Ein Requiem auf Europas CO2-Handel

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Die EU-Staaten haben sich auf eine Reform des Emissionshandels geeinigt. Aber sie kommt spät und halbherzig. Warum die gute Idee nicht funktioniert und was die Alternativen sind.

Wien. Immerhin: Ihr Gesicht konnten die EU-Umweltminister wahren. Am späten Montagabend haben sie sich auf eine Reform des Emissionshandels geeinigt. Der Kompromiss klingt beim ersten Hinhören nicht schlecht: Die Zahl der Verschmutzungsrechte verknappt sich ab 2021, dem Start der nächsten Handelsperiode, stärker als geplant, nämlich jedes Jahr um 2,2 Prozent. Die Reserve, die überschüssige Rechte bunkern soll, wird verdoppelt. Eine gewisse Menge überzähliger Zertifikate (das EU-Parlament hat 800.000 gefordert) wird ganz gelöscht. Was sich nicht ändert: Die energieintensive Industrie, vom Stahl bis zum Zement, bekommt ihre Lizenz zum CO2-Ausstoß weiter gratis.

Proteste aus der Wirtschaft bleiben aus, Umweltschützer seufzen leise. Warum die verdächtige Ruhe? Im Grunde weiß jeder: Das einstige Vorzeigeprojekt der EU-Klimapolitik ist klinisch tot und lässt sich durch halherziges Herumdoktern nicht wiederbeleben. Denn im Gegensatz zu anderen Maßnahmen zum Klimaschutz ist bei diesem künstlich geschaffenen Markt leicht zu messen, ob er steuernd wirken kann: Erst ab einem Preis von 20 bis 30 Euro pro Tonne Kohlendioxid gibt es einen Anreiz für Unternehmen, in klimaschonende Technologien zu investieren. Zurzeit liegt der Preis bei fünf Euro, also eindeutig zu niedrig. Es sind zu viele Zertifikate im Umlauf, das Angebot übersteigt die Nachfrage massiv. Nur ein radikaler Schnitt und der unschöne „Holzhammer“ von Mindestpreisen hätte daran etwas ändern können. Für beides hat wohl der Mut gefehlt.

Ein Serie von Pannen

Dabei waren Ökonomen stets Feuer und Flamme für die Kombination aus Klimaschutz und Marktwirtschaft. In ihrer Theorie sollte es so funktionieren: Die Politik schafft ein neues knappes Gut, nämlich Verschmutzungsrechte für jede ausgestoßene Tonne CO2. Sie fixiert die Gesamtmenge, verschenkt einen Teil an die Schwerindustrie und die Luftfahrt, versteigert den Rest an kalorische Kraftwerke und lässt alle untereinander handeln.

Dann kann sie sich bequem zurücklehnen. Das Ziel wird durch die Deckelung der Menge auf jeden Fall erreicht. Dass es auch kosteneffizient erreicht wird, dafür sorgt die unsichtbare Hand des Marktes. In der Praxis aber steht und fällt der Erfolg mit der stets richtig dosierten Menge. Sie knapp genug zu treffen, hat sich als viel schwerer erwiesen als gedacht. Die größten Pannen im Rückblick:

• Schon in der Testphase von 2005 bis Ende 2007 kam es zu einer starken Überversorgung. Die Industrie selbst hatte die Basisdaten zur Verfügung gestellt, zudem noch unter Zeitdruck. Als publik wurde, dass französische Unternehmen viele weniger emittieren als sie laut Zuteilung dürften, brach der Preis erstmals ein.


• Der Start der ersten „echten“ Handelsperiode von 2008 bis 2012 fiel mit der Wirtschaftskrise zusammen. Die Prognosen für die Produktionsmengen erwiesen sich plötzlich als viel zu hoch. Weil das Ausgangsniveau für künftige Verknappungen nicht nach unten korrigiert wurde, vergrößert sich der Überschuss nun Jahr für Jahr.


• Gut gemeint war die Option, sich durch Ökoprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern zusätzliche Gutschriften zu holen. Sie wurde weit stärker genutzt als erwartet, das Geld floss in teils fragwürdige Initiativen und sorgte für eine Importschwemme von 1,4 Mrd. Zertifikaten. Mittlerweile ist der Zufluss gestoppt, aber zu spät.


• Erneuerbare Energien zu subventionieren, kann die Marktlösung ergänzen – aber nur, wenn es im ganzen Markt passiert. Das zeigte sich, als Deutschland den Atomausstieg beschloss und Sonnen- und Windkraft fortan viel stärker förderte. Das trieb den CO2-Preis noch weiter in den Keller. In den anderen europäischen Ländern lenkte es die Mittel in die nun ungewollt billige fossile Energie.


• Ein Preisverfall für Verschmutzungsrechte kann durchaus auch erfreuliche Ursachen haben: wenn nämlich die Emissionen aus anderen Gründen sinken, wie mehr Energieeffizienz oder technologischer Fortschritt. Auch das hat beim sich aufstauenden Überangebot eine Rolle gespielt – aber leider nur eine eher geringe.

Steuert eine Steuer besser?

Auch andere, kleinere CO2-Märkte, wie Kalifornien und Québec, kämpfen mit zu niedrigen Preisen. Was dafür spricht, dass der Fehler dann doch im System zu suchen ist. Ein Versuch: Die betroffenen Sektoren – fossile Stromproduzenten und energieintensive Industrie – haben ein massives Interesse daran, möglichst viele Zertifikate zu möglichst geringen Kosten zu erhalten. Ihr Lobbying in Brüssel, wo die Mengen zu fixieren sind, ist legitim. Aber es macht die politische Entscheidungsfindung intransparent. So ist der Marktmechanismus sauber aufgesetzt, läuft aber ins Leere.Womit jene Lösung wieder ins Licht rückt, die aus theoretischer Sicht nur die zweitbeste ist: eine allgemeine Steuer auf Produktion oder Verbrauch von CO2. Hier liegt der Konflikt zwischen Umweltschutz und Wettbewerbsfähigkeit viel offener zutage – und ist dann demokratisch zu lösen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2017)

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