Es knirscht im Gebälk der Sozialpartner

 WKO-Chef Christoph Leitl.
WKO-Chef Christoph Leitl.(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl beklagt sich über „Fouls“ der Gewerkschaft und plädiert für einen Rückzug der Sozialpartner aus dem Parlament. Die Verquickung von Politik und Interessenvertretung sei kontraproduktiv.

Wien. Harmonie ist nicht das richtige Wort für die Stimmung, die derzeit unter den Sozialpartnern herrscht: Nachdem die Gewerkschaft die Verhandlungen über die Arbeitszeitflexibilisierung platzen ließ und die Arbeitgeberseite bei der Angleichung von Arbeitern und Angestellten mit einem Spiel über die politische Bande überdribbelte, herrscht Krisenstimmung in der Wirtschaftskammer (WKO). „Unsere Mitglieder sind erbost“, sagte WKO-Präsident Christoph Leitl am Donnerstag vor Journalisten in Wien. Zumal der ÖGB tags zuvor mit einer (auch von den ÖVP-Gewerkschaftern mitgetragenen) Resolution noch einmal nachgelegt hatte: Wer sich mit der Sozialpartnerschaft, speziell mit der Gewerkschaft, anlege, egal, ob Regierung oder Arbeitgeber, müsse mit heftigem „Widerstand“ rechnen, heißt es darin sinngemäß.

Leitl will als „überzeugter Sozialpartner“ zwar nicht „die zwei Fouls mit einem Revanchefoul beantworten“, meinte aber doch, das sei nicht ganz schlüssig: „Man sollte das, was man in Resolutionen festhält, auch leben“, meinte der WKO-Chef. Ein wichtiges Sozialpartnerthema über die Politik zu spielen, wie das bei der Angleichung von Arbeitern und Angestellten geschehen sei, sei das genaue Gegenteil davon. Und: „Wenn man versucht, sozialpartnerschaftliche Themen über die Politik zu spielen, dann geben wir uns selbst auf.“

Ein Problem sei, dass Spitzengewerkschafter (im Gegensatz zu WKO-Spitzenrepräsentanten) im Parlament sitzen und damit in einen Konflikt zwischen Interessenvertretung und Klubzwang geraten. Er, Leitl, halte diese Vermischung für falsch.: „Ich beziehe meine Legitimation nicht aus einer Rechtsposition, sondern aus einer Serviceposition.“ In diese Richtung müsse der jetzt notwendige Selbstfindungsprozess der Sozialpartner gehen.

Rückzug bis spätestens 2020

Zu den wieder aufgeflammten Diskussionen um den anstehenden Wechsel an der Wirtschaftskammerspitze ließ Leitl durchblicken, dass es möglicherweise nicht so schnell gehen werde, wie das die potenziellen Nachfolger gerne sehen würden. Zuletzt war ja kolportiert worden, dass sich Leitl aus seinen Präsidentenfunktionen in der WKO und im ÖVP-Wirtschaftsbund noch im ersten Halbjahr 2018 zurückziehen könnte. Der Kammerpräsident machte gestern aber klar, dass er in beiden Funktionen bis 2020 gewählt sei und „eine geordnete Betriebsübergabe“ anstrebe. Er habe eingewilligt, „Sondierungsgespräche“ zu führen. Aber: „Es drängt mich nichts.“ Dass jetzt „ein paar zu kratzen anfangen“, sei „natürlich“, der richtige Zeitpunkt für seinen Rückzug stehe aber noch nicht fest. Eine Rolle bei diesen Überlegungen werde auch die österreichische EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälfte 2018 spielen.

„Lohnnebenkosten kräftig senken“

Von der neuen Regierung wünscht sich Leitl die Unterstützung einer Investitionsoffensive etwa durch neue Abschreibungsmodelle und die Einführung eines Investitionsfreibetrags. Österreich sei in Sachen Investitionen zurückgefallen und müsse dringend einen Aufholprozess starten.

Notwendig seien auch ein Bürokratieabbau und eine „Entkriminalisierung“ bei den überproportionalen Strafen, die Unternehmen oft für kleinste Regelverstöße zu tragen hätten.

Besonders wichtig sei aber eine drastische Lohnnebenkostensenkung auf das deutsche Niveau, was eine Absenkung um fünf bis sechs Mrd. Euro bedeuten würde. Bei den Lohnnebenkosten hätten sich viele hinterfragenswerte Relikte angesammelt. Beispielsweise der Wohnbauförderungsbeitrag, der von den Bundesländern meist für das Stopfen von Budgetlücken zweckentfremdet werde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2017)

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