Ein sicherer Schuldner sei unser Staat

sicherer Schuldner unser Staat
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Bankrotte, Morde, gezielte Inflation - ein Blick in die Geschichte weckt Zweifel, ob Staatsanleihen ihren Nimbus der Sicherheit verdienen. Nur wer einen langen Atem hat, macht mit dem Souverän gute Geschäfte.

Lernen wir Geschichte! Was uns dieser Tage der Euro beschert, dafür sorgte vor gut hundert Jahren „Sossy“. Prinzessin Sophie von Preußen erwies sich für griechische Staatsanleihen als ähnlich trügerischer Schutz wie die europäische Einheitswährung. Sie feierte 1889 Hochzeit mit Prinz Konstantin von Griechenland, unter den wohlwollenden Blicken ihres Bruders, Kaiser Wilhelm, und ihrer Großmutter, der sonst so strengen Victoria von England.

Die Investoren frohlockten: Bei einer derart engen familiären Verflechtung mit den großen Wirtschaftsmächten Europas waren griechische Staatsanleihen wohl eine sichere Bank. Selbst wenn der unterentwickelten hellenischen Volkswirtschaft etwas zustoßen sollte, die reiche Verwandtschaft würde schon einspringen. Doch so harmonisch die Ehe verlief, so turbulent ging es bald auf den Märkten zu.

Griechenland, ein Remake. Denn die Griechen bewiesen keine glückliche Hand mit dem leicht lukrierten Geld. Der Erlös floss in einen aufgeblähten Beamtenapparat. In der Rezession von 1893 konnte die Regierung ihre Schuldscheine nicht mehr bedienen. Eine internationale Finanzkommission (heute sagt man Währungsfonds dazu) sollte nach Athen kommen, doch das wies die Regierung empört zurück.

Bis daher erinnert alles fatal an heute. Nur die Reaktion der Schirmherren verlief anders. Die deutschen Politiker zuckten nämlich wider Erwarten mit den Schultern: Dynastische Bande hin oder her, die Anleger hätten ihr Risiko kennen müssen. Wenn sie nun der Staat rettete, würde das ihren Leichtsinn weiter schüren. Die Banken blieben auf ihren Forderungen sitzen – vorerst, denn später bluteten die Griechen umso mehr. Unter diesem Trauma, heißt es, leiden sie noch heute.

Dabei hätten auch sie aus der Geschichte lernen können: Schon der erste dokumentierte Staatsbankrott fand in der Wiege des Abendlandes statt, im vierten Jahrhundert vor Christus. Ein Tempel hatte Stadtstaaten Geld geliehen und sah es nicht mehr wieder. Was das jüngere vom älteren Lehrbeispiel unterscheidet, ist das gestückelte, verbriefte, international handelbare Recht, das der kapitalknappe Souverän auf den Markt bringt: die Staatsanleihe.

Sie ist eine Erfindung des mittelalterlichen Venedig. Dort waren die Dogen zur Finanzierung ihrer Kriege auf die Unterstützung reicher Familien angewiesen. Zur Not wurde auch Zwang ausgeübt: Wer sich weigerte zu zahlen, dessen Palazzo wurde zerstört.

Beim Barte des Fürsten. So wuchsen die Schuldenberge, die sinnigerweise auch so hießen: montes. Um nicht den Überblick zu verlieren, fasste der Staatsrat sie 1262 zum „Monte Vecchio“ zusammen, einer Rückstellung, aus der Zinsen und Tilgung bedient wurden. Für Anteile am „alten Berg“ erhielten die Zeichner langfristige Schuldscheine, die eine feste Verzinsung von fünf Prozent versprachen und verkauft werden konnten. Die Staatsanleihe ward geboren – und wurde bald eifrig gehandelt, durchaus mit spekulativen Zielen. Der Kurs der Papiere orientierte sich am Kriegsglück der Serenissima. Stand der Erzgegner Genua vor der Tür, brach der Wert schon einmal um 90 Prozent ein. Zu Ausfällen kam es nicht, aber mit einer um Jahre verzögerten Rückzahlung hatten die Gläubiger zu rechnen.

Die Idee sprach sich herum, und bald waren Staatsanleihen in ganz Europa beliebt. Wegen des biblischen Verbots wurden bis ins 16. Jahrhundert keine Zinsen gezahlt, sondern Einnahmequellen übertragen, etwa Steuer- oder Pachtrechte. Auch bei den Sicherheiten zeigten sich die Financiers kreativ: Juwelen und Reliquien dienten als Pfand; einmal soll sogar der Bart eines Fürsten auf dem Spiel gestanden sein.

Statt „Road Shows“ hatten die Emittenten originelle Methoden, um Geldgeber zum Zeichnen zu bewegen. 1710 kombinierte der schottische Ökonom und Hasardeur John Law – wieder für Venedig – eine Staatsanleihe mit einer Lotterie, an der jeder Zeichner teilnahm. Sie fand reißenden Absatz.

Kopf ab statt Haircut. Solchen Anekdoten zum Trotz saß der Monarch bis zum Sieg des bürgerlichen Rechtsstaates auf dem längeren Ast: Wenn er nicht zahlen wollte, zahlte er nicht – und ließ lästige Gläubiger enteignen und hinrichten. Vor allem französische Monarchen schätzten diese derbe Form der Konsolidierung.

