Massenauszug aus Londoner City

Fog shrouds the Big Ben clocktower in London
Fog shrouds the Big Ben clocktower in London(c) REUTERS (NEIL HALL)
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Während Premierministerin May in Davos für ein „globales Großbritannien“ wirbt, kündigen die ersten Finanzinstitute die Verlagerung von Tausenden Jobs aus London in andere europäische Städte an.

London. Klarheit zum Brexit mag die Rede der britischen Premierministerin, Theresa May, diese Woche verschafft haben. Aber es war wohl nicht jene Klarheit, die sich viele gewünscht hatten: Auf die Ankündigung des Rückzugs Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt reagieren Banken jetzt mit einschneidenden Maßnahmen: „Wir wollen das nicht, aber wir müssen uns den neuen Gegebenheiten anpassen“, sagte Jamie Dimon, der Chef der US-Großbank JP Morgan Chase, gestern, Donnerstag, beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Mays Entscheidung, den Binnenmarkt mit seinen vier Freiheiten (freier Warenverkehr, Kapitalverkehr, Dienstleistungsverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit) zu verlassen und mit der EU nur noch ein Handelsabkommen zu vereinbaren, dürfte in einem ersten Schritt drastische Jobverluste bedeuten. Die größte britische Bank, HSBC, will 1000 Mitarbeiter aus London abziehen. Die Schweizer Großbank UBS plant die Verringerung ihrer Beschäftigten in der britischen Hauptstadt von 5000 auf 1000. Bei JP Morgan Chase wackeln sogar 4000 von 16.000 Jobs, während Konkurrent Goldman Sachs gestern einen Bericht dementierte, dass 3000 Arbeitsplätze nach Frankfurt und New York verlagert werden sollen. Das Dementi fiel freilich auffällig schwach aus. „Wir haben keine Entscheidung getroffen“, erklärte die US-Bank.

Wohin die Jobs verlagert werden, ist noch offen. Paris und Frankfurt dürften dabei die besten Chancen haben. „Ich glaube nicht, dass es schon endgültige Entscheidungen gibt, aber es gibt Tendenzen für bestimmte Standorte“, so der Geschäftsführer des Verbandes der Auslandsbanken, Oliver Wagner.

In Londoner Finanzkreisen lautet die Frage heute nicht mehr, ob der harte Brexit kommt, sondern, wann. Brexit-Minister David Davis bekräftigte diese Woche, seine Regierung sei „sehr entschlossen“, die EU-Austrittsverhandlungen innerhalb der vorgesehenen Frist von zwei Jahren abzuschließen. Gegebenenfalls werde man nur „sehr kurze Übergangsfristen von einem oder zwei Jahren“ akzeptieren.

May versucht angesichts der Abwanderungstendenzen, das Image ihres Landes aufzupolieren. Sie präsentierte gestern in Davos der internationalen Businesselite ihre Brexit-Vision eines „globalen Großbritannien“ als Vorreiter des weltweiten Freihandels. Auch Schatzkanzler Philip Hammond bemühte sich ebenda, ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. „Es wird keine Klippen, keine plötzlichen Änderungen für Unternehmen und ausreichend Zeit für die Anpassung geben“, versprach er.

Da aber hinter diesen großen Zügen die Details einer Brexit-Regelung noch lang unklar sein werden, sagte der Chef des Autoherstellers Toyota, Takeshi Uchiyamada, in dramatischen Worten: „Wir haben die Richtung gesehen, die Großbritannien einschlägt. Jetzt werden wir prüfen, wie unsere Firma überleben kann.“

Hinter vorgehaltener Hand wird in Wirtschaftskreisen davon gesprochen, dass man nach der May-Rede nun Notfallpläne entwerfe. In der Finanzindustrie stellt man sich nicht nur auf den Verlust der „Passporting“-Rechte ein, die von London aus EU-weite Aktivitäten erlauben. Es wird auch erwartet, dass London das lukrative Clearing-Geschäft für Eurotransaktionen verlieren wird.

Vor schwerwiegenden Auswirkungen des Brexit warnte auch EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, indem er britischen Hoffnungen auf Sonderbehandlung entgegentrat: „Man kann nicht alle Vorteile eines Klubs haben, wenn man aus diesem Klub ausgetreten ist. Ich glaube, dass unsere britische Freunde, die Klubs erfunden haben, das verstehen können.“ Der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, zeigte sich hingegen um Schadensbegrenzung bemüht: „Wir sind nicht glücklich mit dem Brexit, aber wir wollen die Folgen begrenzen. Doch Folgen wird es geben.“

Die britische Regierung will bis Ende März den EU-Austritt durch Aktivierung von Artikel 50 des EU-Vertrags formal einleiten. Das Höchstgericht in London wird dazu am Dienstag sein Urteil verkünden, ob dem Parlament ein Mitspracherecht zusteht. Für diesen – allgemein erwarteten – Fall ist bereits ein entsprechender Gesetzesantrag vorbereitet. Seine Annahme gilt als sicher.

CITY OF LONDON

Bankenzentrum. Die City of London ist der flächenmäßig kleinste Stadtteil der britischen Metropole. Dennoch ist sie der wichtigste Finanzplatz der Welt. Nachdem die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher 1986 eine Deregulierung der Finanzgeschäfte eingeleitet sowie zahlreiche Auflagen und Kontrollen gestrichen hatte, verstärkten internationale Banken hier ihre Tätigkeit. US-Investmentbanken bauten ihre Büros aus. So beschäftigte beispielsweise Goldman Sachs 1984 lediglich 140 Mitarbeiter, 2013 waren es 6000. Insgesamt sind heute in der City of London 350.000 Banker, Versicherungsspezialisten, Broker und Verwaltungsbedienstete beschäftigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2017)

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