Vorrang für inländische Arbeitssuchende widerspricht EU-Recht

Symbolbild Arbeitssuche
Symbolbild Arbeitssuche(c) Clemens Fabry
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Der Plan von Bundeskanzler Kern würde Arbeitnehmer aus Osteuropa diskriminieren, das bestätigen Europarechtler offiziell und Brüssel unter der Hand.

Wien/Brüssel. Das Thema Europa spielte in der programmatischen Rede von Christian Kern nur eine Nebenrolle. Um der Stimmung vieler inländischer Arbeitnehmer und der Gewerkschaften entgegenzukommen, will der Bundeskanzler in einem zentralen Bereich nicht mehr, sondern weniger Europa: der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ein Vorstoß, der rechtliche Probleme aufwirft. Denn ein Vorrang für inländische Arbeitnehmer, wie ihn Kern ankündigte, ist mit EU-Recht nicht vereinbar.

Auch wenn das am Donnerstag von der EU-Kommission nicht offiziell bewertet wurde – „wir kommentieren keine Kommentare“ –, ist Brüssel doch sehr bewusst, dass Kern an einem der Grundprinzipien der EU kratzt. Seine Ankündigung, Bürger aus jenen EU-Staaten, deren Lohnniveau nicht einmal 80 Prozent des österreichischen erreicht, dürften nur dann in Österreich tätig werden, wenn keine heimischen Arbeitskräfte zur Verfügung stünden, ist für ost- und südosteuropäische Arbeitnehmer eindeutig diskriminierend.

Das wird auch in der EU-Kommission hinter vorgehaltener Hand so gesehen. „Natürlich ist das mit EU-Recht nicht vereinbar.“ In der Praxis würde die Regelung nämlich bedeuten, dass Unternehmen in Österreich nicht mehr frei zwischen einem ungarischen und einem österreichischen Bewerber wählen könnten. Ungarn, Rumänen oder Kroaten hätten bei gleicher Qualifikation in Österreich künftig weniger Chancen auf eine Beschäftigung als gebürtige Inländer. Einen klaren Verstoß gegen EU-Recht sieht auch der WU-Experte Franz Marhold, Leiter des Instituts für österreichisches und europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht. „Eine solche Regelung ist allein mit einem österreichischen Gesetz nicht umsetzbar. Das muss Kern auch wissen“, so Marhold im Gespräch mit der „Presse“.

Im EU-Vertrag ist festgeschrieben, dass die Freizügigkeit von Arbeitnehmern „die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen“ umfasst. In einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2011 ist zudem festgehalten, dass EU-Bürger „insbesondere im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats mit dem gleichen Vorrang Anspruch auf Zugang zu den verfügbaren Stellen wie die Staatsangehörigen dieses Staates“ haben müssen. Würde Österreich gegen dieses EU-Recht verstoßen, könnte es umgehend beim Europäischen Gerichtshof geklagt werden.

Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) dürften die juristischen Unwägbarkeiten bewusst sein. Sein Ministerium kündigte am Donnerstag zwar einen Vorstoß zur Änderung des EU-Rechts an. Stöger will eine „Lohnschutzklausel“ einführen und hofft darauf, dass diese mit qualifizierter Mehrheit auf EU-Ebene abgestimmt werden könnte. Gleichzeitig machen sich die Experten in seinem Ministerium aber keine großen Illusionen. Eine „Lohnschutzklausel“ sei, so hieß es gestern „sehr schwierig mit der EU zu verhandeln“. Noch im vergangenen Juni hat Stöger ähnliche Forderungen des burgenländischen Landeshauptmanns, Hans Niessl, nämlich die Aufnahme von EU-Ausländern für gewisse Branchen einzuschränken, noch zurückgewiesen. Sie sei mit EU-Recht nicht vereinbar, sagte er damals.

Von Kerns Vorstoß wären vor allem ost- und südosteuropäische Arbeitskräfte betroffen. Derzeit gibt es rund 220.000 Erwerbstätige aus diesen Ländern in Österreich. Fast 90 Prozent sind als Arbeiter oder Angestellte tätig, lediglich zehn Prozent als Selbstständige.

Obwohl sie nicht einmal EU-Mitglied ist, musste zuletzt sogar die Schweiz von ihren Wünschen nach einer Einschränkung der Freizügigkeit für EU-Bürger abgehen. Obwohl sich eine Mehrheit in einem Referendum für einen beschränkten Zuzug von EU-Bürgern ausgesprochen hatte, blieb davon lediglich eine Regelung übrig, die in Branchen mit sehr hoher Arbeitslosigkeit ansässigen Beschäftigungssuchenden einen Vorrang gibt. Sie ist allerdings so weich formuliert, dass sie das Kriterium der Staatsbürgerschaft nicht direkt berücksichtigt. Ohne die Freizügigkeit weiterhin zu akzeptieren, hätte die Schweiz den Zugang zum EU-Binnenmarkt verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2017)

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