Große Ökonomen: Die unsichtbare Hand der Liebe

Ökonom John Maynard Keynes und seine Frau, die russische Tänzerin Lydia Lopokowa.
Ökonom John Maynard Keynes und seine Frau, die russische Tänzerin Lydia Lopokowa.Ullstein Bild/picturedesk.com
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Adam Smith war ein Muttersöhnchen, John Maynard Keynes erfuhr in der Familie nur wenig Zuneigung. Wie das Zwischenmenschliche die Werke der großen Ökonomen geprägt hat.

In seinem Leben habe „keine Frau, mit Ausnahme seiner Mutter, jemals eine Rolle gespielt“, schrieb der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter über Adam Smith und kam etwas verächtlich zum Schluss: „In dieser wie auch in anderer Hinsicht waren die Schönheiten und Leidenschaften des Lebens für ihn lediglich Literatur.“

Im Gegensatz zu einem großen Werk ist über das Privatleben des Begründers der klassischen Nationalökonomie wenig bekannt. Der Vater, ein schottischer Zollbeamter, starb vor Adams Geburt. Umso inniger – positiv formuliert – war Smiths Beziehung zur Mutter. „Er hatte praktisch keine Chance, eine Frau zu finden, und lebte immer bei seiner Mutter. Es ist kaum zu glauben, dass dieser auf charmante Weise chaotische Mann sich daran machte, eine geistige Ordnung in die alltäglichen Lebensläufe zu bringen“, schrieb der Historiker Norman Davies.

Das chaotische Muttersöhnchen Adam Smith also will der Welt einreden, dass der „Wohlstand der Nationen“ nicht durch Mitgefühl und Empathie, sondern durch Eigennutz und Egoismus zustande kommt. Dass wir nur nach unserem persönlichen Vorteil trachten müssen, damit eine „unsichtbare Hand“ den Rest zum Guten ordnet?

Viele Kritiker reduzieren Smith auf diese unsichtbare Hand, die übrigens in seinem epochalen Werk „Wohlstand der Nationen“ nur ein einziges Mal erwähnt wird. Tatsächlich tue man Smith mit dieser einseitigen Betrachtungsweise Unrecht, sagt der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček – und verweist auf Smiths erstes Werk „Theorie der ethischen Gefühle“. Darin betont Smith, dass die Gesellschaft aufgrund von Sympathie zusammenhält, dass der Mensch nicht von Natur aus Egoist ist, sondern „dazu bestimmt“ sei, „an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen“. All dies – so Sedláček – setze Smith auch in seinen ökonomischen Schriften voraus. Wenn er also vom Eigennutz spricht, dann im Sinne der goldenen Regel: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“


Die Geburt des Kapitalismus. Viel wurde über die Geburt und den Ursprung der Ökonomie diskutiert. Der wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus umstrittene Ökonom Werner Sombart stellte gar die These auf, der Kapitalismus sei ein Produkt der Liebe. Weil Männer für ihr Liebeswerben Luxusgüter benötigten, entstanden etwa Seiden- und Porzellanindustrie. Man kann diese Theorie getrost verwerfen. Dennoch sind sich viele Ökonomen zumindest in einem Punkt einig: „Mit der Geburt des Bedarfs und der Nachfrage nach Dingen, die nicht erforderlich sind“, wie es Tomáš Sedláček formuliert, war auch der Kapitalismus geboren. Und der erste Luxusartikel, der begehrt wurde, aber zum Glücklichsein wohl nicht gebraucht worden wäre, war dieser Apfel im Garten Eden.

Dieses Begehren nach Dingen, die wir eigentlich gar nicht benötigen, hat vermutlich weniger mit Liebe als vielmehr mit einer latenten Unzufriedenheit zu tun, die im Menschen schlummert. Diese Unzufriedenheit sorge „für Fortschritt und Marktkapitalisierung“, schreibt Sedláček. Und der Begründer der Chicagoer Schule, Frank Knight, ließ sich einst sogar zu dem Satz hinreißen: „Es liegt in der Natur des Menschen, umso unzufriedener zu sein, je besser es ihm geht.“

Keynes: Behütet, nicht geliebt. John Maynard Keynes wuchs in sehr begüterten Verhältnissen auf. Seine „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ wurde aber vor allem von der Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren geprägt. Massenarbeitslosigkeit und Elend würden eben nicht von einer unsichtbaren Hand weggewischt, folgerte er. Vielmehr sah Keynes den Beweis erbracht, dass die Märkte sich nicht selbst korrigieren können. Es brauche den Staat, der ordnend eingreift. Auch, weil der Mensch nicht rational handle, sondern von „animal spirits“ – irrationalem Denken – getrieben sei, von Emotionen und vom Herdentrieb.

Keynes genoss eine äußerst privilegierte Erziehung, wurde schon als Knabe nach Eton geschickt und absolvierte später das King's College in Cambridge. Sein Vater, John Neville Keynes, war selbst Professor für Politische Ökonomie. Keynes wuchs, so heißt es, in einer typischen, kühlen, britischen Upperclass-Familie auf. Materiell fehlte es an nichts, doch Herzlichkeit und Zärtlichkeit dürften im Hause Keynes etwas zu kurz gekommen sein.

Für Harry Johnson, kanadischer Ökonom und Keynes-Biograf, gibt es auch eine Verbindung zwischen Leben und Werk des großen britischen Ökonomen. Vater Staat agiere bei Keynes ähnlich wie der Vater eines wohlbehüteten Cambridge-Studenten. Er schafft die finanziellen Probleme des Sprösslings einfach aus der Welt.

Johnson verglich Keynes Biografie übrigens mit jener von Milton Friedman, dem Sohn armer, jüdischer Emigranten. Friedman, der sich als „klassischen Liberalen“ titulierte, wurde im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Seine Mutter hatte eine kleine Kurzwarenhandlung. Sein Vater hatte vor seinem frühen Tod mit nur 49 Jahren „nacheinander ein paar überwiegend erfolglose Arbeitsversuche“, berichtete Friedman. Als der Vater starb, war Friedman 15 Jahre alt. Mit 16 machte er seinen Highschoolabschluss, mit 20 beendete er sein erstes Studium. Ganz ohne die Hilfe des Vaters. Oder des Staates.

Ökonomen

Adam Smith. Der Gründer der klassischen Nationalökonomie lebte sein ganzes Leben bei seiner Mutter. Für den als chaotisches Muttersöhnchen verschrienen Ökonomen führt Eigennutz zu Wohlstand.

John Maynard Keynes Der britische Ökonom wuchs in einem sehr wohlhabenden Haus auf, sein Werk wurde durch die Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre geprägt. Der Markt regle sich nicht von selbst – auch nicht durch eine unsichtbare Hand, der Staat müsse lenkend eingreifen, so Keynes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)

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