Auf Augenhöhe verhandelte Philipp II. mit seinen mächtigen Geldgebern. Dennoch brachte es der Habsburger dank sündteurer und oft erfolgloser Kriege in 42 Jahren auf dem Thron auf vier Staatsbankrotte – ein Rekord. Immer die Gleichen schauten durch die Finger: reiche Genuesen und die Fugger aus Augsburg. Ein Rätsel, das Wirtschaftshistoriker so erklären: Mit ganz leeren Händen gingen die Bankiers bei den „Haircuts“ nie aus, und auf lange Sicht rechnete sich die Anlage.

In der Moderne erlangten die Bonds einen neuen Status: den eines sicheren Hafens. Vor allem US-Treasuries gelten als Hort der Solidität und werden dafür mit den AAA-Bestnoten der Ratingagenturen belohnt. Die Gläubiger müssen nicht mehr um ihren Kopf bangen. Das Recht zwingt den Staat zu zahlen, und ihm stehen – theoretisch – unversiegbare Quellen der Beschaffung und Schaffung von eigenem Geld zur Verfügung.

Deutsche und Österreicher retteten sich aus dem Schuldendebakel zweier verlorener Weltkriege durch Währungsreformen. Wie schon die Römer: Nach dem ersten Punischen Krieg setzte der Senat den Kupfergehalt der gängigen Münze von zwölf auf zwei Unzen herab und wurden so flugs fünf Sechstel der Staatsschulden los.

Die öffentliche Hand kann auch die Notenpresse betätigen. Auch das stellt freilich nur die elegantere Version einer Zahlungsverweigerung dar – durch die unausweichliche Inflation entwertet sich des Staates Schuld. Kraft seiner Souveränität kann er zudem Steuern erhöhen, also die Bürger anzapfen. Angesichts solcher Optionen rätseln Ökonomen, warum Inlandskäufer ihre Anleihen überhaupt als Vermögen ansehen. Zumal die Japaner seit Jahrzehnten ihre komplette Staatsschuld zu Minirenditen finanzieren. Mit dem Erfolg, dass die Schuldenquote Nippons heute 200 Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.

Anleihen in Fremdwährung wären so kaum mehr zu platzieren. Denn bei ihnen besteht die Gefahr des Bankrotts – wenn der Emittent nicht mehr zu den Devisen kommt, in denen Zinsen und Tilgung zu entrichten sind. Auch EU-Staaten wie Griechenland sind die Hände gebunden: Sie verschulden sich in der eigenen Währung, deren Wert aber in Frankfurt gesteuert wird.

Anleger und Ratingagenturen scheinen sich von einem wenig rationalen Grundvertrauen in die Bonität von Staaten leiten und verleiten zu lassen: Fehlentwicklungen werden jahrelang ignoriert, oft bis es zu spät ist. Dennoch sind Staatsanleihen auf lange Sicht kein Verlustgeschäft. Das zeigen Untersuchungen für den Zeitraum 1850 bis 1970. Wie früher die Fugger preisen offenbar auch heutige Investoren Kriege und Bankrotte ein.

Getilgte Zarenschuld. Sie brauchen oft einen sehr langen Atem. So erinnerte sich der Börsenguru André Kostolany nach dem Ende der Sowjetunion an Anleihen aus der Zarenzeit, die von den Oktoberrevolutionären nicht mehr bedient worden waren. Ihr Preis war auf 0,25 Prozent des Nominalwertes gefallen. Doch Kostolany spekulierte darauf, dass westliche Geldgeber Russland erst nach Bereinigung seiner Altlasten vertrauen würden. Tatsächlich kam es zu einer Entschädigung, und der Investor erzielte eine nicht ganz alltägliche Rendite von 6000 Prozent. Da hat zumindest einer aus der Geschichte gelernt.

Das sei auch den Ökonomen angeraten. Denn zur Diskussion über einen rechtlichen Rahmen für Staatspleiten hat schon Ur- und Übervater Adam Smith, der mit „unsichtbarer Hand“ noch immer den Takt vorgibt, das erste und letzte Wort gesprochen: „Eine faire, offene und ausdrückliche Insolvenz bietet stets das beste, für den Schuldner am wenigsten entehrende und für den Gläubiger am wenigsten schmerzhafte Verfahren.“

4. Jahrhundert v. Chr.
Griechische Stadtstaaten verursachen den ersten dokumentierten Staatsbankrott.

1262
Die Republik Venedig legt die ersten verbrieften und handelbaren Staatsanleihen auf.

16. Jahrhundert
Das Zinsverbot fällt, Wertpapiere werden leichter handelbar.

Erster Weltkrieg
Deutschland und Österreich finanzieren ihre Militärausgaben großteils über Kriegsanleihen.

1996
Russland kann eine Anleihe auf dem Eurobondmarkt erst platzieren, nachdem es Entschädigungen für nicht getilgte Anleihen aus der Zarenzeit zahlt.

Schuldverschreibungen sind eine Geldquelle für Staaten, die mit ihren Steuereinnahmen nicht auskommen.

Die Sicherheit amerikanischer und deutscher Staatsanleihen ist legendär, weil ihr Ausfall als extrem unwahrscheinlich gilt.

Risken gibt es aber auch bei hier: Inflation kann Anleihen entwerten, bei Bonds in Fremdwährung kommt das Währungsrisiko dazu.

Das Ausfallsrisiko wird durch Risikoaufschläge auf den sicheren Zinssatz eingepreist. Mit Credit Default Swaps (CDS) können sich Anleger gegen einen Ausfall versichern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2010)

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