Jedes siebente Unternehmen will Österreich (teilweise) verlassen

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Woran krankt Österreichs Industrie? Das Wifo befragte 1000 Unternehmen, um eine Antwort zu finden. Das Fazit: Sie expandieren schlau, könnten aber mutiger sein.

Wien. Die österreichische Industrie erlebt ein vorweihnachtliches Zwischenhoch. Beschäftigung, Aufträge und Output steigen. Für kein anderes Euromitglied finden die Experten des IHS-Markit-Instituts zurzeit bessere Aussichten als für Österreich. Dennoch, strukturell bleibt die Industrie angezählt: Die Wettbewerbsfähigkeit im Land stagniert, die Exporte hinken immer noch dem Niveau vor der Krise hinterher. Was die Regierung tun könnte, um diese Probleme zu mildern, ist zwar nicht umgesetzt, zumindest aber hinlänglich bekannt. Doch wie schätzen eigentlich die Unternehmen selbst ihre Lage ein? Reagieren sie richtig auf wachsenden Wettbewerb? Und wo lassen sie Chancen ungenutzt liegen?

Die Produktion wird verlagert

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo eine Befragung unter 1000 heimischen Industriebetrieben durchgeführt. Ein Drittel hat geantwortet. Die Ergebnisse liegen der „Presse“ exklusiv vor – und sind einigermaßen beunruhigend.

Vielleicht die größte Überraschung: Jedes siebente Industrieunternehmen im Land plant laut der Befragung ernsthaft, zumindest Teile seiner Produktion in den kommenden fünf Jahren aus Österreich abzuziehen. Dass die rekordverdächtig hohe Steuer- und Abgabenquote im Land, der Bürokratiedschungel und die unflexiblen Arbeitszeitregelungen die Heimatliebe der Unternehmer nicht unbedingt steigern, wussten auch die Wifo-Forscher schon vorab. „Die Dimension hat uns aber schon überrascht“, sagt Studienleiter Werner Hölzl vom Wifo.

Ob diese Entwicklung allerdings wirklich so problematisch ist, wie sie auf den ersten Blick aussieht, sei allerdings noch offen, sagt er. „Das hängt stark davon ab, aus welchen Gründen die Unternehmen ihre Produktion auslagern wollen“, so der Ökonom. Expandieren die Unternehmen etwa in andere Märkte (so wie die Voestalpine in den USA) und müssen daher ihre Fertigung aufstocken oder verlagern, sei das meist weniger dramatisch. Bei den meisten Unternehmen würden dann im Gegenzug entsprechende Arbeitsplätze im Management oder in der Forschung in Österreich aufgebaut. Schrumpfen die Unternehmen hingegen und verschwinden aus reinen Kostenüberlegungen aus Österreich, sei die Lage ganz anders.

Generell zeigten die befragten Unternehmen aber ein sehr hohes Bestreben, in Österreich zu bleiben. Viele loben die gute Qualifizierung ihrer Schlüsselarbeitskräfte oder die gut ausgebaute Infrastruktur. Zwei Drittel der Unternehmen waren zudem der Meinung, dass sich Produktion und Innovation ohnedies nicht voneinander trennen ließen. Sie könnten also nur komplett abwandern oder eben komplett in Österreich bleiben.

Das trifft insbesondere auf die vielen österreichischen Maschinenbauer zu, die ihre Waren jedes Mal an die Wünsche der Kunden anpassen (müssen) und nur geringe Stückzahlen produzieren.

International sieht die Entwicklung ganz anders aus. Gerade in der Elektronikbranche hat sich ein Modell etabliert, bei dem westliche Unternehmen wie etwa Apple ihre Produkte zwar in den USA entwickeln und designen, aber von Lohnfertigern in Asien zusammenbauen lassen. Für die meisten Unternehmen in Österreich ist eine derartige Entwicklung (noch) nicht in Sicht.

Wettbewerbsfähigkeit stagniert

Bis dato hat sich die Abwanderung der Industrie in Grenzen gehalten. Schrumpfte der Anteil der Sachgütererzeugung an der Wirtschaftsleistung weltweit von 21,4 Prozent im Jahr 1995 auf 14,7 Prozent im Jahr 2014, so blieb der Wert in Österreich im selben Zeitraum nahezu stabil bei knapp 19 Prozent.

