Berufseinstieg: Arbeiten um jeden Preis?

(c) Clemens Fabry
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Der Einstieg ins Berufsleben ist schlecht bezahlt und unsicher wie selten zuvor. Die Antworten der jungen Leute für einen Ausweg reichen von Selbstständigkeit über Selbstausbeutung bis Arbeitsverweigerung.

Es war ein Arbeitsleben wie aus einer Versicherungswerbung: beständig und sicher. Als die Generation der Babyboomer in den 1960er-Jahren auf den Arbeitsmarkt drängte, rangen die Unternehmen um jeden klugen Kopf. Wer lange genug dabei blieb, verdiente mit den Jahren gar nicht schlecht.

Ihre Kinder können von einem derart reibungslosen Einstieg in die Arbeitswelt nicht einmal träumen. Zwar zählt Österreich nach offiziellen Schätzungen zu den Ländern mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit, auch unter den Jungen. Mit dem Prinzip „ein Leben, ein Job“ ist es aber vorbei. Wer heute zu arbeiten beginnt, sieht sich mit zwei Welten konfrontiert: In der einen warten Jobs mit Versprechungen von der planbaren Karriere und dem leistbaren Eigenheim. Ganz wie in den Zeiten des Wirtschaftswunders. Die andere ist ein Dickicht aus unterschiedlichen Verträgen und Beschäftigungsformen – es ist die Welt der Langzeitpraktikanten, Leiharbeiter und Ich-AGs. Unsicher und verwirrend nennen das Kritiker – flexibel und offen die Befürworter der Entwicklung.

Klar ist: Die zweite Welt wird ständig größer. Jeder Fünfte zwischen 20 und 24 Jahren hatte 2009 einen dieser Verträge. Zählt man Teilzeitbeschäftigte und Lehrlinge hinzu, war es ein Drittel. Vor sechs Jahren waren es noch 26,1 Prozent. In Summe war in allen Altersgruppen 2009 rund eine Million Menschen in Österreich „atypisch“ beschäftigt und hatte keinen regulären Vollzeitjob. Die meisten, die sich in derartigen Beschäftigungen wieder finden, setzen alles daran, auf die scheinbar sichere Seite zu wechseln. Ein Problem teilen sich aber beide Welten: Aller Anfang ist schlecht bezahlt. Am steilsten ist der Anstieg bei männlichen Angestellten: Diese verdienten zwischen 20 und 25 Jahren im Schnitt 1647Euro brutto, mit 55 bis 60 Jahren 3596 Euro, wie aus einer Auswertung der Statistik Austria für 2006 hervorgeht. Obwohl der Job auf Lebenszeit längst Geschichte ist, am Senioritätsprinzip halten die meisten Arbeitgeber und Gewerkschaften fest.

Häufige Jobwechsel. Die Jungen sind aber nicht nur schlechter bezahlt, sie wechseln auch häufiger den Job. Bei einem durchschnittlichen Erwerbstätigen in Österreich beträgt die Wahrscheinlichkeit, einen neuen Job aufzunehmen, 38 Prozent pro Jahr. Bei den unter 25-Jährigen sind es 70 Prozent. Wer heute angestellt ist, kann morgen schon arbeitslos und übermorgen selbstständig sein, lautet die Devise.

Ein Paradebeispiel dafür, wie eine erfolgreiche Karriere in dieser Welt aussehen kann, sind Robert Diem (33) und Erwin Stättner (36). Zusammen mit Grafikern und einer Lektorin teilt sich ihr Architekturbüro „Franz“ in Neubau eine Bürogemeinschaft. Ein Jahr nach der Gründung können sich die beiden nicht über mangelnde Aufträge beklagen. Doch der Weg bis dahin war hart. Die Architekten absolvierten den üblichen Parcours aus Projektarbeiten und „Pauschalverträgen, bei denen man nie weiß, was auf einen zukommt“, sagt Diem. „Ich war hungrig und motiviert. Mir war es egal, was ich verdient habe“, meint Stättner. Mehr als sechs bis sieben Euro die Stunde seien es wohl nicht gewesen.

Auch wenn der Berufseinstieg langwierig war, haben die beiden als Akademiker einen Startvorteil. Ein Problem hätten eher jene zehn Prozent Drop-outs, die die Schule abbrechen und keine weitere Ausbildung absolvieren, sagt AMS-Chef Herbert Buchinger. Für sie sei es heute ungleich schwerer als vor dreißig Jahren. Denn es ist immer noch leichter, sich als Grafiker von Projekt zu Projekt zu einem festen Job zu hanteln, als als Leiharbeiter im Lager eine feste Anstellung zu ergattern. Von Jänner bis Juni stieg die Zahl der Leiharbeiter von knapp 54.000 auf 80.000. Damit hat die Branche den Höchststand von 2008 mit 90.000 Beschäftigten fast erreicht. Ein Jahr später, als die Krise kam, verloren die Leiharbeiter als Erste ihre Jobs.

