Andritz Hydro: Der Strom aus der Strömung

Andritz Hydro Strom Stroemung
Andritz Hydro Strom Stroemung(c) Andritz Hydro
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Ein Teil der Energiezukunft liegt in der Tiefe der Meere. Gezeitenkraftwerke unter Wasser liefern verlässlicher Strom als Wind- und Solaranlagen. Andritz Hydro investiert in eines der aussichtsreichsten Projekte.

Die Idee ist gar nicht so neu. Londoner Archäologen staunten nicht schlecht, als sie bei Grabungen rund um den überbauten River Fleet die Reste einer römischen Mühle fanden. Sie stand nicht etwa am Oberlauf des Baches, wo die Wässerchen noch munter in Richtung Themse und Meer plätschern. Sondern vielmehr nahe der Mündung, wo nur noch Flut und Ebbe das Wasser in Bewegung hält. Der erste Versuch, die Kraft der Gezeiten zu nutzen, stammt also aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus.

Viel später, Ende des zweiten Jahrtausends, bauten dann die Franzosen ihren megalomanischen Staudamm an der Rance-Mündung in der Normandie und priesen ihn als Wunder gallischer Ingenieurkunst. Eine Touristenattraktion ist die Dreiviertel-Kilometer-Betonmauer noch heute. Aber durchgesetzt hat sich die Technologie nicht. Zu hoch sind die Baukosten, zu problematisch die Umweltfolgen. Und zu klein ist die Zahl der Standorte, die überhaupt in Frage kommen. Einzig die Südkoreaner planen eifrig weiter Projekte dieser Art.

Auf den Mond ist Verlass. Nun aber scheint die große Zeit für die Gezeiten endlich gekommen. Die Idee erlebt ihre zweite Renaissance, in einer ebenso schlichten wie spektakulären Form: Man nehme eine Art Windrad und versenke es im Meer. Am Boden befestigt muss es nicht werden: Die 1000 Tonnen halten das Unterwasserkraftwerk von selbst auf seinem Platz. Man stelle ein zweites dazu, dann zehn, dann hundert – dort unten, in 40 bis 100 Meter Tiefe, stören sie ja niemanden, ganz anders als die unschönen Windparks auf Bergeshöhen.

Dafür gibt es am Meeresboden eine Gezeitenströmung, nach der man die Uhr stellen kann, auf Monate und Jahre hinaus. Das ist der große Vorteil dieser erneuerbaren Energie – beim Wind weiß man ja nie, wann er bläst, bei der Sonne nicht, ob sie scheint.

(c) Die Presse / HR

Mit Unterwasser-Gezeitenparks aber lässt sich fix planen – „solange der Mond nicht irrtümlich auf der falschen Seite steht“, wie Alexander Schwab, Marketingmanager und Sprecher von Andritz Hydro, schmunzelnd hinzufügt. Der weltweit zweitgrößte Hersteller von Turbinen für Wasserkraftwerke mischt so ziemlich überall mit, wo sich Strom aus Wasser gewinnen lässt: zu Hause, bei umstrittenen Riesen-Dämmen in Brasilien und der Türkei, bei Kleinkraftwerken in Asien – und nun auch beim Strom aus dem Meer.

Unten statt oben. Auf einer Welle reitet man nicht mit: Strom aus Wellen an der Oberfläche. Auch in diese Richtung wird geforscht, aber die Prototypen werden meist von Sturmfluten zerstört. Am tiefen Meeresgrund aber geht es ruhig zu; einzig ein Tsunami würde dort Staub aufwirbeln. Die Zukunft sieht Hydro also in der Gezeitenkraft.

Stattfinden könnte sie im höchsten Norden: Mit einem Drittelanteil haben sich sich die Österreicher bei Hammerfest Strøm beteiligt.Das kleine norwegische Unternehmen ist eines von etwa zwei Dutzend, die sich hoffnungsfroh submaritimen Projekten verschreiben. Mit einem großen Vorteil: Der Prototyp von Kvalsund auf dem Boden des Nordmeeres hat sich bereits bewährt.

