AKW-Tests auch für Flugzeugabstürze

(c) AP (Virginia Mayo)
  • Drucken

EU-Energiekommissar Oettinger hält den Wunsch von Bundeskanzler Faymann nach einer europaweiten Initiative gegen die Atomkraft für rechtlich nicht tragfähig, die Sache hat mehrere Haken.

Brüssel. Im Gespräch mit der „Presse“ macht sich Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energiepolitik, dafür stark, dass die geplanten Stresstests für Europas Atomkraftwerke auch den Fall einbeziehen, dass ein Flugzeug auf eine der Anlagen stürzt. Nach dem derzeitigen Plan der zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden wird die Stabilität der Kernkraftwerke in einem solchen Szenario nämlich nicht überprüft.

„Eine europaweite Sicherheitsüberprüfung muss darauf eine Antwort bringen. Ich will diese Frage beantwortet haben. Ich werde das in den nächsten Tagen bei den Energieministern einbringen“, sagte Oettinger, der am Freitag die Baustelle des künftig größten europäischen Atomkraftwerks im finnischen Olkiluoto besuchte, wo auch ein Endlager für Atommüll gebaut wird.

Drei Haken am Stresstest

Bei dem schweren Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi führte das Zusammenspiel aus einem Erdbeben und einer Flutwelle dazu, dass die Notstromversorgung ausfiel und es zu einer teilweisen Kernschmelze samt dem Austritt erheblicher Mengen radioaktiven Materials kam. Europas Staats- und Regierungschefs haben daraufhin die Kommission und die nationalen Regulatoren beauftragt, alle Kernkraftwerke einem Stresstest zu unterziehen. In zwei Wochen sollen die genauen Spielregeln für diesen Test feststehen, noch vor dem Sommer soll er beginnen. Bis 15.September müssen die Energiefirmen, welche die Meiler betreiben, ihre Ergebnisse vorlegen.

Allerdings hat die Sache mehrere Haken. Denn erstens besteht die Gefahr, dass sich die nationalen Aufsichtsbehörden auf politischen Druck auf derart leicht zu erfüllende Kriterien einigen, dass der Zweck des Tests vereitelt wird, weil ohnehin niemand durchfallen kann. Der EU-weite Banken-Stresstest im Sommer 2010 ist dafür ein warnendes Beispiel. Alle Banken Irlands bestanden ihn. Drei Monate später musste die irische Regierung bei der EU um Geld ansuchen, weil die Banken eben doch kaputt waren.

„Wir müssen aus den nicht genügenden Bankstresstests des letzten Jahres lernen“, sagte Oettinger auf diesen Einwand. „Ich habe zu respektieren, dass die Entscheidung für oder wider Kernkraft Sache der Mitgliedstaaten ist. Aber dieser Geschäftszweig wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Sicherheit der Anlagen europaweit gewährleistet ist.“

Damit hat der Kommissar den zweiten Haken angesprochen: Was mit den Kraftwerken passieren soll, die nicht bestehen, ist Sache der Mitgliedstaaten. Die Kommission kann ihnen nichts vorschreiben. „Man soll nicht Wenn-Dann-Szenarien entwerfen, bevor man überhaupt erst die Prüfkriterien beschlossen hat“, sagte Oettinger. „Aber klar ist: Ich erwarte objektive Analysen, Bewertungen und Schlussfolgerungen. Man sollte nicht ausschließen, dass es kostenintensive Nachrüstungen und sogar Abschaltungen geben könnte. Diese Verantwortung wird keinem Mitgliedstaat und keinem nationalen Regulator abgenommen.“

Der dritte Haken an den Tests: Die Einsatzbereitschaft von Feuerwehren, Katastrophenschutz und Armeen wird nicht geprüft. „Diese Forderung ist legitim. Man kann immer eine kritische Betrachtung einnehmen. Aber das Wichtigste ist, dass der Test überhaupt stattfindet“, sagte Oettinger.

Erneute Absage an Faymann

Dem Plan von Bundeskanzler Werner Faymann einer EU-Bürgerinitiative gegen die Atomkraft erteilte Oettinger so wie schon Kommissionspräsident José Manuel Barroso eine Abfuhr: „Ich halte das Ansinnen für legitim und verständlich – aber nicht für rechtlich tragfähig. Europäische Bürgerinitiativen können für alle Fragen stattfinden, bei denen es eine europäische Entscheidungskompetenz gibt. Die haben wir hier aber nicht.“ Wollte Österreich aus dem Euratom-Vertrag aussteigen, müsste es auch die EU verlassen, warnte Oettinger: „Das geht rechtlich nicht anders.“

Auf einen Blick

Bis Ende 2011 werden Europas Regierungen anhand von Testergebnissen erörtern, ob die Kernkraftwerke in der EU einer Katastrophe wie in Japan standhalten. Tun sie es nicht, drohen teure Nachrüstungen und im Extremfall die Schließung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.