Das Schattendasein der Betriebspension

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Die zweite Pensionssäule ist ein ideologischer Spielball. Rechtliche Hürden und enttäuschte Gewinnerwartungen schadeten ihrem Ruf.

Wien. Österreichs Pensionssystem gleicht einem Sessel mit drei Beinen – einem, bei dem das eine Bein neunmal länger ist als die anderen beiden zusammen. Weniger metaphorisch: Die Altersvorsorge der Österreicher lastet zu 90 Prozent auf dem Staat. Und Experten sagen nicht erst seit gestern, dass es einen Ausgleich zu den unter Schwarz-Blau im Jahr 2000 beschlossenen Einschnitten bei der gesetzlichen Pension brauche und die Lage spätestens mit Pensionsantritt der Babyboomer in zehn bis 15 Jahren eine kritische Schwelle erreiche.

Schweizer wählten die Pflicht

Die Vertreter der betrieblichen Altersvorsorge pochen naturgemäß auf die Stärkung der zweiten Säule. Etwa 25 Prozent der österreichischen Beschäftigten haben aktuell Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge. Der europäische Durchschnitt liegt mit rund 50 Prozent deutlich höher. Zur Veranschaulichung: Österreich hat zwölf Pensionskassen. Sie verwalten rund 20,6 Mrd. Euro. Gemeinsam mit dem Vermögen bei Versicherungen, Abfertigungskonten und Betrieben trägt die zweite Säule relativ luftige 34 Mrd. Euro.

Die Schweiz hingegen hat insgesamt rund 1800 betriebliche Vorsorgeeinrichtungen mit einem verwalteten Vermögen von 726 Mrd. Euro. Was daher rührt, dass die Schweizer wie auch die Norweger und die Dänen ein Obligationsmodell haben: Dort muss der Arbeitgeber für seine Mitarbeiter in die Betriebsrente einzahlen. Diese Aufgabenteilung zwischen Staat und Betrieb ist zur Gewohnheit geworden.

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Österreich mit seinem alles dominierenden staatlichen Umlagesystem ist anders. Das sei nichts Schlechtes, sondern vor allem ein Qualitätsmerkmal, gibt sich Andreas Zakostelsky, der Obmann des Fachverbands der Pensionskassen, diplomatisch. „Doch wir erlauben den Politikern, über ihre Legislaturperiode hinauszudenken.“

Eine Branche auf der Hut

Betriebspensionsexperte Thomas Wondrak nennt die Diskussion über sichere Pensionen – hier die Front derer, die das staatliche Umlagesystem als das einzig sichere betrachtet, dort die Fraktion, die es für heillos überlastet hält – ein politisches Spiel, bei dem beide recht und unrecht hätten. „Solange wir in Österreich alle verdienen, ist es finanzierbar“, sagt er. „Die eigentliche Frage ist nur: in welcher Höhe?“ Es ist ein Spiel, bei dem der einzelne Bürger am Ende schlecht aussteigen könnte.

Dass sich die zweite Säule keiner größeren Beliebtheit erfreut, wurzelt nicht nur in Ideologien, sondern auch in den unschönen Erfahrungen, die Pensionisten in der Vergangenheit nach Umstieg in ein Betriebspensionsmodell gemacht haben. Vielen sind die Prozesse der ehemaligen ORF- und Bank-Austria-Mitarbeiter ein Begriff. Ihnen wurden beim Eintritt in die Pensionskasse Rechnungszinsen von bis zu 6,5 Prozent versprochen. Dann stürzten die Aktienmärkte 2002 ab und die prophezeiten Beträge wurden mit Verweis auf die Börsenflaute zusammengestrichen.

