NS-Regime: Das reiche Erbe einer dunklen Zeit

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Für viele Unternehmen in Österreich und Deutschland war die Zeit des Dritten Reichs äußerst gewinnträchtig. Manche profitieren noch heute von Anlagen, die von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen errichtet wurden.

Leicht dürfte es ihnen wahrlich nicht gefallen sein, den Quandts. Die deutsche Industriellenfamilie – die unter anderm knapp die Hälfte des bayrischen Autoherstellers BMW besitzt – stellte sich in der Vorwoche ihrer Geschichte. Genauer: dem dunklen Teil ihrer Geschichte. Sie präsentierte einen Historikerbericht über die Rolle der Familie in der Zeit des Dritten Reichs – und die war alles andere als rühmlich.

So hatte der damalige Familienpatriarch Günther Quandt nicht nur ein sehr enges Verhältnis zum führenden NS-Regime: Mit seiner Ex-Frau Magda, die Propagandaminister Joseph Goebbels heiratete, war er bis zu ihrem Tod freundschaftlich verbunden. Er nutzte dieses Verhältnis auch, um für seine Unternehmen gewinnträchtige Aufträge zu erhalten, die unter dem Einsatz von 50.000 Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen unter unmenschlichen Bedingungen abgearbeitet wurden. So mussten die Zwangsarbeiter ohne Schutzausrüstung in Batteriefabriken der Quandts arbeiten, was vielen das Leben kostete. Außerdem nutzte Quandt laut dem Bericht auch die schwierige Situation jüdischer Unternehmer „bewusst und kühl“ aus, um die Firmen günstig zu übernehmen und sein Vermögen zu steigern.

„Man fühlt sich grauenvoll und schämt sich“, sagten Enkel von Günther Quandt in einem Interview mit der „Zeit“. Nun wolle die Familie dem Thema jedoch mit Transparenz und Offenheit begegnen. Sie spendete daher die relevanten Akten einem staatlichen Archiv und kündigte die finanzielle Unterstützung des Berliner Dokumentationszentrums über Zwangsarbeit an. Ganz freiwillig ist diese Offenheit jedoch nicht zustande gekommen. Erst eine kritische Fernsehdokumentation aus dem Jahr 2007 gab den Anstoß für die Erstellung des Berichts.

Hugo-Boss-Uniformen. Laut Historikern ist mit der Aufarbeitung der Quandt-Geschichte einer der letzten „großen Brocken“ nun abgeschlossen. Ein etwas kleinerer ging mit Hugo Boss an die Öffentlichkeit – ebenfalls vor Kurzem mit einem Bericht über die eigene NS-Geschichte. Auch das Modeunternehmen beschäftigte Zwangsarbeiter und ließ von ihnen unter anderem Uniformen für Wehrmacht und Hitlerjugend schneidern. Laut dem Bericht hat Boss „ökonomisch nachweislich“ vom Nationalsozialismus profitiert.

Gerüchte, wonach Boss der „Leibschneider Adolf Hitlers“ gewesen sein soll, wurden mit der Studie jedoch widerlegt. Für das Unternehmen, das inzwischen mehrheitlich in der Hand des britischen Finanzinvestors Permira steht, war vor allem Letzteres wichtig, da der Ruf der Firma zunehmend unter den Gerüchten litt.

Die Familie Quandt und Hugo Boss stellen sich somit in eine Reihe deutscher und österreichischer Unternehmen, die in den vergangenen Jahren ihre Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus untersuchen ließen. Denn während die Aufarbeitung der politischen NS-Geschichte schon mit dem Ende der 1960er-Jahre anfing, blieben die wirtschaftlichen Vorgänge meist bis in die 1990er- und frühen 2000er-Jahre im Dunkeln.

Die Unternehmen hatten in der Regel aus wirtschaftlichen Gründen kein Interesse, dass zu viel Licht auf den damaligen Einsatz von Zwangsarbeitern oder die Arisierung jüdischen Vermögens fällt. Andere wurden nach dem Krieg neu gegründet und fühlten sich für ihre Vorgängerfirmen nicht mehr zuständig.

