Ende mit Schrecken: Haircut für die ganze Welt

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Nicht nur Griechenland, die ganze westliche Welt droht in Schulden zu ertrinken. Nur ein weltweiter Schuldenerlass könne einen Neustart bringen, sagen jetzt US-Wirtschaftsberater der Boston Consulting Group.

Wien. Die renommierte US-amerikanische Wirtschaftsberatung Boston Consulting Group (BCG) hat einen Plan vorgelegt, wie die Schuldenprobleme der westlichen Welt in den Griff zu bekommen wären. Das Szenario der beiden BCG-Seniorpartner David Rhodes und Daniel Stelter unterscheidet sich sehr stark von den Lösungsvorschlägen, die amerikanische und europäische Politiker bisher bevorzugen. Die Bail-outs und Rettungspakete für Banken und Staaten hätten nur Zeit gekauft und das Grundproblem der Überschuldung lediglich verstärkt, schreiben die Analysten.

Die Bürger müssen zahlen

Von „Rettung“ oder Lösung könne keine Rede sein. Im Gegenteil: „Politiker und Zentralbanken haben versucht, die Krise durch die Schaffung großer Inflation zu lösen – obwohl sie das Gegenteil behaupten.“ Die Schulden durch die Entwertung der Währungen via Inflation abzubauen sei zwar die für Politiker bequemste Variante, hätte aber einfach nicht funktioniert. Auch Privathaushalte und Unternehmen seien zu stark verschuldet.

Statt die Wirtschaft durch Konsum wieder anzukurbeln, fließt zu viel Kapital in die Bedienung von Zinsen und in die Rückzahlung von Krediten: „Deleveraging“.

Für die Boston Consulting Group gibt es nur eine Lösung: den weltweiten Schuldenschnitt – ein Haircut nicht nur für Staatsschulden, sondern auch für Unternehmen und Konsumenten. Es wäre ein Ende mit Schrecken: Das Szenario, das die BCG für den Euroraum entwirft, ist brutal. Die Analysten gehen davon aus, dass die Gesamtverschuldung aller drei Sektoren zusammen nicht höher sein darf als 180 Prozent des BIP.

Um diesen Benchmark zu erreichen, müssten in Europa und Amerika rund 16 Billionen Euro abgeschrieben werden: 6,1 in der Eurozone, 1,25 in Großbritannien und 8,24 Billionen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die BCG macht auch keinen Hehl daraus, wer diese Summen aufbringen müsse: die Steuerzahler. Die würden von einem Schuldennachlass zwar auch teilweise profitieren, müssten aber mit einer ganzen Reihe neuer Steuern rechnen.

Die BCG schlägt eine einmalige Vermögenssteuer vor. Rund ein Drittel der europäischen Privatvermögen müsste der Staat sich einverleiben, um die Restrukturierung zu finanzieren. Eine solche Maßnahme würde alle Banken de facto in die Insolvenz treiben. Dies könne nur verhindert werden, indem die Banken verstaatlicht und erst nach umfassender Neustrukturierung wieder privatisiert würden, so die BCG. Auch müssten die Pensionen gekürzt und das Antrittsalter angehoben werden.

Die Höhe der notwendigen Vermögensabgabe durch die Bürger ist von Land zu Land unterschiedlich, ein Drittel ist nur der Durchschnittswert. So würden in Deutschland elf Prozent der Bürger-Assets ausreichen, um den Schuldenstand auf ein erträgliches Maß zu senken. Die irischen Bürger sind so stark verschuldet, dass nicht einmal 100 Prozent ihres Vermögens ausreichen würden.

Deshalb pocht die BCG auch auf europäische Solidarität beim Schuldenschnitt: auf die Einführung einer permanenten Transferunion und von Eurobonds. Die BCG betont aber, dass dieser europaweite Haircut nicht als Euro-Rettung zu verstehen ist: „Das Auseinanderbrechen der Eurozone wäre nach der Restrukturierung der Schulden eine Option, sofern eine Fiskalunion nicht implementiert werden kann.“

Für die Vereinigten Staaten ist man in diesem Szenario optimistischer, weil die Regierung in Washington schon jetzt über die politischen Mittel verfüge, die Restrukturierung umzusetzen – und nicht die teils divergierenden Interessen von 17 Staaten berücksichtigen muss. Weißes Haus und Federal Reserve müssten sich aber zuerst eingestehen, dass die bisherigen Rettungsmaßnahmen umsonst waren: „Trotz massiver Interventionen durch FED und Regierung bleibt das Wachstum blutleer.“ Die Programme des Quantitative Easing der FED hätten aber die Gefahr starker Inflation erzeugt.

Alle Wege sind schmerzhaft

Für Europa und die USA schlägt die BCG auch zusätzliche Immobiliensteuern vor, die USA müsse zusätzlich „reindustrialisiert“ werden, um das Handelsbilanzdefizit zu verbessern. Der Silberstreif am Horizont: Nach dem globalen Haircut, der per Einmalsteuer finanziert werde, könnten die Regierungen alle zusätzlichen Vermögenssteuern fallen lassen und auch die Lohnsteuern senken, um das Wachstum anzuregen.

Freilich, so ein Szenario durchzuspielen ist auf dem Papier einfacher als in der Praxis. Weder ist klar, ob die von der BCG angenommenen Zahlen ausreichen, um die Schuldenkrise zu beenden, noch kann irgendjemand die tatsächlichen Folgen einer solch radikalen Lösung abschätzen.

Der Westen befindet sich somit in einer Zwickmühle: Eine radikale, aber schlecht umgesetzte Lösung könnte in einer Katastrophe enden. Ebenso die derzeit versuchte „bequeme“ Variante, sich via Inflation zu entschulden. Je länger diese Politik anhält, desto größer wird der Schuldenberg und umso härter der Zahltag. Die BCG schreibt: „Alle Wege aus der Krise dürften schmerzhaft sein.“

Auf einen Blick

Ein Schuldenerlass ist offiziell noch nicht einmal für Griechenland eine Option. Die Boston Consulting Group hat die Idee aber durchgerechnet, weil auch der Rest von Europa und Amerika inzwischen viel zu hoch verschuldet seien – auch wegen der „Rettungspakete“, die nicht funktionierten. Laut dem BCG-Papier führten diese Maßnahmen zu Inflation, was von den Politikern zwar gewünscht sei, aber die Schuldenlast nicht abschwäche. Je länger man den Schuldenschnitt hinauszögere, umso dramatischer werde er sein, lautet die Analyse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2011)

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