„Wir sind in Europa zur Solidarität verdammt“

bdquoWir sind Europa Solidaritaet
bdquoWir sind Europa Solidaritaet(c) EPA (ATTILA MANEK)
  • Drucken

Wirtschaftsexperte Paul de Grauwe glaubt nicht, dass der Euro ohne eine starke politische Union überleben kann – und plädiert für eine Sanierung über gemeinsame Euroanleihen.

Die Presse: Die USA sind höher verschuldet als die Eurozone, und die Schulden wachsen auch viel schneller. Wieso haben wir die Staatsschuldenkrise und nicht die Amerikaner?

Paul de Grauwe: Das kommt unter anderem daher, dass uns die finanziellen Transfersysteme fehlen, mit denen in den USA ganz selbstverständlich, ohne dass es irgendjemand bemerkt, die Unterschiede zwischen den Bundesstaaten ausgeglichen werden. Uns fehlt eben eine politische Union, die mit diesen Dingen umgehen kann. Das schafft auf den Märkten kein Vertrauen.

Eine politische Union will die Bevölkerung aber offenbar nicht haben.

Ja, wir sind nicht gewillt, in diese Richtung zu gehen. Vor allem hier und in Deutschland heißt es: Wir wollen denen nicht noch mehr Geld geben, wir sind ja nicht für ihre Schulden verantwortlich.

Eine nicht ganz unverständliche Regung.

Wir sind in Europa aber zur finanziellen Solidarität verdammt, weil wir einen sehr hohen Grad an finanzieller Integration haben. Ein Land in Schwierigkeiten löst doch sofort Dominoeffekte aus. Die spanischen Schulden werden von französischen, deutschen, aber auch österreichischen Banken gehalten. Wenn wir sagen, wir wollen kein Geld der Steuerzahler für die Rettung von Irland, Griechenland oder Spanien aufwenden, dann müssen wir eben für die erneute Rettung unserer Banken bezahlen. Da gibt es sofort eine neue Bankenkrise.

Das Schicksal des Euro ist also kein wirtschaftliches, sondern ein politisches Problem?

Genau. Meine Basisbotschaft ist: Die Eurozone kann nur überleben, wenn sie sich zur politischen Union entwickelt. Wenn wir das nicht wollen – was in vielen Euroländern der Fall zu sein scheint – dann kann man den Euro vergessen. So hat die Eurozone keine Zukunft.

Es gibt Experten, die meinen, dass sich die Eurozone deshalb bald in einen Nord- und in einen Südeuro aufspalten wird.

Das wird nicht passieren, weil es nicht machbar ist. Was aber durchaus passieren könnte: Deutschland könnte mit ein paar Satelliten wie Österreich, Holland und Belgien eine neue Währung formen. Der Rest wäre dann einfach draußen. Wenn wir so weitermachen, wird der Euro in seiner jetzigen Form aber ohnehin irgendwann implodieren. Es kann nur niemand sagen, wann das sein wird.

Käme die Gruppe um Deutschland, die sie ansprechen, halbwegs ungeschoren aus dem Schlamassel heraus?

Nein. Deutschland hat stark von der Eurozone profitiert und würde viel verlieren. Deshalb stehen auch die Industrie und die Banken voll hinter der Gemeinschaftswährung. In der Bevölkerung gibt es aber eine starke Ablehnung. Es ist eine Schande, dass die Medien auf dieser Welle mitschwimmen und die Politik nicht gegensteuert.

Sie plädieren für eine Euroregierung, die Steuern einhebt und ein eigenes Budget verwaltet. Das wird es aber so bald nicht geben. Was ist die Alternative?

Es gibt keine Willen für eine Euroregierung. Das ist ein großes Problem. Wir sollten jetzt eine Strategie der kleinen Schritte umsetzen. Der beschlossene Euro-Rettungsmechanismus war ein erster Schritt. Die gemeinsame Emission von Euroanleihen wäre der nächste. Damit würde man dem Markt Stabilität signalisieren.

Würden das nicht viele als Belohnung für die Budgetsünder empfinden?

Wir sollten das tun, was sonst der Internationale Währungsfonds macht: finanzielle Unterstützung mit strikten Vorgaben gewähren und einen Plan haben, wie man da wieder herauskommt. Man könnte beispielsweise ein System entwickeln, dass hoch verschuldete Länder einen Teil über niedrig verzinste europäische Anleihen finanzieren können und darüber hinaus teure eigene Anleihen auflegen müssten. Das wäre eine starke Motivation, die Verschuldung zu reduzieren.

Finanzielle Unterstützung hat es für die Problemstaaten ja schon ausreichend gegeben.

Aber wir haben dafür zu hohe Zinsen akzeptiert. Wenn deutsche oder französische Banken von Irland sechs Prozent und mehr Zinsen verlangen, dann signalisiert man dem Markt damit doch, dass die Euroländer selbst nicht an eine erfolgreiche Sanierung ihrer Problemstaaten glauben. Das macht es viel schwieriger, aus der Krise herauszukommen. Mit Euroanleihen, für die gemeinsam gehaftet wird, könnte man dieses Signal vermeiden.

Eigentlich hätten die Euroländer gar nicht in diese Situation kommen dürfen. Wir haben ja den Maastricht-Vertrag und den Stabilitätspakt.

Der Stabilitätspakt hat nicht funktioniert, weil er von oben in nationale Souveränitäten eingreifen wollte. Das geht nicht, weil es hieße, dass nationale Regierungen die politischen Kosten von EU-Entscheidungen tragen. Man muss Souveränität an die EU übertragen. Sie muss Steuern einheben und ein Budget verwalten können. So weit sind wir aber noch lange nicht.

Es hilft also auch nichts, den Stabilitätspakt zu verschärfen?

Wenn trotz strenger Brandschutzbestimmungen ein Feuer ausbricht, dann wäre es besser, das zu löschen, als einfach die Brandschutzbestimmungen zu verschärfen. Die Feuerwehr sollte auch zuerst löschen und dann erst nach dem Schuldigen suchen – nicht umgekehrt.

Sind die neuen Basel-III-Regeln für Banken ein brauchbarer Krisenverhinderungsmechanismus?

Nein, weil sie das Geschäftsmodell der Banken nicht ändern. Eine wirkliche Bankenreform ist unter dem Druck der Lobbys versäumt worden. Wir werden solche Bankenkrisen also bald wieder haben.

Zur Person

Paul de Grauwe ist einer der führenden Geldtheoretiker Europas. Der belgische Ökonom, der an der katholischen Universität Leuven lehrt, hat aber auch einen starken Drang zur wirtschaftspolitischen Praxis – mit dem ausgeprägten Wunsch, die europäische Geldpolitik mitzugestalten. Er war Abgeordneter der liberalen Partei VLD im belgischen Parlament. 2002 schlug ihn die belgische Regierung für die EZB-Vizepräsidentschaft vor. De Grauwe hielt am Mittwoch einen Vortrag bei der Inauguration der „Vienna Graduate School of Economics“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.