Erstmals so glücklich wie im Westen

A man rides his bike through gap in row of metal rods that delineates line along which Berlin Wall used to run at Berlin Wall memorial site in Berlin
A man rides his bike through gap in row of metal rods that delineates line along which Berlin Wall used to run at Berlin Wall memorial site in Berlin(c) REUTERS (� / Reuters)
  • Drucken

Ein Vierteljahrhundert nach der Wende sind die Osteuropäer im Schnitt reicher und glücklicher als zuvor. Doch das gilt nicht für alle. Vor allem Reiche profitierten, warnt die EBRD.

Wien. Wer kurz nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in den exkommunistischen Ländern geboren ist, musste zu seinen Spielkameraden vermutlich ein wenig aufsehen. Im Schnitt blieben Menschen, die zu Beginn der Liberalisierung in den Jahren 1989/90 zur Welt kamen, um einen Zentimeter kleiner als die Jahrgänge davor und danach. Ein Phänomen, das sonst oft in Kriegsgebieten zu beobachten ist. Arbeitsmarkt, Schulen und Spitäler hätten in den Wirren der ersten Transformationsjahre nicht ausreichend funktioniert, erklärt die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD in ihrem aktuellen „Transition Report“.

Jeder Vierte früher besser dran

Heute, ein gutes Vierteljahrhundert später, sind die meisten Wunden von damals verheilt. Der Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft hat nicht nur die Einkommen der Menschen im Schnitt um die Hälfte erhöht und die Armut in der Region verringert. Erstmals sind die Osteuropäer auch genauso zufrieden mit ihrem Leben wie die Bevölkerung in westlichen Ländern, so das Ergebnis einer EBRD-Umfrage unter 51.000 Haushalten in 34 Ländern in der Region.

Aber nicht alle Menschen in den Transitionsländern haben gleichermaßen vom Aufschwung profitiert. In Summe konnten nur 44 Prozent der Osteuropäer in den vergangenen Jahren gegenüber dem Westen aufholen. Fast jeder Vierte (23 Prozent) war im Kommunismus sogar besser dran als heute, heißt es im Bericht.

(c) Die Presse

Entscheidend dafür, wer auf der Gewinner- oder der Verliererseite gelandet ist, war vielfach die Geburt. Wer in eine höhere Einkommensschicht geboren wurde, profitierte überdurchschnittlich. Die Ärmeren waren den Unsicherheiten des Übergangs hingegen besonders stark ausgesetzt. Gerade in Ländern wie Russland blieb ein Großteil der Gewinne einer kleinen Elite vorbehalten, die sich den Rohstoffschatz des Landes bei Privatisierungen sichern konnte. In Ländern wie Polen konnte eine viel breitere Bevölkerungsschicht aufsteigen (siehe Grafik).

Gleich viel oder gleich wenig

Da im Kommunismus (zumindest auf dem Papier) alle gleich viel oder gleich wenig hatten, stieg die Ungleichheit in Osteuropa seit den 1990er-Jahren deutlich an. Abseits der offiziellen Statistik gab es freilich auch zuvor große Unterschiede. Denn während die Einkommen gleich waren, entschied der Status in der Gesellschaft darüber, wer damit auch Zugang zu knappen Waren bekam und wer sich umsonst in der Schlange anstellen musste. Heute sind die Regale voll. Doch die Kluft zwischen jenen, die die vielen Waren nur ansehen, und jenen, die sie auch kaufen können, ist größer geworden. Verglichen mit dem Westen ist die Einkommensungleichheit zwar immer noch niedrig. Viele Menschen der Region hätten dennoch den Eindruck, dass ihnen die Marktreformen gar nicht genutzt hätten, so die Autoren.

Diese Wahrnehmung erkläre, warum manche Staaten vom Reformkurs abgekehrt wären und sich schrittweise in autoritäre Systeme zurückentwickeln. Auch EU-Länder wie Ungarn oder Polen sind vor derartigen Entwicklungen nicht gefeit. Staaten, die sich darum gekümmert haben, dass die Früchte der Reformen möglichst vielen Menschen im Land zugutekommen, hätten hingegen stabile demokratische Institutionen und einen klaren Pfad Richtung Marktwirtschaft, schreibt die EBRD.

Dafür mussten sie nicht unbedingt großflächig Einkommen umverteilen. „Umverteilung könnte helfen, aber ein größeres Augenmerk muss auf die Verbesserung der Chancengleichheit gelegt werden“, sagt Ralph de Haas, Leiter der EBRD-Forschungsabteilung. Entscheidend sei, dass möglichst alle eine faire Chance haben, selbst vom Aufschwung zu profitieren. Dafür brauche es freien Zugang zu höherer Bildung, gute Infrastruktur auch abseits der Städte, leistbare Kindergärten – und einen ernst gemeinten Kampf gegen Vetternwirtschaft und Korruption.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.