Jordanien zwischen den Fronten

Ein Bub verkauft gebrauchte Kleidung in Jordaniens Hauptstadt Amman. Das Land ist eines der stabilsten und zugleich ärmsten Länder der arabischen Welt.
Ein Bub verkauft gebrauchte Kleidung in Jordaniens Hauptstadt Amman. Das Land ist eines der stabilsten und zugleich ärmsten Länder der arabischen Welt.REUTERS
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Die Krise trieb die Jordanier auf die Straße und die Regierung aus dem Amt. Die nächste muss schnelle Antworten finden – für ihr Volk, die Geldgeber und die mächtigen Nachbarn am Golf.

Als Brot plötzlich das Doppelte kostete, regte sich erster Unmut. Als dasselbe bei Benzin und Strom geschah, wuchs er. Als der unbeliebte jordanische Premierminister versuchte, eine überfällige Steuererhöhung auf Einkommen durchzupeitschen, schwappte er auf die Straße. Es sollten die größten Proteste seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings 2011 werden.

Jordanien, das als politischer Stabilitätsgarant in einer instabilen arabischen Welt gilt, liegt wirtschaftlich am Boden. Dass sich König Abdullah Anfang Juni sofort auf die Seite der Protestierenden schlug, das Kabinett austauschte und gemeinsam mit den Gewerkschaftsverbänden für eine umfassende Wirtschaftsreform wirbt, kauft ihm Zeit. Wie auch die drei Milliarden Dollar Hilfe, die die großen Nachbarn am Golf – Saudiarabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar – rasch in Aussicht stellten. Aber die Bevölkerung ist skeptisch. Zu oft hat sie in brenzligen Situationen erlebt, wie Politiker kamen und gingen, ohne dass die Korruption oder der überbordende Staatsapparat danach zurückgedrängt worden wäre. Zu lang schon ist Jordanien auf die Barmherzigkeit seiner großen Nachbarn angewiesen.

Viel anderes, als in der Not die Hand aufzuhalten, bleibt König Abdullah aber nicht übrig. Das Reich der Haschemitendynastie hat 39 Mrd. Dollar Schulden – 96 Prozent der Wirtschaftleistung. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 18 Prozent, unter Jugendlichen sind es knapp 40 Prozent. Dafür zählen die Mieten in der Hauptstadt Amman zu den höchsten im arabischen Raum. Der rohstoffarme Wüstenstaat hat anders als viele Nachbarn keine Öl- oder Gasquellen, um seine Finanzen aufzubessern, und kaum Industrie und Landwirtschaft. Selbst ihr Wasser müssen die Jordanier aus Israel zukaufen.

Die Weltbank attestiert dem Land guten Willen zu Strukturreformen – es habe im vergangenen Jahrzehnt Fortschritte im Bildungs- und Gesundheitssektor, Privatisierungen und Liberalisierungen erreicht. Aber vereinfacht gesagt: Die Umstände seien nicht auf seiner Seite. Womit die Weltbank nicht die Forderung des Internationalen Währungsfonds (IWF) meint: Dieser will im Gegenzug für seine 2016 bewilligte Kreditlinie über 723 Mio. Dollar Steuererhöhungen und Subventionsstreichungen sehen, die die Verschuldung bis 2021 auf annehmbare 77 Prozent drücken sollen. Dieser vom IWF verschriebene Sparkurs war es, der die Menschen am Ende auf die Straßen trieb.


Kriegsverlierer. Aber die Weltbank meint nicht das. Sie spricht von der geopolitischen Lage: Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien kamen laut UNHCR gut 650.000 syrische Flüchtlinge ins Land. Jordanien war stets ein Auffangbecken, 70 Prozent der Bewohner sind Palästinenser. Sie oder ihre Vorfahren kamen in früheren Kriegen. Die jüngste Migrationswelle wird jetzt zur sozialen wie wirtschaftlichen Nagelprobe. Jordanien, das 1990 3,6 Millionen Einwohner zählte, steht heute bei 9,9 Millionen. Das sorgt nicht nur für Spannungen in der Bevölkerung. Der Krieg ließ auch wichtige Handelspartner und -routen wegbrechen, die Verteidigungsausgaben steigen und brachte im Gegenzug Wirtschaftswachstum und Tourismus zum Erliegen.

Jordanien ist allein. So sieht es zumindest der König. Sein Land beherberge tatsächlich 1,3 Millionen Syrer, sagte er im Herbst der „Jordan Times“, das verschlinge ein Viertel des Staatsbudgets. „Keiner hilft uns, wenn wir uns nicht selbst helfen.“ Sieht man sich den letzten UNHCR–Bericht an, ist da etwas dran: Bis Februar gingen 17,8 Mio. Euro an Unterstützung für Jordanien ein – sechs Prozent von dem, was für das gesamte Jahr 2018 nötig wäre.

Die Proteste haben eine neue Hilfswelle ausgelöst. Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, sagte diese Woche bei ihrem Jordanien-Besuch einen zusätzlichen Kredit über 100 Mio. Dollar zu. Auch andere Staaten überweisen nach wie vor Geld – wie im Fall der USA fließt aber oft viel davon in die Verteidigung, denn Jordanien ist auch ein Stützpunkt der internationalen Koalition im Kampf gegen die Terrormiliz IS.

Und dann sind da noch die Golfstaaten, die Jordanien wie schon bei Ausbruch des Arabischen Frühlings ein Hilfspaket schnüren wollen. Sie machen das nicht nur aus Angst vor einem weiteren Brandherd, sondern dürften laut Beobachtern im Gegenzug auch politische Zugeständnisse erwarten.

Vor allem der einst enge Freund Saudiarabien ist in letzter Zeit gar nicht begeistert von König Abdullahs Kurs: Dieser sollte sich neben ihm und US-Präsident Trump in der Jerusalem-Frage stärker auf die Seite Israels stellen und die Muslimbrüder härter anpacken. Erstes ist schon durch die hohe Zahl palästinensischer Untertanen schwierig. Zweite sind in Jordanien keine verfolgte Terrororganisation, sondern Teil des politischen Lebens. Der vom saudischen Riad dominierte Golfkooperationsrat verlängerte die letzte Milliardenhilfe daraufhin 2017 nicht. Was Jordanien mindestens so sehr zum Sparstift zwang wie die Flüchtlingswelle.

Jetzt soll das Geld wieder fließen. Was der Staat damit macht, ist eine andere Frage. Der Chef der Börse von Amman, Jawad Anani, warnt die Regierung, weiter zu lavieren wie bisher. „Wir müssen Geld borgen, um zu investieren, nicht um die laufenden Kosten zu decken.“ Nachdem sechs Jahre Austerität keinen Erfolg hatten, brauche es antizyklische Investitionen – erst so entstehe eine echte Mittelschicht, die man später besteuern könne.

Was sagt die angesprochene Mittelschicht, die alles mit ihren hartnäckigen Protesten anstieß? Sie weiß jetzt, dass ihr Wort Gewicht hat, und sie hat eines klargemacht: Ändert sich nichts, ist sie zurück auf der Straße.

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In Zahlen

Milliarden Dollar
– oder 96 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. So groß war Jordaniens Schuldenberg Anfang 2018.

Millionen Dollar braucht der UNHCR 2018 laut eigenen Angaben für die Flüchtlingshilfe in Jordanien. Bis Februar kamen 17,8 Mio. Dollar oder sechs Prozent an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2018)

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