Doch der Druck, sich stärker in internationale Wertschöpfungsketten zu integrieren, steigt. Noch schützt ihre hohe Wettbewerbsfähigkeit die Unternehmen davor, sofort über die Grenze gehen zu müssen. Doch seit einigen Jahren befindet sich ihre Wettbewerbsfähigkeit in einer gefährlichen Stagnation. Um Forderungen, wie die Politik diesen Prozess abfangen sollte, sind die befragten Unternehmen nicht verlegen: 92 Prozent wünschen sich ein flexibleres Arbeitsrecht, 88 Prozent fordern eine niedrigere Steuer- und Abgabenquote, 82 Prozent hätten gern bessere Lehrlinge und Mittelschulabsolventen. Und immerhin zwei von drei Unternehmen wären bereit, für eine Senkung der Steuern und Abgaben auf den Faktor Arbeit auch eine höhere Besteuerung des Eigentums zu akzeptieren.

Aber die Politik trägt nie die alleinige Verantwortung dafür, wie gut sich ein einzelnes Unternehmen im Wettbewerb behaupten kann, erinnert Werner Hölzl. Die relevanten Entscheidungen fällten die Unternehmer selbst. Und auch hier habe sich in Österreich Aufholbedarf angestaut. „Seit der Krise ist die Produktivität bei den österreichischen Unternehmen nicht mehr wirklich gestiegen“, sagt Werner Hölzl.

EU-weit liegt sie auf dem für österreichische Verhältnisse schwachen neunten Platz. All das Gerede über Digitalisierung und Industrie 4.0 hat also offenbar noch nicht dazu geführt, dass die heimischen Unternehmen ihre Produktivität auch wirklich steigern konnten.

Investiert Österreichs Industrie also zu wenig oder falsch? Klammert sie sich zu lang an altbewährten Produkten fest? Bleiben die Österreicher „Nischenweltmeister auf sterbenden Märkten“, wie ihnen oft attestiert wird?

Die Wifo-Studie kann diese beliebte These nicht bestätigen. Dem Großteil der befragten Unternehmen ist durchaus bewusst, dass der Aktionsradius über die Kernmärkte Österreich, Deutschland und die EU ausgeweitet werden muss. Fast jedes zweite Unternehmen gibt an, dass nicht europäische Industrie-und Schwellenländer in den kommenden Jahren als Zielmärkte für ihr Unternehmen an Bedeutung gewinnen werden. Örtliche Nähe spielt dabei kaum noch eine Rolle. Sechs von zehn Firmen haben zuletzt neue Märkte erschlossen. Fast alle (86 Prozent) haben bewusst jene Länder gewählt, in denen sie das größte Wachstumspotenzial sehen.

Zu wenig Mut für Neues

Dass sie sich in China oder Südamerika nicht mit den Billigsten werden messen können, ist den Unternehmen klar. Nur sieben Prozent sehen ihren Vorteil auf dem Weltmarkt in niedrigen Preisen. Stattdessen setzt die Mehrheit auf Qualität oder eine Nischenstrategie (siehe Grafik). In Zukunft, da sind sich die Unternehmen einig, wird der Wettbewerb härter werden. Neben der Qualität werde auch der Preis eine größere Rolle spielen.

Spätestens dann werden auch Österreichs Unternehmen umdenken müssen. „Über den Preis werden sie nie gewinnen können“, sagt Wifo-Ökonom Werner Hölzl. Aber die Unternehmen müssten sich verändern – und zwar schneller als sie es bisher tun. Dazu trage auch die Wirtschaftspolitik einiges bei. So werde die Forschungsförderung etwa „mit der Gießkanne über alle gleich ausgeschüttet“, statt gezielt jene Unternehmen zu unterstützen, die etwas außerhalb ihrer Komfortzone probieren, was wirklich Fortschritte bringen könnte. Das Resultat: viel Optimierung der bekannten Stärken und zu wenig Mut für wahre Innovation. Das allein werde nicht reichen, so das Wifo. Österreichs Unternehmen „müssen ihren Wettbewerbsvorteil jeden Tag neu erarbeiten“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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