„Viele Unternehmen würde es ohne die damalige Zwangs- und Sklavenarbeit in der heutigen Form nicht geben“, sagt Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Uni Wien. Es habe aber erst eines Generationenwechsels in den Vorstandsebenen und des zunehmenden internationalen und öffentlichen Drucks bedurft, bis die Firmen rund um die Jahrtausendwende das Thema offensiv angingen. So untersuchte Rathkolb in den vergangenen Jahren etwa die Entwicklung der Voest, des Verbunds und der Österreichischen Bundesforste während der Jahre 1938 bis 1945.

Dass dies noch kurz zuvor alles andere als selbstverständlich war, schreibt Rathkolb im Vorwort zu seinem Bericht über „Den Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring“. So wurde ein Ansuchen von Historikern, die firmeneigenen Archive für Recherchen sichten zu dürfen, im Jahr 1983 von der Voest noch abgelehnt.

Dies bestätigt auch Voest-Sprecher Gerhard Kürner: „Vor 1995 ist man mit diesem Thema sehr verkrampft umgegangen. Es gab da ja noch Leute innerhalb des Unternehmens, die eine persönliche Vergangenheit in der Zeit hatten.“ Damals beharrte die Voest noch auf dem Standpunkt, erst 1946 gegründet worden zu sein und mit der Geschichte davor nichts zu tun zu haben.

Diese Geschichte beinhaltete nämlich auch viel Leid. So gab es für die im Jahr 1938 neu gegründeten Werke in Linz zu wenig Arbeitskräfte. Deshalb wurden in den Kriegsjahren großteils Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern Europas für den Bau der Werke und die Produktion eingesetzt.

In manchen Bereichen, etwa der Gießerei, waren über 90 Prozent der Arbeitskräfte Polen, Russen, Franzosen oder Griechen. In Summe arbeiteten 1944 rund 15.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Linz. Hinzu kamen noch 5.500 KZ-Häftlinge.

Für die Werke war der Einsatz der „Fremdarbeiter“ ein wirtschaftlicher Vorteil. Die ausbezahlten Gehälter lagen um 20 bis 40 Prozent unter jenen, die inländischen Arbeitskräften ausbezahlt werden hätten müssen. Von diesem Geld wurden den Arbeitern jedoch noch dazu diverse Sonderabgaben abgezogen. Bei KZ-Häftlingen ging der Lohn ohnehin gleich direkt an die SS. Damit die Arbeitsleistung trotz Verständigungsproblemen und fehlender Ausbildung möglichst hoch blieb, gab es harte Strafen – bis zur Einweisung in ein KZ. Begründet wurden diese Strafen mit „Bummelei, Disziplinlosigkeit“ oder „minderwertiger Arbeit“.

Mythos Kaprun. Auch die vom Verbund 1999 in Auftrag gegebene Studie über die NS-Geschichte der E-Wirtschaft kratzt an einem österreichischen Nachkriegsmythos: jenem über den Ausbau der Wasserkraft als Großwerk des Wiederaufbaus. Tatsächlich wurden bis 1945 österreichweit knapp 10.000 Zwangsarbeiter und bis zu 5.500 Kriegsgefangene für den Bau von Kraftwerken an Drau, Enns, Donau und dem Speicherwerk in Kaprun eingesetzt. „Ohne diesen Infrastrukturschub wäre Österreichs E-Wirtschaft um fünf bis sechs Jahre der europäischen Entwicklung nachgehinkt“, heißt es in dem Bericht wörtlich. Und nur durch diese Investitionen sei das österreichische – wie das deutsche – Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre überhaupt möglich geworden.

Heute wird diese Geschichte anhand von Informationstafeln und Gedenkstätten etwa in Kaprun erklärt. „Früher waren Zwangsarbeiter bei Erinnerungstafeln kein Thema“, sagt Verbund-Sprecher Florian Seidl. Die grundsätzliche Aufarbeitung sieht man beim Verbund damit abgeschlossen.

Dennoch gebe es noch „Detailprojekte“. So gibt es beispielsweise in der Steiermark bei vielen Kraftwerken Erinnerungstafeln für Anton Rintelen, den steirischen Landeshauptmann in den späten 1920er-Jahren, der Zeit, in der die Kraftwerke gebaut wurden. Rintelen war jedoch auch führend am gescheiterten nationalsozialistischen Juliputsch 1934 beteiligt. „Diese Zusammenhänge sollen an den Gedenktafeln erklärt werden“, sagt Seidl.


