Plastische Chirurgie: Ein neuer Busen als Geldanlage

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neuer Busen Geldanlage(c) REUTERS (CHINA DAILY)
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Aus Angst vor einer Euro-Abwertung investieren immer mehr Österreicher ihr Erspartes - nicht nur in Immobilien oder Gold, sondern auch in den eigenen Körper. Die Schönheitschirurgie boomt.

Würden Sie Gift nehmen? Ein schweres Nervengift noch dazu, das als eines der stärksten bekannten Toxine zu Atemlähmung und damit zum Tod führen kann? Die Antwort dürfte jedem Menschen leicht fallen – und natürlich negativ ausfallen. Und doch: Wenn es um das Nervengift Botulinumtoxin geht, sieht die Sache ganz anders aus. Nicht nur Hollywood-Celebrities, sondern inzwischen auch abertausende „Normalsterbliche“ lassen sich „Botox“, wie das Gift landläufig heißt, als Schönheitselixier injizieren. Sie denken dabei nicht an die Herkunft des Stoffes, der vor allem als Faltenglätter populär geworden ist.

Botox-Partys, die die Tupperware-Treffen der 60er-Jahre abgelöst haben, neue Nasen als Weihnachtsgeschenk, Brustkorrekturen als Tombolagewinn: Der Trend zur – ewigen – Schönheit und Jugend, mit allen negativen Facetten, hat nun einen neuen Aspekt: Aus Angst vor einer Geldentwertung und/oder einem Crash des Euro investieren immer mehr Österreicher in den eigenen Körper.

„Eigentlich haben wir damit gerechnet, dass in der Krise mehr gespart wird, aber genau das Gegenteil ist der Fall“, sagt der Chef der Schwarzl-Klinik auf der Laßnitzhöhe, Johann Umschaden, zur „Presse am Sonntag“. Die – eigenen Angaben zufolge größte – Klinik für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie in Österreich verzeichnete in den vergangenen Jahren einen Zuwachs von zwei bis drei Prozent. „Heuer haben wir bis jetzt schon ein Plus von 17 Prozent“, erklärt Umschaden und verweist darauf, dass die „Hoch-Zeit“ für Schönheitschirurgie eigentlich im Herbst und Winter liegt. Der Grund: Narben können bis zur nächsten Badesaison gut verheilen.

Der prominente Chirurg Artur Worseg hat in seinem Wiener Institut für Plastische Chirurgie sogar schon Schrumpfungsstrategien erarbeitet, für den Fall, dass die Patienten in der Krise ausbleiben. Er kann die Szenarien schubladisieren, denn „wir werden überrannt“. Worseg und Umschaden sprechen von einer Verschiebung der Werte. In welche Richtung? „Bevor mein Geld nichts mehr wert ist, gebe ich es lieber jetzt für mich selbst aus“, zitiert Umschaden etliche Patienten. Die Rundumerneuerung könne einem niemand wegnehmen.

Schon seit Anfang 2009 verzeichnet Worseg eine 20 bis 25 Prozent höhere Frequenz bei Operationen. Noch viel höher liege der Zuwachs bei Behandlungen, bei denen kein chirurgischer Eingriff notwendig sei, wobei das Faltenaufspritzen oder -auffüllen an erster Stelle liegt. Was allerdings auch damit zu tun hat, dass hierzulande sogenannte Permanentfüller verboten sind, ergänzt Peter Kompatscher, Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie in Feldkirch. Das heißt, dass eine Botoxspritze jedes halbe Jahr wiederholt werden muss, wenn die Krähenfüße nicht wieder auftauchen sollen. Kompatscher ortet den großen Boom nur bei Botox und Co.: Da gebe es 20-prozentige Steigerungen, während die Zahl der echten Operationen (Brust-, Nasen- und Lidkorrektur, Fettabsaugen) stagniere. Zumindest für Vorarlberg treffe das zu.

Der Rubel rollt also in den Kliniken zwischen Neusiedler- und Bodensee wie nie zuvor. Schönheitschirurgen gehören damit eindeutig zu den Krisengewinnern. Dieser Feststellung will keiner der Fachärzte widersprechen, obwohl Umsätze genauso wie Patientenlisten zu den bestgehüteten Geheimnissen zählen. Ein Milliardenmarkt ist es allemal auch im kleinen Österreich.

Worseg registriert jedoch eine neue Entwicklung, die ebenfalls mit der Krise zu tun hat: „Die Leute wollen in eine OP investieren, aber sie feilschen um den Preis.“ Mit dem Schönheitsboom wuchs auch das Angebot und damit die Konkurrenz. Und die Auswahl. Schon am Telefon, so Worseg, wird, noch bevor ein Termin vereinbart wird, fest verhandelt. „Die Preise sind in derselben Dimension gefallen, wie die Nachfrage gestiegen ist.“

Genaue Statistiken gibt es nicht, aber die Österreichische Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie geht von rund 40.000 Schönheitsoperationen und Behandlungen im Jahr aus. Diese Zahlen decken sich mit jenen, die Gesundheitsminister Alois Stöger im Dezember 2009 in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung nannte. Tendenz steigend.

Die Dunkelziffer dürfte jedoch vor allem bei den Behandlungen ohne Operation – Aufspritzen, Unterfüllen, Hautabschleifen – noch viel höher sein, denn jeder kann sich Schönheitschirurg nennen. Den Begriff gibt es in der Facharztausbildung gar nicht. „Auch ein guter Augenarzt kann eine Korrektur-OP machen“, meint Worseg.

Um die Zahl der Beschwerden, die laut Minister Stöger nur bei 24 pro Jahr liegt, noch zu reduzieren und einheitliche Qualitätskriterien zu schaffen, wünscht sich die Gesellschaft eine EU-weite Regelung.

Es ist aber nicht nur der – mitunter krankhafte – Jugendwahn und Hang zur Perfektion und/oder die Sorge um das Ersparte, das Menschen unters Skalpell treibt. Immer weiter verbreitet ist die Meinung, dass Menschen, die jugendlich, schlank und attraktiv sind, mehr Erfolg im Beruf haben. Und da kommen die Männer ins Spiel. Umschaden und Kompatscher schätzen zwar ihren Anteil auf unverändert zehn Prozent. Aber nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande steigt die Zahl der Manager – und jener, die es noch werden wollen –, die sich Schlupflider und Tränensäcke entfernen, Haare einpflanzen und Fett absaugen lassen. Mann will es aber besonders dezent: Denn ein Berlusconi- oder Mickey-Rourke-Effekt macht sich weder beim Einstellungsgespräch noch in der Chefetage gut.

„Der gesellschaftliche Druck ist enorm gestiegen“, plaudert Worseg aus dem Nähkästchen. Wenn jemand nicht (mehr) makellos sei, heiße es sicher im Freundes- und Bekanntenkreis: „Warum lässt du dir das nicht machen?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2010)

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