„Auch Zufriedene sind grantig auf die Politik“

Für Wifo-Chef Christoph Badelt würden sich die USA mit Trumps Protektionismus ins eigene Fleisch schneiden.
Für Wifo-Chef Christoph Badelt würden sich die USA mit Trumps Protektionismus ins eigene Fleisch schneiden. (c) Clemens Fabry
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Wifo-Chef Christoph Badelt über das Schicksal schwächeren Wachstums, den Einfluss von Stimmungen, den „unguten Populismus“ in der Migrationsdebatte – und wie man Investoren abschreckt.

Die Presse: Die Wirtschaft wächst, aber nicht sehr stark. Sie sagen: auf Dauer. Warum geht nicht mehr? In Amerika war das Wachstum zuletzt doppelt so hoch.

Christoph Badelt: Die USA sind viel autarker, sie haben eine starke Binnenkonjunktur. Wir sind ein kleines Land, unsere Wirtschaft ist sehr von den Exporten und der europäischen Konjunktur abhängig. Hier fehlt der Drive. Warum das offenbar langfristig so ist, darüber lässt sich nur philosophieren. Es zeichnet sich ab, dass wir in Europa in einem dauerhaften, „säkularen“ Wachstumsrückgang stecken. Das kann letztlich nur von der Nachfrage her erklärt werden.

Wir haben früher stark von Osteuropa profitiert. Warum ist das heute, nach der überwundenen Krise, nicht mehr so? Diese Länder haben noch viel aufzuholen.

Der große Starteffekt der Ostöffnung ist weg. In den vergangenen Jahrzehnten, als wir noch höheres Wachstum gehabt haben, haben wir uns von einem Sondereffekt zum nächsten weiterbewegt: Fall des Eisernen Vorhangs, EU-Beitritt, Euroeinführung, Ostöffnung. Sie fehlen uns jetzt.

Hilft in den USA nicht auch, dass die Amerikaner meist viel optimistischer in die Zukunft blicken als wir? Welchen Einfluss haben Stimmungen?

Einen sehr großen! Manche Sektoren der Wirtschaft sind stark von Stimmungen geprägt. Etwa im Tourismus – ob die Terrorangst steigt oder sinkt. Das Vertrauen der heimischen Konsumenten war lang ganz schlecht. Seit heuer ist der Index wieder positiv, und zugleich steigt auch der Konsum.

Steckt dahinter nicht das harte Faktum der Steuerreform – dass die Leute einfach mehr in der Geldbörse haben?

Es geht auch um die Sparquote. Wenn in eher schwachen Zeiten gespart wird, ist das Vorsichtssparen. Es hat mit der traditionellen konservativen Haltung der Österreicher zu tun. Sie machen sich bei den extrem niedrigen Zinsen ja nicht gerade reich, wenn sie sparen. Die Amerikaner sind da anders gestrickt. Was paradox ist, weil wir ein viel besseres Alterssicherungssystem haben.

Lassen sich auch Unternehmer bei ihren Investitionsentscheidungen von Stimmungen lenken?

Sie orientieren sich an Gewinnerwartungen und Absatzchancen. Vor allem die Erweiterungsinvestitionen dümpeln weiter dahin. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Die Entscheider gehen gegenwärtig davon aus, dass sich ein Ausbau der Kapazitäten nicht lohnt.

Wie spielen Stimmungen bei Standortentscheidungen von Firmen mit?

Was Unternehmen wirklich abschreckt, ist die Unsicherheit über politische Rahmenbedingungen. Permanentes lautes Nachdenken über neue Steuern ist ganz schädlich. Ein Steuersystem kann ruhig ein wenig schlechter sein als woanders – solang man sich darauf verlassen kann, dass es einigermaßen konstant bleibt, dass man also auf dieser Basis planen kann.

Laut einer aktuellen Erhebung der Statistik Austria sind die Österreicher hoch zufrieden. An der Wahlurne aber laden sie viel Frust ab. Wie passt das zusammen?

Man kann mit seinem persönlichen Leben durchaus zufrieden sein und zugleich extrem grantig auf das politische System. In den USA haben ja nicht nur Stahlarbeiter für Trump gestimmt. Ich bin kurz nach der Wahl in Washington mit zwei alten, sehr reichen Unternehmern zusammengekommen. Die haben mir gesagt: Jetzt kann man endlich „den Laden in die Luft sprengen“.

Früher lauteten US-Wahlslogans: „It's the economy, stupid!“. Warum entkoppelt sich heute der wirtschaftliche Erfolg vom Erfolg der regierenden Politiker?

Das halte ich für ein Zeichen von wachsender Reife. Die gute oder schlechte Entwicklung der Wirtschaft pauschal einer Regierung anzuhängen ist eben übertrieben. Für die massive politische Reformresistenz, unter der wir in Österreich leiden, geht es uns wirtschaftlich ja noch ziemlich gut.

Sie haben das „Biertischniveau“ unserer politischen Debatten kritisiert. Was halten Sie denn dann von den Ankündigungen Donald Trumps, etwa zur Handelspolitik?