Weiße Flecken. Aber auch hierzulande gibt es noch Firmen, deren Geschichte während der NS-Zeit unzureichend dokumentiert ist. Eines dieser Unternehmen ist der Tiroler Schmuckhersteller Swarovski. Bisher hat sich nur der Innsbrucker Historiker Horst Schreiber im Jahr 1994 Swarovski näher angesehen. Laut seinem Bericht wurden auch bei Swarovski Zwangsarbeiter eingesetzt. Zudem waren mehrere Mitglieder der Familie bereits vor dem Anschluss Österreichs verbotenerweise Mitglieder der NSDAP. Ein Faktum, das dem Unternehmen in der Folge genutzt haben dürfte.

So war Alfred Swarovski während der NS-Zeit Präsident der Wirtschaftskammer von Tirol und Vorarlberg und konnte so Rüstungsaufträge an Land ziehen und die Produktion von Schleifscheiben und Fernrohren ausbauen. Auch der Verkauf von Schmucksteinen wurde als Devisenbringer weiterhin erlaubt. Selbst während der Zeit des „totalen Krieges“ exportierten die Tiroler noch Steine über die Schweiz und Schweden in die USA.

Im Unternehmen habe man an seinen Forschungen jedoch wenig Interesse gehabt, sagt Schreiber: „Zugang zum Firmenarchiv hat man mir damals nicht gewährt.“ Doch auch in Wattens dürfte inzwischen ein Umdenken eingesetzt haben. So teilte Swarovski auf Anfrage der „Presse am Sonntag“ mit, dass seit Jänner 2011 der Wiener Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel mit der Aufarbeitung der Geschichte von Swarovski beauftragt worden ist.

Da die Ergebnisse erst Mitte 2013 vorliegen sollen, könne er inhaltlich noch nicht viel Konkretes sagen, so Stiefel. Klar sei für ihn bisher aber, dass Alfred Swarovski nicht aus antisemitischen Gründen, sondern ausschließlich zum Vorteil des Unternehmens gehandelt hat. „Sein Partner für den Vertrieb der Steine über die Schweiz und Schweden in die USA war ein Jude, der nach dem Krieg nach Tirol kam und den Vertrieb neu aufbaute.“ Swarovski sei weniger Ideologe denn Opportunist gewesen: „Er war im Ständestaat in führenden Funktionen, während der NS-Zeit und auch in der Nachkriegszeit“, so Stiefel.

Ebenfalls noch in Arbeit ist die Aufarbeitung der Geschichte der ÖBB, die nach dem Anschluss Teil der deutschen Reichsbahnen wurden. Das Unternehmen beschäftigte während dieser Zeit rund 15.000 Zwangsarbeiter und war an der Deportation von Juden und anderen verfolgten Gruppen in Konzentrationslager beteiligt. Bis zum Sommer 2012 soll dieses Thema nun für eine Ausstellung zum Thema 175 Jahre Eisenbahn gesondert ausgearbeitet werden. Ob es auch eine schriftliche Dokumentation in Buchform geben wird, stehe aber noch nicht fest. Aktiv waren die ÖBB jedoch schon seit den 1980er-Jahren bei der Restitution von Vermögen an die Erben von NS-Verfolgten. Und auch in den staatlichen Fonds zur Entschädigung von Zwangsarbeitern (siehe Profil) zahlten die Bahnen knapp 15 Millionen Euro ein.

Nicht vollständig zufriedenstellend ist laut Historikern auch die Aufarbeitung der Geschichte des größten heimischen Rüstungsproduzenten während der Zeit des Dritten Reichs: Steyr-Daimler-Puch. „Es wurden dort rund 20.000 bis 30.000 KZ-Zwangsarbeiter und Getto-Juden eingesetzt. Die Gewehrfertigung wurde beispielsweise überhaupt gleich ins KZ Gusen verlegt“, sagt Bertrand Perz vom Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien. Perz erstellte in den 1980er-Jahren aus eigenem Antrieb die erste Arbeit über Steyr-Daimler-Puch.

