Marode Airlines als fette Beute

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Air Berlin und Alitalia sind erst der Anfang: In Europas Luftfahrtindustrie kreisen die Pleitegeier. Die großen Gewinner einer Konsolidierung dürften die Lufthansa und die Billigairlines sein.

Zu viele Anbieter, extremer Preisdruck, ruinöser Wettbewerb: Nicht nur in der europäischen Bankenlandschaft fordert dieses Szenario seine Opfer. Der Himmel über Europa ist in Bewegung, in der Luftfahrt findet nun die seit Jahren diskutierte Konsolidierung statt. Wer in der Wirtschaftskrise nicht sparen gelernt oder eine falsche Strategie eingeschlagen hat, bekommt die Rechnung präsentiert. Nach der Alitalia hat es auch die Air Berlin erwischt. Die beiden Gesellschaften sind freilich nur die prominentesten Opfer, weitere dürften folgen. Was bedeutet das für die Konsumenten und den gesamten Markt? „Die Presse“ versucht, Antworten zu geben.

1. Soll man jetzt überhaupt noch mit Air Berlin oder Niki fliegen?

Mit dem Überbrückungskredit von 150 Millionen Euro garantiert die deutsche Regierung die Fortführung des Flugbetriebs zumindest bis November. Dann soll – und muss – eine Auffanglösung stehen. Vorerst bleiben Tickets gültig, und Flüge sind weiter buchbar. Allerdings raten Konsumentenschützer generell zur Vorsicht: Sollte Air Berlin den Flugbetrieb einstellen (müssen), sind Passagiere Gläubiger und erhalten wahrscheinlich vom Ticketpreis nichts zurück. Auch Ansprüche für Verspätungen oder Flugstreichungen seien nur schwer durchzusetzen. Es ist ein Teufelskreis: Wenn die Buchungen mangels Vertrauen ausbleiben, kommt kein Geld in die Kassa.

2. Was passiert mit den Ticketpreisen, wenn immer mehr Anbieter verschwinden?

Dazu lohnt ein Blick in die USA: Dort hat die Konsolidierung bereits um die Jahrtausendwende begonnen. Von einem guten Dutzend größerer US-Airlines sind heute vier Branchenriesen übrig, die sich über 80 Prozent des Geschäfts aufteilen. Zum Vergleich: In Europa haben die großen vier nur 46 Prozent Marktanteil. Für die US-Unternehmen hat sich die Übernahmewelle in jedem Fall gelohnt. Sie sind teure Altlasten los und schreiben wieder Gewinne. Für die Konsumenten war die Entwicklung weniger gut. Die Marktführer sparten Direktflüge ein und schraubten die Qualität des Service hinunter. Zudem müssen Amerikaner heute um ein Viertel mehr pro Flugkilometer bezahlen als vor Beginn der Konsolidierungswelle im Jahr 2005, berechnete der Schweizer Marktforscher CH-Aviation. Das legt die Vermutung nahe, dass Fliegen auch in Europa nicht billiger werden wird. Ein Gegengewicht bieten aber Billigairlines wie Ryanair, die den Preisdruck weiter aufrechterhalten.

3. Kann die Air Berlin noch gerettet werden – und wenn ja, in welcher Form?

Schon lang vor dem Insolvenzantrag wurde über eine Zukunftslösung verhandelt. Auch die deutsche Bundesregierung war schon eingebunden. Beobachter gingen freilich davon aus, dass eine Entscheidung erst nach der Bundestagswahl fallen würde. Der Großaktionär Etihad aus Abu Dhabi hat diese nun vorweggenommen. Schon als die Lufthansa zum Jahreswechsel 38 Flugzeuge von Air Berlin samt Crews übernahm – fünf davon gingen an die AUA –, galt die Lufthansa als potenzieller Retter. Allerdings dürfte sie die Air Berlin nicht als Ganzes, sondern nur deren Filetstücke übernehmen. Auch die Schulden von mehr als einer Milliarde Euro will die Lufthansa nicht stemmen.

4. Was macht die Air Berlin für die Lufthansa – und auch andere Airlines – interessant?

Es sind vor allem die Start- und Landerechte auf Flughäfen, die sogenannten Slots, die Airlines wertvoll machen. Hätte Air Berlin den Flugbetrieb eingestellt, hätten diese Slots ihren Wert verloren. Nach europäischem Recht fallen sie dann nämlich an die Vergabebehörde zurück. Mit den aktiven Slots aber kann Hauptkonkurrent Lufthansa wichtige Flughäfen außerhalb seiner Drehkreuze Frankfurt und München besser bedienen. Vor allem mit Düsseldorf und Berlin hat sich die Kranich-Fluglinie bisher schwergetan. Je mehr sie auf dem Heimmarkt abdeckt, desto besser kann sie den Vormarsch der Billigflieger von Ryanair und Easyjet bremsen.

5. Knackpunkt beim Einstieg der Lufthansa ist das Kartellrecht. Wie könnte die Lösung sein?

Apropos Ryanair: Die Konkurrenz schläft nicht, sie schießt vielmehr scharf zurück. Die „künstlich erzeugte Insolvenz“ sei „offensichtlich aufgesetzt“ worden, damit die Lufthansa „eine schuldenfreie Air Berlin übernehmen kann“, schäumen die Iren. Sie wittern ein „Komplott“ aus deutscher Regierung, Lufthansa und Air Berlin. Das deutsche Wirtschaftsministerium spricht von einer „abwegigen These“ und wischt alle kartellrechtlichen Bedenken vom Tisch. Fest steht: Einen einzigen Übernehmer könnte weder das deutsche Kartellamt noch die EU-Kommission akzeptieren. Das weiß man auch beim Lufthansa-Konzern. Der zweite große Interessent hat freilich längst angeklopft: Easyjet. Alles deutet also darauf hin, dass sich der Platzhirsch und der britische Billiganbieter den deutschen Markt künftig untereinander aufteilen – und damit zumindest Ryanair auf Distanz halten. Übrigens: Der italienische Staat hat mit einem Kredit von 600 Millionen Euro viel tiefer in die Tasche gegriffen, um seine flügellahme Alitalia noch einige Monate in der Luft zu halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2017)

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