Es ist amtlich, aber wir glauben nicht mehr dran

Statistik unter der Lupe
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Ein Großteil der Deutschen misstraut den Statistiken zu Arbeitslosigkeit, Schulden und Inflation. Wo führt das hin?

An irgendwas muss man sich ja halten. Wir probieren es mit dem „Duden“. Wer nach dem Ausdruck „amtlich“ sucht, darf sich von der Bibel der deutschen Sprache mit einer ganzen Phalanx an Synonymen in Sicherheit wiegen lassen: glaubwürdig, zuverlässig, feststehend, gewiss, verbürgt, wahr und definitiv. Aber ach, auch das gilt nicht mehr.

Zumindest nicht in Deutschland: Laut einer repräsentativen Umfrage hat nur ein Fünftel der Deutschen „ziemlich großes Vertrauen“, dass die amtlichen Statistiken zu Arbeitslosigkeit und Staatsschulden „verlässlich sind“. Auch bei der Inflation hegt eine deutliche Mehrheit „nennenswerte Zweifel“, dass die Daten „die Wirklichkeit einigermaßen korrekt widerspiegeln“. Und sogar beim Wirtschaftswachstum gibt es weit mehr Skeptiker als Gläubige. Wir könnten nun einfach die Qualität der Umfrage anzweifeln. Aber wir erkennen die Falle, weichen ihr rechtzeitig aus – und seufzen tief.

Am größten ist das Misstrauen bezüglich Zahlen zur Migration und der Verteilung von Einkommen oder Vermögen. Na gut: Bei ideologisch aufgeheizten Themen ist links wie rechts die Versuchung groß, den Spielraum der Deutung zu überdehnen. Aber das betrifft nicht die Korrektheit der Basisdaten aus der amtlichen Statistik. Wer sie anzweifelt, behauptet implizit dies: Verlogene Politiker und skrupellose Statistiker hätten ein wasserdichtes Komplott geschmiedet, um die Öffentlichkeit systematisch mit falschen, geschönten Zahlen zu blenden. Das wäre so ziemlich die größte Verschwörungstheorie seit „9/11 haben die Amis selbst inszeniert“. Und wohl nur wenige würden ihr explizit zustimmen.

Aber etwas anderes haben die Verbreiter von Fake News und alternativen Fakten geschafft: Ihre Nebelgranaten führen dazu, dass sehr viele sicherheitshalber an gar nichts mehr glauben – außer an das Gefühl in ihrem Bauch, das sie solcherart zur einzig sicheren Erkenntnisquelle erheben. Offenbar gilt das auch für die parallel befragten Wirtschaftsjournalisten: Bei ihnen sehen die Ergebnisse nicht viel anders aus. Deshalb fühlt sich der Autor dieser Zeilen zu einer Klarstellung genötigt: Ja, ich glaube an die Zahlen von Statistik Austria und Eurostat, über die ich ständig berichte. Und ich hätte mir bis vor Kurzem nicht träumen lassen, dass ich je ein so absurdes Gelöbnis ablegen muss.

Übrigens: „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe“ – das hat Churchill nie gesagt. Ein gekränkter Statistiker suchte jahrelang nach Quellen und fand nichts. Der britische Premier war vielmehr ein großer Freund verlässlicher Daten. Die bei uns so beliebte Sottise ist auch in England völlig unbekannt. Sie stammt wohl aus Nazideutschland, vermutlich von Propagandaminister Goebbels. Woraus wir immerhin lernen: Glaube nie an ein Zitat, das du nicht selbst erfunden hast.

E-Mail : karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2017)

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