Das Ende der Bella Figura

Venedig lebt schon lang sehr gut damit, eine sterbende Stadt zu sein. In Italiens Politik und Wirtschaft aber funktioniert das Weiterwursteln nicht mehr.
Venedig lebt schon lang sehr gut damit, eine sterbende Stadt zu sein. In Italiens Politik und Wirtschaft aber funktioniert das Weiterwursteln nicht mehr.AFP
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Auf das Scheitern des Reformers Renzi in Italien haben die Finanzmärkte erstaunlich gelassen reagiert. Aber für die italienischen Banken wird die Lage damit immer prekärer.

Es gibt zwei Erzählungen über Italien und seine Krise. Die eine klingt so: Die Italiener sind doch Überlebenskünstler. Sie haben in 70 Jahren Demokratie 68 Regierungen überstanden. Oft ging es ihnen wirtschaftlich gerade dann am besten, wenn politisch das größte Chaos herrschte. Warum sollte ihr Land nicht auch den Fall des Reform-Premiers Matteo Renzi überstehen, der am Montag nach seinem spektakulär gescheiterten Verfassungsreferendum eilig zurücktreten musste? Bella Figura macht das in internationalen Medien nicht. Aber am Ende ist es doch nur Theaterdonner, große politische Oper.

Die andere Erzählung: Diesmal haben die Italiener den Bogen überspannt. Indem sie den Hoffnungsträger Renzi stürzten, der das Land mit viel Elan modernisieren wollte, haben sie aller Welt gezeigt, dass sie reformunfähig sind. Weniger aus ideologischen Gründen, wie die Franzosen. Sondern eher deshalb, weil zu viele von einem morschen System, das alle wortreich beklagen, zugleich auch profitieren. Welcher der beiden Erzählungen die Finanzmärkte glauben, entscheidet nun über Italiens Schicksal. Im ersten Moment haben sie erstaunlich gelassen auf das politische Beben reagiert, das Radikalpopulisten an die Macht bringen könnte: die Fünf-Sterne-Bewegung rund um den Ex-Komiker Beppe Grillo, der für einen Austritt Italiens aus der Eurozone oder gar der EU trommelt. Aber mit der Ruhe könnte es rasch vorbei sein, wenn das finanzielle Fundament wegbricht. Acht Banken brauchen dringend Kapital, vor allem Monte dei Paschi di Siena. Das drittgrößte Geldhaus des Landes sollte von der Aufbruchstimmung nach einem geglückten Referendum profitieren, um fünf Milliarden von privaten Investoren aufzutreiben. Diese Hoffnung ist nun zunichte. Einen Aufschub fürs Rettungskonzept lehnt die EZB ab. Bleibt wohl nur eine Teilverstaatlichung, um eine Kettenreaktion und eine neue Eurokrise zu verhindern.

Hinter der akuten Zuspitzung steht ein langes Siechtum der drittgrößten Volkswirtschaft des Währungsraums. Sie zeigt sich kaum in den eleganten Städten des Nordens, aber umso mehr im verarmten Mezzogiorno. Fast 40 Prozent der jungen Italiener sind arbeitslos, eine verlorene Generation. Investitionen bleiben aus, die Produktivität ist zu schwach. Seit Ende der Neunzigerjahre gibt es keinen Zuwachs an Wohlstand – eine weltweit fast einmalige Situation. Vor 2008 war das Wachstum schwach, dann folgten zwei schwere Rezessionen. Erst seit Kurzem weist die Kurve wieder zaghaft nach oben. Aber bis Italien auch nur das Vorkrisenniveau wieder erreicht, dauert es laut Prognose des Internationalen Währungsfonds noch bis 2022.

Zu wenig Leidensdruck. Frühere Problemländer wie Spanien, Portugal und Irland sind schon viel weiter. Sie haben ihre Banken saniert und Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen, dank geringerer Lohnstückkosten, wie das die Ökonomen nennen. Dazu muss die Produktivität steigen: durch einen flexibleren Arbeitsmarkt und Öffnung geschützter Sektoren. Oder die Löhne müssen sinken. Eine solche innere Abwertung ist schmerzhaft. Um sie politisch durchzusetzen, braucht es meist den Druck rettender Geldgeber von außen. Dieser Druck hat in Italien gefehlt. Also sind die Löhne viel zu lang weiter gestiegen. Auch mit Strukturreformen, vor allem im Arbeitsrecht, hat erst Renzi seit Februar 2014 Ernst gemacht – eine zu kurze Zeitspanne, um die Lage spürbar zu verbessern.

Vom Sparen hielt auch Renzi nichts, immer wieder legte er sich deshalb mit Brüssel an. Die Schuldenquote ist auf dramatische 135 Prozent des BIPs gestiegen. Mehr hat in Europa nur Griechenland. Warum aber brauchte Italien bisher keine Hilfe von außen? Ähnlich wie in Japan halten dort nicht ausländische Investoren das Gros der Staatsanleihen, sondern Banken und Bürger des eigenen Landes. Die Unternehmen hängen am Tropf der Geldinstitute, italienische Kleinanleger kaufen den Banken deren Schuldtitel ab.

Wo jeder jeden stützt, entzieht keiner sein Vertrauen, ohne sich selbst zu schaden. Aber die Rezessionen trieben viele Firmen in den Ruin. Nun sitzen die Banken auf 360 Milliarden Euro an faulen Krediten, von denen nur 45 Prozent abgeschrieben sind. Wenn sie nun eilig große Mengen an Kapital benötigen, kann es nur aus dem Ausland kommen – dazu braucht es sehr wohl das Vertrauen fremder Investoren in die wirtschaftliche Zukunft des Landes.

Der Euro sei schuld am Niedergang, trommeln jetzt die Populisten. Hätten die Italiener die Lira behalten, könnten sie wie früher abwerten und sich so auf dem brutalen Weltmarkt Luft verschaffen. Aber dass diese Medizin nur Symptome bekämpft und den Patienten auf Dauer immer weiter schwächt – diese Erfahrung haben die Italiener schon in den 1980er- und 1990er-Jahren gemacht, weshalb sie aus gutem Grund in den Euro drängten. Dass sie ihren staatlichen Schuldenberg überhaupt noch finanzieren können, verdanken sie einem Römer in Frankfurt: EZB-Chef Mario Draghi, der Zinsen und Risikoaufschläge künstlich niedrig hält. Aber nur für Italien lässt sich diese immer riskantere Geldpolitik auf Kosten der Sparer nicht ewig fortführen.

Das alles zeigt: Mit dem fröhlichen Chaos ist es ein für alle Mal vorbei. Die Bella Figura genügt nicht mehr. Nur durch eine „Buona Struttura“ kommt Italien wieder auf die Beine – eine unbequeme Wahrheit, die sich auch nicht per Referendum abwählen lässt.

In Zahlen

943tausend Italiener
sind zwischen 2007 und 2014 arbeitslos geworden. 70 Prozent davon kommen aus dem Süden des Landes.

360Milliarden Euro
an faulen Krediten lauern in den Büchern der italienischen Banken. Nur für 45 Prozent davon ist in den Bilanzen vorgesorgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2016)

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