Die Branche hütet sich seitdem vor zu vollmundigen Versprechen und weist deutlicher auf das Anlagerisiko bei Pensionskassen hin. Der Gesetzgeber führte 2004 auch eine Höchstgrenze für den Rechnungszins ein. Dieses Jahr erzielten die Pensionskassen einen Ertrag von 3,3 Prozent. „Wir liegen heute nicht schlecht, nur die Erwartungshaltung ist wie damals das Problem“, sagt Wondrak. All jenen, die nach wie vor das Geschäft ihres Lebens von dieser Art der Altersvorsorge erwarteten, sage er: „Es ist kein Spekulationsinstrument, sondern eine Alterssicherung.“

Deutsche Einigkeit

Wie es aussehen kann, wenn sich die Koalitionspartner auf einen Richtungswechsel im Pensionssystem einigen und vorweg die Haftungsfrage klären, kann man zurzeit in Deutschland beobachten. Dort soll 2017 das Betriebsrentenstärkungsgesetz beschlossen werden. Hinter dem sperrigen Wort steht ein von SPD und CDU erarbeiteter Plan zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge. Die Ausgangslage erinnert frappierend an Österreich: 2001 brachte die Riester-Rentenreform deutliche Kürzungen bei den gesetzlichen Pensionen. „Wir haben den Aufbau des Parallelsystems der zweiten und dritten Säule aber unter Freiwilligkeit gestellt“, sagt Heribert Krach, der Chef der deutschen Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersvorsorge (ABA). „Es wurde schnell deutlich: So bekommen wir keine adäquate Altersversorgung zusammen.“ Also steckte die Koalition viel Herzblut in das Prestigeprojekt, das noch vor der Bundestagswahl 2017 erledigt sein soll: Man einigte sich auf steuer- und beitragsfreie Arbeitgeberzahlungen, Sonderförderungen für Geringverdiener und vereinbarte als zusätzlichen Anreiz ein Opting-out-Prinzip.

In Österreich, wo die Firmenlandschaft ähnlich stark von Klein- und Mittelbetrieben getragen wird, fordern Pensionskassenvertreter analoge Schritte – vor allem die Regel, dass Kollektivverträge eine betriebliche Altersvorsorgelösung enthalten, außer wenn der Arbeitnehmer im Einzelfall widerspricht.

Der Vergleich mit Deutschland hinkt aber. Das liegt an einem entscheidenden gesetzlichen Unterschied, der auch den heimischen Befürwortern der zweiten Säule bewusst ist: In Deutschland ist die Gehaltsumwandlung erlaubt – in Österreich ist sie seit 1999 verboten. Was das bedeutet? Ein findiger Ministerialrat hatte Ende der 1990er erkannt, dass dem Finanzministerium Millionen an Steuern und Sozialversicherungsabgaben entgingen, nachdem es mit Einführung der zweiten Säule 1991 Usus wurde, die Betriebspension als begünstigten Arbeitgeberbeitrag zu bewerten. Denn dieser ist bis zu einer Grenze von zehn Prozent des Gehalts von allen Lohnnebenkosten, Steuern und Versicherungsbeiträgen befreit.

Ein schlechtes Geschäft für den Staat. Also schob man der Praxis einen Riegel vor. Womit die zweite Säule de facto acht Jahre nach ihrer Einführung zu Grabe getragen wurde. Eine einzige Ausnahme ließ man offen: Sofern es einen Kollektivvertrag gibt, der die Umwandlung von Gehalts- in Pensionszahlungen vorsieht, sind sie erlaubt und als Arbeitgeberbeitrag begünstigt.

Durch die Hintertür

2012 wurde die Hintertür erstmals von der IT–Branche in ihrem Kollektivvertrag (KV) geöffnet. Eine Handvoll weiterer Branchen sind dem Beispiel bis dato gefolgt – etwa das Baugewerbe, die Speditionen und die Versicherungen. Ralph Felbinger, Experte für die betriebliche Altersvorsorge, warnt jedoch: „Wenn das im großen Stil gemacht wird, werden die Sozialversicherungen und der Staat nicht tatenlos zusehen, das tut ihnen weh.“

Vorerst besteht aber keine Gefahr, dass diese Praxis Schule macht. Um 50 Prozent der österreichischen Erwerbstätigen in der zweiten Säule aufzufangen, wie es sich die Pensionskassen wünschen, müssten die großen Branchen wie der Handel oder das Gewerbe die Regelung in ihren KVs verankern. Vom sozialpartnerschaftlichen Konsens ist man dort noch weit entfernt, weiß Wondrak, der als selbstständiger Berater oft Verhandlungen begleitet. Bei der diesjährigen Metallerlohnrunde etwa sei eine Betriebspension im Vorfeld thematisiert worden – „aber die Chance auf 0,10 Prozent mehr Gehalt war in dem Moment doch wichtiger“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2016)

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