Abgesagte Reisen von Kern und Kurz und die SPÖ-ÖVP-Jobsorgen

Austria's Foreign Minister Kurz and Chancellor Kern attend the new Vice Chancellor's and new Economics Minister's inauguration ceremony in Vienna
Austria's Foreign Minister Kurz and Chancellor Kern attend the new Vice Chancellor's and new Economics Minister's inauguration ceremony in ViennaREUTERS
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Der Kanzler blieb wegen Disharmonien daheim. Rot-Schwarz startete Endspurt zum Beschäftigungsbonus.

Wien/Berlin. Es ist immer wieder das Kleingedruckte. In dem Fall waren es die Richtlinien zum Beschäftigungsbonus zur Ankurbelung der Wirtschaft. Mit diesem erhalten Unternehmen, die zusätzlich österreichische Beschäftigte einstellen, ab Juli Erleichterungen durch eine Senkung der Lohnnebenkosten.

Für Bundeskanzler SPÖ-Chef Christian Kern hing ohne diese Richtlinien der Beschäftigungsbonus mangels Durchführbarkeit in der Luft. Für die Abwicklung ist das Austria Wirtschaftsservice (AWS) zuständig, das wiederum auf die Freigabe der Kriterien durch das Wirtschaftsressort angewiesen ist. Wirtschaftsminister Harald Mahrer (ÖVP) versteht die Aufregung nicht und sieht den Bonus für Betriebe ab 1. Juli jedenfalls gesichert. Der Staat macht dafür aus seinen Einnahmen durch die Steuerzahler zwei Milliarden Euro zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich locker.

Nach intensiven Gesprächen seit Mittwoch auf Expertenebene war am Donnerstagnachmittag auf „Presse“-Anfrage in beiden Noch-Koalitionsparteien von einem Einvernehmen die Rede. Auf SPÖ-Seite hieß es, die Richtlinien seien „politisch akkordiert“, auf ÖVP-Seite hatte man sich „grundsätzlich verständigt“, alles werde spätestens heute, Freitag, fertig sein.

Auszahlung ab 2018

Auf SPÖ-Seite sah man deswegen das Wirtschaftsministerium „dringend gefordert“. Mahrer beruhigte im ORF-Radio, die Umsetzung rechtzeitig ab 1. Juli sei nicht gefährdet. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass die Anträge zwar mit Wirkung von Anfang Juli gestellt werden könnten. Die Auszahlung erfolge aber erst ab 2018 an die betroffenen Firmen. Der Beschluss der notwendigen gesetzlichen Neuregelung ist für 22. Juni im parlamentarischen Wirtschaftsausschuss angesetzt.

Der in den vergangenen Tagen auf offener politischer Bühne ausgetragene Konflikt um den Beschäftigtenbonus hatte sogar dazu geführt, dass Reisepläne der Regierung über den Haufen geworfen wurden. Kern hatte zuletzt sein Drängen auf den Bonus mit den Jobsorgen der Österreicher begründet und vom „wichtigsten Vorhaben“ der rot-schwarzen Koalition gesprochen. Auf ÖVP-Seite wird zwar die Unterstützung der Unternehmen durch diese Maßnahme im internationalen Wettbewerb begrüßt. Zugleich wurde aber auf das Wirtschaftswachstum und den Rückgang der Arbeitslosigkeit in Österreich verwiesen.

Der Bundeskanzler hatte kurzfristig eine Reise zu einem Vortrag nach Berlin abgesagt. Dort wurde er am Donnerstag von Infrastrukturminister Jörg Leichtfried (SPÖ) beim WDR-Europaforum vertreten. Es wurden fünf Thesen vorgestellt, was unter proeuropäisch zu verstehen sei. Die EU habe das Wohlstandsversprechen, auf dem Europa über Jahrzehnte hinweg gebaut worden sei, nicht eingehalten, die Mitgliedstaaten entwickelten sich weiter auseinander, beklagte Leichtfried.

Kerns Absage auf dem WDR-Europaforum wurde mit dem „heißen Wahlkampf in Österreich“ begründet. Leichtfried sagte, die Situation in Österreich sei politisch derzeit nicht mehr so harmonisch, Kerns Anwesenheit in Österreich sei notwendig geworden.

Seine Reisepläne hat auch der neue ÖVP-Bundesparteiobmann, Außenminister Sebastian Kurz, geändert. Eine für das kommende Pfingstwochenende geplante Visite in Washington wird laut Außenministerium nicht stattfinden. Kurz hätte am Montag vor dem Global Forum des American Jewish Committee (AJC) in Washington sprechen sollen. Nach Rücksprache mit dem AJC wurde dann aber vereinbart, dass sich der Außenminister stattdessen in einer Videobotschaft an die Teilnehmer des Forums wenden wird. Nach ursprünglichem Plan wäre der ÖVP-Politiker am Sonntag in die USA gereist und am Dienstag zurückgekehrt.

Dafür reist Außenminister Kurz kommende Woche (Mittwoch und Donnerstag) als OSZE-Vorsitzender in die Ukraine. Wie sein Büro mitteilte, ist in Kiew ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten, Petro Poroschenko, sowie mit Vertretern der in der Region tätigen OSZE-Sonderüberwachungsmission (SMM) geplant. Dabei sollen Sicherheitsfragen diskutiert werden.

Der Besuch sei auch als „Zeichen der Unterstützung“ zu werten, hieß es. Ende April wurde ein Mitglied der SMM getötet, nachdem eine Patrouille im ostukrainischen Rebellengebiet Lugansk (Luhansk) über eine Mine gefahren war. Kurz sprach damals von einem „Schock für die ganze OSZE“ und forderte „volle Aufklärung“. (ett/APA)

TERMINPLAN BIS ZUR AUFLÖSUNG

Nationalrat. In einer Sondersitzung ist für den 13. Juli der Beschluss zur Auflösung des Nationalrats vorgesehen. Bis dahin stehen vorerst noch vier reguläre Sitzungen auf dem Programm für die Parlamentarier. Das Plenum mit den 183 Abgeordneten soll unmittelbar nach Pfingsten am 7. und 8. Juni zusammentreten. Schließlich sind am 28. und 29. Juni zwei weitere Plenartage vorgesehen – sowie ein Reservetag am 30. Juni.Parteientscheidungen. In der SPÖ tritt der Bundesparteivorstand am 14. Juni zusammen. Bei dieser Sitzung steht der Kriterienkatalog für künftige Koalitionen auf der Tagesordnung. Voraussichtlich wird auch die Frage einer Urabstimmung unter den SPÖ-Parteimitgliedern nach der Nationalratswahl am 15. Oktober über eine etwaige künftige Regierungszusammenarbeit im SPÖ-Vorstand beraten. In der ÖVP ist Sebastian Kurz nach der Entscheidung des Bundesparteivorstands seit Mitte Mai geschäftsführender Parteichef. Seine offizielle Wahl durch die schwarzen Delegierten ist nunmehr bei einem Bundesparteitag am 1. Juli in Linz vorgesehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2017)

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