Ende des Euro? „Nicht so schlimm“

Martin Feldstein
Martin Feldstein (c) Bloomberg (Tomohiro Ohsumi)
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Reagans Berater Martin Feldstein hielt die Eurozone von Anfang an für falsch konstruiert. Heute plädiert er für eine Nord-Süd-Aufspaltung. Die Furcht vor Trump sei übertrieben.

Die Presse: Sie waren einer der frühen, prophetischen Kritiker des Euro. Seine Krise schien Ihnen recht zu geben. Aber mittlerweile herrscht Ruhe. Auch die aktuellen politischen Turbulenzen in Italien können die Investoren nicht erschüttern. War Ihre Skepsis übertrieben?

Martin Feldstein: Wäre ich ein Italiener, würde ich sagen: Dieser Feldstein hat den Ernst des Problems sogar noch untertrieben. Einige Länder haben sich gut geschlagen, auch Österreich. Die Hoffnung für Länder wie Italien und Spanien war, dass eine Mitgliedschaft in der Eurozone sie zwingt, produktiver zu werden. Aber diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Und das Resultat ist: 20 Prozent Arbeitslose in Spanien, keine Einkommenszuwächse in Italien seit über einem Jahrzehnt. Wir sehen große politische Unzufriedenheit in der Eurozone. Da geht es nicht nur um wirtschaftliche Themen, auch um Probleme mit der Zuwanderung. Aber wenn die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien einen Euroaustritt durchsetzen will, sagt das schon viel aus. Es führt eben zu ernsten Problemen, wenn sich Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder nie angleichen.

Viele Ihrer angelsächsischen Kollegen und Politiker fordern von den europäischen Regierungen seit Jahren: Entspannt euch, erhöht die Ausgaben, macht Eurobonds, trotz der hohen Schulden. Schließen Sie sich an?

Die Fiskalpolitik lockern kann funktionieren, wenn die politischen Verhandler im Gegenzug Strukturreformen umsetzen können. Etwa indem man die Lohnsteuer senkt und dafür das Arbeitsrecht liberalisieren kann. Aber in manchen Ländern sind die politischen Widerstände gegen Veränderungen einfach zu groß. Dort wird die Arbeitslosigkeit auch hoch bleiben. Und wenn man in einem Land wie Italien, mit einer Schuldenquote von 135 Prozent, einfach nur die staatlichen Ausgaben erhöht, macht das keinen Sinn.

Hat der Euro eine Zukunft oder ist er zum Untergang verdammt?

Den Euro rückabwickeln wäre nicht einfach. Aber es könnte dazu kommen. Und es dürfte gar nicht so schlimm sein, wenn man es vernünftig macht. Manche haben eine Aufteilung vorgeschlagen, in einen harten Nord-Euro und einen weichen Süd-Euro. Das wäre dann kein völliger Zerfall, würde aber doch einiges ändern. Wie soll eine Alternative aussehen, bei der die südlichen Krisenländer innerhalb der Eurozone funktionieren können? Ich sehe keine.

Sie warnen in den USA vor neuen Blasen an den Börsen und bei Gewerbeimmobilien als Folge der ultralockeren Geldpolitik. Die gibt es auch in Europa. Sehen Sie hier die gleiche Gefahr?

Ich sehe einen großen Unterschied: In Europa gibt es weit weniger Aktienbesitzer als in den USA. Deshalb bilden sich hier nicht so leicht und schnell Blasen.

Kommen wir zu Amerika. Der Sieg von Donald Trump hat eine Aktienrallye an den US-Börsen ausgelöst. Erwarten die Investoren mehr Wirtschaftswachstum?

Nicht in allen Branchen sind die Kurse stark gestiegen. Der Finanzbereich erhofft sich weniger Regulierung und keine Anti-Banken-Einstellung wie unter der Obama-Regierung. Auch der Gesundheitssektor setzt auf eine geschäftsfreundlichere Politik. Die Aktienmärkte spiegeln die Erwartungen für Firmengewinne wider, nicht für das allgemeine Wachstum. Auch der designierte Finanzminister glaubt nicht an einen Wachstumsschub. Aber die Unternehmen könnten stark davon profitieren, wenn sie Auslandsgewinne künftig nicht mehr voll nachversteuern müssen, sobald sie sie ins Land zurückbringen – dieses System gibt es ja nur in den USA.

Der künftige Präsident wettert gegen die Globalisierung, verspricht protektionistische Maßnahmen und droht Unternehmen, die Arbeitsplätze verlagern wollen. Das klingt nicht nach Handelspolitik aus dem Lehrbuch. Macht Ihnen das Sorgen?

Man muss sich sicher Sorgen machen. Auch wenn ich nicht glaube, dass es wirklich dazu kommt. Wir haben Verpflichtungen gegenüber der Welthandelsorganisation. Vom Handel mit Kanada profitieren wir auch in einem ganz engen Sinn: Wir exportieren dorthin mehr als wir importieren. Da werden wir doch nicht unser Nafta-Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko zerreißen. Viele US-Firmen machen einen sehr großen Teil ihrer Umsätze in China. Auch da werden wir uns die Beziehung nicht kaputt machen. In vielen von Trumps Aussagen zum Außenhandel gab es eine Wenn-Klausel: „Wenn wir keinen besseren Deal verhandeln können... – dann zerreiße ich Verträge, dann führe ich hohe Zölle ein.“ Trumps Kritiker, aber auch viele seiner Anhänger zitieren immer nur den zweiten Teil und lassen die Bedingung weg. Aber dieses Wenn ist sehr wichtig. Es dürften also die Handelsverträge etwas nachgebessert werden, nicht mehr. Beim alten Nafta-Vertrag von 1994 wollen das ja auch die Mexikaner selbst.

Im Wahlkampf hat Trump Steuersenkungen und ein Infrastrukturprogramm über eine Billion Dollar versprochen. Wird das die Nachfrage beflügeln oder die Schulden in die Höhe treiben?

Wenn die wirklich eine Billion über zehn Jahre hinweg ausgeben, steigert das klarerweise die Nachfrage. Aber nicht die Produktionsmenge, weil wir schon fast Vollbeschäftigung haben. Es führt also zu höherer Inflation. Und damit sind hier klare Grenzen gesetzt.

ZUR PERSON

Martin „Marty“ Feldstein (77) ist einer der einflussreichsten US-Ökonomen. Der Harvard-Professor war der wichtigste Wirtschaftsberater von Präsident Reagan. Von 1987 bis 2009 arbeitete er auch als Vorstand beim Versicherungskonzern AIG. Seine Vorschläge zur Teilprivatisierung des Pensionssystems inspirierten die Rentenreform von George W. Bush. Aber auch Obama hörte nach der Finanzkrise auf seine Expertise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2016)

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