Damals gewährte ihm das Unternehmen auch Zugriff auf Firmenakten. „Es gab kein wirkliches Archiv, sondern Kisten mit alten Akten auf dem Dachboden der Generaldirektion.“

Da dies eine der ersten Arbeiten über Zwangsarbeiter in Österreich war, sorgte die öffentliche Debatte jedoch dazu, dass die Firma mit ihrer Informationspolitik restriktiver wurde und blieb. „Es gab wenig Interesse, dass das Thema breit diskutiert wird“, so Perz.

Heute scheitert die weitergehende Forschung daran, dass das Unternehmen aufgespalten und die Teile an verschiedene Firmen wie MAN, SKF, Magna oder Steyr Mannlicher verkauft wurden. Von diesen fühlt sich keine für die Geschichte Steyr-Daimler-Puchs zuständig. Zudem dürften viele Akten inzwischen verloren gegangen sein.


Vorbild Volkswagen. Dass eine professionelle Aufarbeitung der Geschichte für die damals betroffenen Zwangsarbeiter viel bringen kann, sieht man am Beispiel VW. Das Wolfsburger Unternehmen ist durch seine Geschichte untrennbar mit dem Nationalsozialismus verbunden. Schließlich gab Adolf Hitler selbst den Anstoß für den „Volkswagen“, mit dessen Konstruktion Ferdinand Porsche beauftragt wurde. Schon Anfang der 1990er-Jahre ließ VW daher seine Entstehungsgeschichte untersuchen. Auch hier kam der Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zum Vorschein. „Porsche ist wie ein Schlafwandler durch das Verbrechen gelaufen“, so der Befund über den Auto-Pionier.

Heute hat das Unternehmen nicht nur mehrere Bücher zu dem Thema publiziert. Auch seine „geschichtliche Verantwortung“ will VW wahrnehmen, wie Historiker Manfred Grieger sagt, der einst den Bericht über VW mitverfasste und heute bei dem Konzern das Thema Unternehmensgeschichte verantwortet. So organisiert und finanziert VW unter anderem Bildungsreisen der Mitarbeiter ins KZ Auschwitz, um ihnen die Geschichte näherzubringen. „Oft sind das Lehrlinge mit Migrationshintergrund, die wenig Bezug dazu haben“, sagt Grieger.

Und auf dem Werksgelände gibt es ein Mahnmal, das auch schon von „mehreren Hundert“ Ex-Zwangsarbeitern besucht wurde. „Ich erinnere mich etwa an einen bereits sehr kranken Holländer, der zusammen mit seiner Frau kam. Er konnte so ein schmerzliches Kapitel seiner persönlichen Geschichte endlich schließen“, sagt Grieger.

Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge wurden während des Dritten Reichs in Industriebetrieben sowie der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt, um die männlichen inländischen Arbeitskräfte zu ersetzen, die im Kriegsdienst waren. Auch bei ihnen wurde nach den rassischen Kriterien der NS-Ideologie unterschieden. Angehörige westlicher Länder wie Franzosen oder Holländer wurden besser behandelt. Menschen aus Osteuropa, der Sowjetunion und vor allem Juden mussten eine schlechtere Versorgung und härtere Strafen ertragen. In Summe arbeiteten (Stichtag 30.9.1944) 580.640 Zwangsarbeiter in Österreich.

Entschädigung für die Opfer des NS-Regimes gab es nach dem Krieg vor allem in der Form von Restitution geraubten Vermögens. Zahlungen für Zwangsarbeiter waren jedoch lange Jahre kein Thema. Auch die Firmen oder deren Rechtsnachfolger fühlten sich für Entschädigungszahlungen in der Regel nicht zuständig. Eine Änderung kam erst durch den internationalen Druck von US-Sammelklagen.

Im Jahr 2000 wurde daher der „Versöhnungsfonds“ zur Entschädigung von Zwangsarbeitern gegründet. Insgesamt 436 Millionen Euro standen dem Fonds schlussendlich zur Zahlung von Entschädigungen zur Verfügung. Knapp 300 Millionen Euro davon stammten von Bund und Gebietskörperschaften, den Rest steuerte die Wirtschaft bei. An 132.000 ehemalige Zwangsarbeiter wurde bis 2005 der Betrag von 352 Millionen Euro ausgezahlt. Die meisten Anträge kamen aus der Ukraine, gefolgt von Polen und Russland. Der Rest des Geldes wurde auf humanitäre Projekte aufgeteilt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2011)

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