Einer von ihnen war Andreas W. Eineinhalb Jahre lang war der 28-jährige Wiener über eine Personalleasingfirma als Großkundenbetreuer an eine internationale Spedition verliehen. Als „Mitarbeiter zweiter Klasse“, wie er heute sagt. Für die gleiche Arbeit verdiente er 300 Euro oder ein Fünftel weniger als seine Kollegen. „Nach eineinhalb Jahren war ich einer von den alten Hasen“, sagt er. Als Andreas den Job verlor, ging er erst an die Uni, heute ist er Stammgast beim AMS, lebt vom Arbeitslosengeld und hat scheinbar resigniert. Zurück in ein Büro will er nicht, andere Angebote gibt es für den HAK-Absolventen kaum. „Am liebsten würde ich gar nicht mehr arbeiten“, sagt er. Arbeitsverweigerung – auch das ist eine Antwort, die junge Menschen auf mangelnde Perspektiven finden.


Praktikanten zum Dumpingpreis. Die meisten geben aber viel, um trotzdem ihren Traumjob zu ergattern, machen serienweise Praktika, bei geringer Bezahlung und wenig Aussicht auf Aufstieg. Auch die Architekten von „Franz“ werden mit einem steigenden Angebot an willigen Praktikanten konfrontiert. Über das EU-Programm Leonardo kämen vor allem junge Architekturstudenten aus Deutschland nach Wien, weil sie ein Pflichtpraktikum machen müssen. Hier bieten sie ihre Arbeitskraft zu „Dumpingpreisen“ an.

Ein paar hundert Euro zahlt die EU, die Büros legen im Schnitt 300 Euro drauf, erzählt Diem. Jobs finden sie, denn in vielen Architekturbüros ist die Arbeit ohne Praktikanten gar nicht bewältigbar. Für heimische Architekturstudenten bedeutet das aber: Mehr als 300 Euro bekommen auch sie nur selten. Diem hält das für ein untaugliches Mittel, mit Beschäftigten umzugehen. Sie selbst stellen Studenten ein – auf Stundenbasis –, „zum selben Preis könnten wir zehn Praktikanten nehmen“, sagt Stättner.

Auch Roman Miklis (23) kennt das Praktikantenleben. Nach seinem Abschluss an der Werbeakademie heuerte er bei einer großen Agentur an – 800 Euro Praktikantenlohn gab es für 50 Stunden Wochenarbeitszeit. Dafür habe er viel gelernt, sagt Miklis. Und er wollte mehr lernen. Also suchte er sich einen Zweitjob, um das Praktikum weiter zu finanzieren. Drei Monate lang endete sein Arbeitstag nicht mit Büroschluss, sondern erst nach seiner Spätschicht als Regalschlichter bei der Drogeriekette „Müller“. Wenig später war endgültig Schluss. Die Krise war da.

Immerhin, laut Statistik finden unter 25-jährige Arbeitslose schneller einen Job als der Schnitt. Buchinger rät jungen Jobsuchenden, nicht zu lange zu suchen. „Eine schlechte Arbeit ist besser als gar keine.“ Gerade bei jungen Bewerbern würden Arbeitgeber sehr genau auf Lücken im Lebenslauf achten und diese negativ interpretieren. Junge Akademiker sollten drei Monate suchen, ob sie einen Job finden, der ihrer Ausbildung und ihren Qualifikationen entspricht. „Zwischen dem dritten und sechsten Monat sollte man seine Ansprüche überdenken und einen Job annehmen.“ Eine bessere Beschäftigung könne man sich ja später immer noch suchen. Ein schlecht bezahltes Praktikum sollte man aber nur dann annehmen, wenn es einen wirklich beruflich weiterbringt. Generell sei ein reguläres Vollzeitverhältnis anzustreben, rät der AMS-Chef. Leichter ist das freilich nicht geworden.


Selbstständigkeit als Ausweg. Bleibt nur der Schritt in die Selbstständigkeit? Zumindest die Architekten von „Franz“ bereuen es nicht, sich auf die eigenen Beine gestellt zu haben. „Viele trauen sich nicht, in die Selbstständigkeit zu gehen“, verspricht eine feste Anstellung oder ein Werkvertrag doch eine gewisse Sicherheit. „Ich lebe seither viel lockerer“, sagt Diem. „Wenn ich Mist baue, habe ich es nur noch vor mir und dem Erwin zu verantworten.“ Auch sein Kompagnon kann zustimmen. Für ihn war der Schritt als dreifacher Familienvater noch schwerer. Bei der Gründung hatten sie keinen einzigen Auftrag in der Tasche. Seitdem gewannen sie vier lukrative Wettbewerbe. Angst haben sie nicht mehr. „Wenn es nicht funktioniert, sperren wir wieder zu“, sagt Diem. „Leid um die Zeit wird mir nie sein“.

Schwieriger Berufseinstieg

Jeder fünfte Beschäftigte zwischen 20 und 24 Jahren hatte 2009 kein reguläres Dienstverhältnis, sondern arbeitete als freier Dienstnehmer, Leiharbeiter oder war befristet beschäftigt. Rechnet man Teilzeitbeschäftigte und Lehrlinge zu den atypisch Beschäftigten, hat jeder Dritte in dieser Altersgruppe keinen regulären Job. Junge Beschäftigte müssen öfter mit einem Jobwechsel rechnen als ihre Eltern. Dafür sind sie kürzer arbeitslos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2010)

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