Frankreich bricht mit dem Atom-Tabu

Bisher setzt Frankreich auf AKW (hier Cruas Meysse im Rhonetal). Bald nicht mehr?
Bisher setzt Frankreich auf AKW (hier Cruas Meysse im Rhonetal). Bald nicht mehr?(c) APA/AFP/PHILIPPE DESMAZES
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Die Regierung in Paris will bis zu 17 Reaktoren stilllegen. Aber der Widerstand ist enorm, die Umsetzung heikel. Denn die Franzosen sind mit ihrer Energiewende schon sehr spät dran.

Wien/Paris. Der Mann traut sich etwas. In Frankreich müssen Atomreaktoren schließen, „vielleicht bis zu 17 an der Zahl“: Mit dieser Ankündigung hat Umweltminister Nicolas Hulot ein Tabu gebrochen. Denn sie bedeutet: Jene Nation in Europa, die heute noch voll auf Atomkraft setzt, macht erstmals Ernst mit einer Energiewende.

Dabei gibt es schon seit zwei Jahren das Gesetz dazu: Bis 2025 soll der Atom-Anteil an der Stromerzeugung von 75 auf 50 Prozent sinken. Damit konnte sich jedes Kind ausrechnen: Ein Drittel der Kapazität wird bald nicht mehr gebraucht (die ehrgeizigen Ziele zur Reduzierung des Stromverbrauchs noch gar nicht berücksichtigt).

Heute stehen in Frankreich 58 Reaktoren an 19 Standorten. Da man die ältesten zuerst abschaltet und diese weniger Leistung haben, liegt die genannte Zahl von 17 ohnehin am untersten Ende der realistischen Schätzungen. Dennoch ist die Aufregung groß – weil offenbar viele nicht damit gerechnet haben, dass die Politik ihre abstrakten Pläne konkret umsetzt.

Das 50-Prozent-Ziel war einst ein Wahlversprechen von Präsident Hollande, das Gesetz kam erst in der Abenddämmerung seiner glücklosen Herrschaft. Aber Emmanuel Macron trug es als Wirtschaftsminister mit, bekannte sich im Wahlkampf dazu und setzt es jetzt als Präsident um. Vielleicht – denn die Widerstände sind enorm. Das zeigt sich schon beim ältesten AKW Fesselheim an der deutschen Grenze. Auf Druck der Nachbarn versprach Paris, es stillzulegen – aber erst, wenn ein neuer Reaktor in Flamanville in der Normandie es ersetzen kann. Dort aber explodieren die Kosten und verschiebt sich der Zeitplan, aktuell auf 2019.

Gefahr für Staatskonzerne

Frankreich ist das Land mit der größten Kapazität an Kernenergie in Europa und (hinter den USA) der zweitgrößten weltweit. Der so erzeugte Strom heizt auch die Wohnungen. Kernkraftwerke sind für viele Franzosen immer noch der Stolz der Nation, in den Grünen Michelin-Reiseführern werden sie als Sehenswürdigkeiten gepriesen. Vor allem aber ist die Kernkraft mit der Wirtschaftskraft des Landes eng verbunden. An ihr hängt nicht nur das Schicksal von EDF, dem zweitgrößten Stromerzeuger der Welt, sondern auch das von Areva, einem der führenden Hersteller von Nukleartechnik. Er schreibt wegen der Krise der Branche seit Fukushima ohnehin Verluste. Nun ist auch seine Kompetenz in Gefahr, wenn der Heimmarkt auslässt.

Beide Konzerne sind börsennotiert, aber zum größten Teil in staatlicher Hand. Ihre Manager dürften sich bald heftige Gefechte mit den Eigentümern liefern. Ihre Argumente: der Klimavertrag von Paris, der zur CO2-Reduktion verpflichtet, und der erwartete Boom von E-Autos, was den Strombedarf treiben wird. Macrons Regierung forciert diesen Umstieg, indem sie Benzin und Diesel bis 2040 ein Ende setzen will. Die Ziele passen also nicht zusammen. Ein Bedenken aber klingt für Nicht-Franzosen seltsam: die Jobs, die durch die Schließung eines AKW verloren gehen. Bei der deutschen Energiewende spielte das kaum eine Rolle; generell geht man davon aus, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien genügend neue Arbeitsplätze zum Ausgleich schafft. Nicht so in Frankreich. Dort brachte schon bisher der (sehr zögerliche) Ökostromausbau bei weitem nicht so viele Jobs wie erhofft. Warum?

Ökostrom-Kompetenz fehlt

Erneuerbare decken dort nur 18 Prozent des Bedarfs (in Österreich sind es über 70 Prozent). Das Gros kommt aus der Wasserkraft, die kaum noch weiter ausbaubar ist. Solar- und Windkraft müssten nun massiv aufstocken, auf das Drei- bis Vierfache. Woher aber kommen die Anlagen? Bei Solarpanelen längst aus China, bei Windrädern meist aus Deutschland oder Dänemark. Mit Windparks auf hoher See startet man überhaupt erst frühestens 2021. Den Franzosen fehlt also die technologische Kompetenz, um das wirtschaftliche Potenzial des Ökostroms voll nutzen zu können. Anders die Deutschen: Sie haben zwar als Pioniere der Energiewende große Fehler gemacht, sich aber einen „Vorsprung durch Technik“ erarbeitet. Frankreich ist dafür zu spät dran – was die Entwicklung weiter bremst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2017)

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