökonomen und leitet seit September das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien.

Die WKO lud beide Experten zu ihren „Wirtschaftspolitischen Gesprächen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2016)

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