Arbeitsmarkt: „Weiterwursteln“ statt Reformen

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Damit die Digitalisierung zu keinen Jobverlusten führt, sind laut einer Studie dringend Reformen notwendig. Doch Arbeitnehmervertreter steigen hier auf die Bremse.

Wien. Vom österreichischen Arbeitsmarkt gibt es gute Nachrichten: Im Juli waren beim Arbeitsmarktservice (AMS) 370.386 Personen als arbeitslos gemeldet oder befanden sich in einer Schulung, wie das AMS am Dienstag mitteilte. Das ist um 2,4 Prozent weniger als im Vergleich zum Vorjahresmonat. Gleichzeitig stieg die Zahl der offenen Stellen um 48,5 Prozent auf 65.038.

Es gibt aber einige Gruppen, die vom Aufschwung nicht profitieren. Dazu gehören Akademiker (hier erhöhte sich die Arbeitslosigkeit um fünf Prozent), Personen mit höherer Bildung (plus 2,8 Prozent), über 50-Jährige (plus 3,8 Prozent) und Ausländer (2,6 Prozent). Der von der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Milliardeninvestitionen ausgelöste Wirtschaftsaufschwung darf zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Arbeitsmarkt vor enormen Umwälzungen steht.

Dies hängt mit der fortschreitenden Digitalisierung zusammen. Über die damit verbundenen Jobverluste liegen viele Studien vor. Manche Experten gehen davon aus, dass in Österreich 44 Prozent aller Arbeitsplätze bedroht sind. Das Institut für Höhere Studien (IHS) ist nicht so pessimistisch und sieht mittelfristig neun Prozent aller Jobs gefährdet. Doch selbst hier geht es um 360.000 Arbeitskräfte.

Noch können sich Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften entscheiden, wie Österreich auf den digitalen Wandel reagieren soll. Am Dienstag haben dazu das Austrian Institute of Technology (AIT), das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und Fraunhofer Austria in einer Studie vier mögliche Zukunftsszenarien präsentiert.

Das beste Szenario nennt sich „Industrie 4.0 Frontrunner“ und bedeutet, dass Österreich die Chancen der Digitalisierung voll nutzt. Dafür sind unter anderem flexiblere Arbeitszeiten, eine Reform des Bildungssystems, Maßnahmen beim Datenschutz und mehr Weiterbildung in den Firmen notwendig. Auch soll die Förderung von jungen und neuen Unternehmen verstärkt werden. Zudem soll in Österreich die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen forciert werden. Dieses Szenario könnte in Österreich sogar zu einem Jobwachstum führen.

Umbau des Bildungssystems

Das zweite Szenario ist „langsame Transformation“. Umgangssprachlich könnte man auch vom „Weiterwursteln“ sprechen. Hier werden zwar Ideen für Reformen im Bildungssystem entwickelt, doch eine effektive Umsetzung scheitert an den bestehenden Strukturen. Die Digitalisierung erfolgt langsam und vorsichtig. Adäquat ausgebildete Fachkräfte sind Mangelware.

Die restlichen Szenarien haben die Studienautoren „digitales Scheitern“ und „Effizienzsteigerung“ genannt. Bei der Effizienzsteigerung werden die bereits bestehenden Prozesse in der Industrie optimiert, es werden aber kaum neuen Produkte geschaffen.

Bevor die Studienautoren am Dienstag an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben sie die vier Varianten in Branchen-Workshops 58 hochrangigen Wirtschaftsvertretern vorgestellt. Mit dabei waren beispielsweise Experten von Magna, IBM, Siemens und Plasser & Theurer.

Von den 58 wünschten sich 50 Wirtschaftsvertreter klarerweise, dass das beste Szenario eintritt und Österreich eine Spitzenposition einnimmt.

Doch Wunsch und Realität klaffen bekanntlich oft auseinander. Daher befragten die Studienautoren die Wirtschaftsvertreter auch, welches Szenario sie für wahrscheinlich halten. Hier waren nur noch fünf Experten der Ansicht, dass in Österreich die beste Variante umgesetzt werde. Die Mehrheit ging davon aus, dass es zu einer langsamen Transformation kommen werde.

Ernüchternd waren die Aussagen bei einem Workshop, zu dem nicht nur Vertreter der Industrie, sondern auch der Kammern und der Gewerkschaften eingeladen wurden. Hier hielt kein einziger Teilnehmer die Umsetzung des besten Szenarios für wahrscheinlich. Vertreter der Arbeitnehmer erklärten hingegen auch, dass sie das Szenario mit der langsamen Transformation für wünschenswert betrachten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2017)

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