Nachhaltiger Konsum? Geiz sticht Moral

Konsum Geiz sticht Moral
Konsum Geiz sticht Moral(c) APN (Matthias Rietschel)
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Zwischen den hehren Idealen der Konsumenten und ihrem tatsächlichen Verhalten liegen Welten. Die Deutschen gelten als typische Billigkäufer, in Österreich erreicht der Fairtrade-Anteil im Handel Spitzenwerte.

KÖLN/WIEN (cim).Wer trägt gern Jeans, die ein Kind genäht hat, das irgendwo in Asien in einer Baracke haust, zehn Stunden am Tag arbeitet und dabei ungeschützt Chemikalien einatmet? Wohl niemand. Trotzdem schaffen es solche Produkte immer wieder in die Regale der Läden, die sich mit billigsten Preisen und Rekordwachstum brüsten. Trotz aller Kritik an Diskontern und ihren Arbeitsmethoden ist den Konsumenten der Geiz wohl näher als die Moral, das besagt eine Studie des deutschen Instituts für Handelsforschung (IHF) in Köln. Demnach klaffen die theoretischen Ansprüche der Menschen und ihr tatsächliches Verhalten im Geschäft eklatant auseinander.

Mehr als drei Viertel der Konsumenten legen beim Einkaufen Wert darauf, dass die Produkte umweltverträglich hergestellt werden, dass die Arbeitsbedingungen in der Produktion und im Handel fair sind und soziale Mindeststandards eingehalten werden. Kinderarbeit? Ein absolutes Tabu. 54,5 Prozent der befragten Deutschen halten diese Aspekte für sehr wichtig, 23,9 Prozent immerhin für wichtig. Gekauft wird aber weiterhin im preiswerten Segment. „Im Grunde möchte der Kunde ein reines Gewissen beim Kauf haben, am Ende entscheidet er sich aber für den günstigeren Preis“, meint IHF-Geschäftsführer Boris Hedde.

„Dass die Ideale und das tatsächliche Verhalten auseinanderklaffen, ist nicht neu“, sagt Peter Schnedlitz, der Vorstand des Instituts für Handel und Marketing an der WU Wien. Allerdings sei die Einstellung der Konsumenten ein Wegbereiter. Wenn sie sozial- und umweltverträglich hergestellte Produkte wünschen, dauert es eine gewisse Zeit, bis sie diese auch tatsächlich kaufen. Die Österreicher, so Schnedlitz, seien da schon einen Schritt weiter als die Deutschen. Schließlich erreicht zum Beispiel der Bio- oder Fairtrade-Anteil im Lebensmittelhandel in Österreich Spitzenwerte, während die Deutschen als typische Billigkäufer gelten.

Im Supermarkt stecke der Konsument im Spannungsfeld aus den drei Polen Selbstverwirklichung, Convenience und Verantwortung, erklärt der Handelsexperte. Je nachdem, welcher Aspekt siegt, greift man – im Wissen, dass es auch umweltschonender ginge – zum Beispiel zur Verpackung aus Plastik, weil sie praktisch ist.

Der Wühltisch lockt

Der Anteil der privaten Konsumausgaben für Textilien und Schuhe ist in Deutschland nach den Zahlen des IHF seit dem Jahr 2000 kontinuierlich gesunken, aktuell liegt er bei gut 5,3 Prozent. Der Teil des Textilmarktes, der ausschließlich über den günstigen Preis verkauft, habe seinen Marktanteil seit 2002 verdoppelt und mache mittlerweile mehr als zwölf Prozent des Marktvolumens aus. „Viele Verbraucher haben kaum die Wahl, ob sie bei Textildiskontern kaufen oder nicht“, doch der Erfolg der Diskonter sei nicht nur Käufern aus der niedrigen Einkommensschicht zu verdanken, so Hedde.

„Ein neues Hemd oder eine neue Hose braucht heute niemand mehr“, sagt Schnedlitz. Bei Textilien geht es um Lustkäufe. Die wenigsten sind heute aus finanzieller Not gezwungen, Billigstprodukte zu kaufen. Ein viel wichtigerer Aspekt sei der Reiz des Billigen, der Reiz des Wühltisches.

Kaum Transparenz bei Textilien

Nach zahlreichen Skandalen in der Textilindustrie – von Diskontern bis zu Weltmarken mit höchsten Preisen – haben die Konzerne aber reagiert. Keine Textilfirma kommt ohne „Code of Conduct“ aus, ein Regelwerk aus Standards, die sie ihren Partnerbetrieben in Produktionsländern (zumindest auf dem Papier) abverlangen.

Selbst die Billigstkette Kik, jüngst in den Schlagzeilen, nachdem die Arbeitsbedingungen der Näher und der Lieferanten in Bangladesch bekannt wurden, verspricht nun Besserung. „Es ist aber nur eine Minderheit der Konsumenten, die sich über so etwas Gedanken macht“, meint Schnedlitz. Auch weil die Menschen wissen, dass die Produkte aus denselben Zulieferbetrieben bei Großkonzernen und Markenfirmen genauso landen und es gerade bei Kleidung kaum Transparenz über die Herkunft gibt. „Das Bewusstsein wird aber stärker, Vorreiter sind schon aktiv und das Segment wird sicher breiter werden.“

Trendwende(n) bei Lebensmitteln

Immer wenn Verantwortung und Genuss zusammenfließen, lassen sich auch gute Geschäfte machen. Einige Fairtrade-Produkte wie Schokolade oder Kaffee haben sich längst auf dem Markt etabliert. Bei Lebensmitteln ist es schon zu Verschiebungen der Marktanteile gekommen. Bei Bioprodukten wurden jahrelang zweistellige Wachstumsraten verzeichnet. Mit der Krise aber kam die Trendwende: Solche Zuwächse wurden nur mehr bei billigen Eigenmarken verbucht.

Am Ende, so Schnedlitz, gelte ja nach wie vor das berühmte Zitat von Bert Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Öko, fair oder billig? Drei von vier deutschen Konsumenten wollen Produkte aus umweltschonender Produktion, von glücklichen, gut bezahlten Menschen hergestellt und verkauft. Am Ende gehen sie aber doch zum billigsten Anbieter – trotz aller Kritik an Diskontern und ihren Arbeitsweisen. Das besagt eine Studie des deutschen Instituts für Handelsforschung (IFH).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2010)

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