(Lacht.) Das ist natürlich viel ärger, weil es für die Welt viel wichtiger ist, was in den USA passiert. Die protektionistischen Ankündigungen sind so, dass man sich denkt: Das kann er gar nicht machen. Was bleibt vom Rest der US-Autoindustrie, wenn sie für Komponenten aus Mexiko 35 Prozent Strafzoll zahlen muss? Und wenn er sich mit China anlegt: Wo wird dann das iPhone produziert? Sicher nicht im Mittelwesten der USA! Da schneidet sich Amerika so ins eigene Fleisch . . . ich kann mir das nicht vorstellen. Aber vielleicht kommt es wirklich dazu. Wenn man sich die Auswahl seiner Minister anschaut, sieht es eher nach mehr Radikalität aus als nach weniger.

Zurück nach Österreich. Wenn die Menschen nicht mehr erleben, dass es ihnen von Jahr zu Jahr besser geht: Liefern wir uns dann nicht dem Populismus aus?

Das tun wir offenkundig sowieso! Aber er nährt sich zurzeit vor allem aus den Themen Migration und Flüchtlinge. Und dort geht es viel stärker um ein kulturelles Unbehagen.

Sie nehmen das dauerhaft schwache Wachstum also gelassen?

Überhaupt nicht! Aber ich sorge mich nicht um das Wachstum per se, sondern um die Arbeitslosigkeit. Das ist das größte wirtschaftliche Problem, das wir in den entwickelten Ländern haben. Dazu kommt die Ungleichheit: Wie geht es den Menschen in den untersten Einkommensschichten, welche Perspektiven haben sie? Sie brauchen stabile, sichere Bedingungen.

Wachstum allein genügt dafür nicht?

Natürlich sind diese Probleme bei einer stark wachsenden Wirtschaft leichter zu lösen. Aber das ist kein Automatismus. Nehmen Sie die Verteilung: Wir haben schon länger eine sinkende Lohnquote. Die Lohnabschlüsse sind niedrig geblieben, auch dank der Einsicht der Arbeitnehmerseite – weil es ja keinen Sinn hat, Arbeitsplätze durch provokant hohe Abschlüsse ins Ausland zu treiben.

Wollen Sie denn noch mehr Umverteilung, um das auszugleichen?

Wichtig wäre, dass große, internationale Unternehmen wirklich Steuern zahlen. Und nicht nur das kleine oder mittlere Unternehmen hierzulande brav seine Steuern abliefert. Da wäre noch einiges zu holen, und es würde dem Populismus vorbeugen. Da haben populistische Strömungen einen Punkt. Man muss nur immer den wahren Kern des Problems angehen.

Und bei der Arbeitslosigkeit?

Bei uns steigt zwar die Beschäftigung. Aber das Arbeitsangebot nimmt so stark zu, dass bei eineinhalb Prozent Wachstum nicht alle auf dem Arbeitsmarkt unterkommen.

Hauptgrund dafür ist die Migration. Durch sie wächst auch die Bevölkerung. Deutschland schrumpft, dafür ist dort auch die Arbeitslosigkeit niedriger. Was ist langfristig besser?

Wir brauchen langfristig mehr Erwerbstätige im Land, schon zur Sicherung der Pensionssysteme. Aber von der hohen Arbeitslosenrate werden wir nur schwer runterkommen. Und ob die Migranten uns wirtschaftlich nützen, hängt ganz stark davon ab, wie wir sie ausbilden.

Warum können sie – abgesehen von Kriegsflüchtlingen – die Qualifikation nicht schon mitbringen? Warum holen wir uns nicht nur die Besten aus aller Welt ins Land, so wie Kanada oder Australien?

Das ist Wunschdenken, schon wegen der Sprachhürde. Wir können Migration nicht so leicht nach Qualifikation steuern wie Kanada oder Australien, wo Höherqualifizierte gern hinziehen, weil sie dort einfach Englisch sprechen können. Wir müssen den Pool an Migranten, die zu uns kommen, besser nutzen. Die Argumentation, dass wir die Leute nicht „unkontrolliert hereinlassen“ sollen, sondern „nur die holen, die wir brauchen“ – das ist ein ganz unguter Populismus. Auch weil wir gegenwärtig nicht einfach „Migrationsströme“ haben, sondern Flüchtlinge versorgen müssen.

Zur Flüchtlingswelle: Der Fiskalrat hat ihre finanziellen Folgen bis 2060 berechnet: 23 Mrd. Euro mehr Staatsschulden, 277.000 Euro Kosten pro Flüchtling.

Ich kann diese Berechnung nicht nachvollziehen. Und ich halte den Ansatz, derart weit vorauszurechnen, für extrem spekulativ.

ZUR PERSON

Christoph Badelt (65) ist ein österreichischer Ökonom und seit 1. September der Nachfolger von Karl Aiginger als Leiter des Wifo (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung). Davor war er 13 Jahre lang Rektor der WU (Wirtschaftsuniversität) Wien. Von 2005 bis 2009 stand er zudem der Universitätenkonferenz vor. Daneben ist er (Mit-)Autor von 17 Büchern und Verfasser von über hundert wissenschaftlichen Beiträgen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Sozialpolitik. Badelt ist verheiratet und hat drei Kinder.

Die Konjunkturprognose wird vierteljährlich vom Wifo und vom IHS (Institut für Höhere Studien) getrennt erstellt, aber gemeinsam präsentiert. Die Prognose vor Weihnachten gilt dabei traditionell als die wichtigste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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