Das 300-Kilowatt-Wasserrad liefert seit 2003, mit einer zweijährigen Unterbrechung zu Forschungszwecken, den Strom für 30 Haushalte ins Netz. Von Dritten erforscht wurden dabei auch ökologische Auswirkungen. Das Fazit: Die wenigen Fische und Meeressäuger, die sich in solche Tiefen verirren, scheinen die leisen Geräusche und die gemächliche Drehung der Rotorblätter gelassen zur Kenntnis zu nehmen.

Damit ist das Projekt bereit für die nächste Stufe. Mit an Bord sind nun auch eine Tochter der spanischen Iberdrola, des weltweit größten Produzenten erneuerbarer Energie, und der norwegische Energiekonzern Statoil mit seiner großen Offshore-Erfahrung.

Eine Turbine mit einem Megawatt Leistung wird gerade in Schottland gefertigt und heuer noch vor den Orkney-Inseln in Betrieb gehen. Bis 2013 soll die Sache dann kommerziell nutzbar werden – durch den ersten Unterwasser-Energiepark mit zehn Rädern vor Glasgow. Mit Multiplikator zehn geht es dann weiter: In einem Park in einer Meerenge zwischen Orkney und der Nordküste Schottlands dürften sich bald knapp 100 Turbinen tummeln.

Dass diese kühnen Projekte in Großbritannien realisiert werden, kommt nicht von ungefähr. Die Briten fördern die Nutzung der Meereskraft kräftig. Und das Land mit seinen vielen vorgelagerten Inseln ist durch die starke Strömung in den Meerengen für die Stromerzeugung prädestiniert.

Weil Wasser 800-mal dichter ist als Luft, hat das Wasserrad ein größeres Potenzial für die Stromerzeugung als ein Windrad. Aber dazu muss auch die Fließgeschwindigkeit mehr als einem Meter pro Sekunde bei Niedrigflut (also bei Halbmond) betragen, und das ist nicht überall der Fall. Neben der Gezeitenströmung können übrigens auch die permanenten Meeresströmungen wie Golf- oder Humboldtstrom genutzt werden. Die Grafik zeigt, welche Gebiete auf der Erde sich eignen.

Dazu gehört auch die Nordküste Australiens. Dort hat der Energiekonzern Tenax Pläne für das bisher größte Projekt eingereicht: eine 450-Turbinen-Farm vor der Stadt Darwin, die 194.000 Haushalte versorgen könnte.

Gegen Überfischung. Welchen Stellenwert hat die neue Technologie im künftigen Energiemix? Schwab vergleicht das Potenzial mit dem der Kleinwasserkraft, die in Österreich ein Zehntel der Wasserkraft ausmacht. Weltweit ergäbe das immerhin zwei Prozent der Stromerzeugung. Allerdings: „Kommt es zu einem technologischen Durchbruch, ist auch deutlich mehr drin.“ Es darf also weiter geforscht werden.

Einen kuriosen Nebeneffekt werden die Parks jedenfalls haben: Gefährlich können den Rotorblättern fast nur die Schleppnetze der industriellen Hochseefischer werden. Anders gesagt: Wo Räder das Wasser durchpflügen, darf es keinen Massen-Fischfang geben. „So beugen wir der Überfischung vor“, meint Schwab augenzwinkernd. Ein Argument, das selbst notorische Skeptiker jeder Form von Stromerzeugung entwaffnen könnte.

Ein Windrad unter Wasser

Das Unterwasser-Gezeitenkraftwerk von Hammerfest Strøm funktioniert ganz ähnlich wie ein Windrad. Die Turbine hat Rotorblätter mit 23 Metern Durchmesser. Der dreibeinige Unterbau aus Stahl ruht auf einem Betonsockel. Die ganze Anlage ist 33 Meter hoch und wiegt 1000 Tonnen.

Getriebe und Generator von Andritz Hydro befinden sich in einer Gondel, die zu Wartungszwecken an die Wasseroberfläche geholt werden kann. Sonst wären Reparaturen nur sehr aufwendig mit Tauchern möglich.

Die Rotorblätter lassen sich drehen; die Turbine kann so in beide Richtungen Energie umwandeln. Die Anlage ist auf Höchstfließgeschwindigkeiten über 2,5 Meter pro Sekunde ausgelegt. Die Blätter rotieren zehn Mal pro Minute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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