ÖBB-Betriebsrat stellt Tunnelprojekte infrage

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HEBENSTREIT NEUER �BB-GEWERKSCHAFTSCHEF(c) APA/D. WEISS (D. Weiss)
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Bahn. Die Politik lasse "planlos teure Löcher in die Berge bohren", sagt Roman Hebenstreit, der Belegschaftsvertreter von 42.000 ÖBB-Mitarbeitern. Dabei sei "ungewiss, ob dort eines Tages auch Züge durchfahren werden".

[Wien] In der Debatte um Einsparpotenziale bei den defizitären Bundesbahnen meldet sich nun auch der wichtigste Vertreter der ÖBB-Mitarbeiter zu Wort. „Es ist fahrlässig, planlos teure Löcher in die Berge bohren zu lassen, ohne ein Konzept über deren Verwendung erstellt zu haben", sagt Roman Hebenstreit, Chef des Zentralbetriebsrates zur „Presse".

Damit bricht der mächtige Vertreter von 42.000 Eisenbahnern mit einem Tabu. Hebenstreits im November zurückgetretener Vorgänger Wilhelm Haberzettl hatte sich diesbezüglich stets zurückgehalten. Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) steht felsenfest hinter den drei Tunneln durch Semmering, Koralpe und Brenner. Haberzettl sitzt für die Sozialdemokraten im Nationalrat. Auch Hebenstreit ist SPÖ-Mitglied. Ein politisches Amt strebt er eigenen Angaben zufolge nicht an.

"Eine verlogene Debatte"

Auslöser für den Vorstoß Hebenstreits ist der Beschluss von Bures und ÖBB-Chef Christian Kern, ab 2012 keine Mitarbeiter mehr betriebsbedingt in Pension zu schicken. Das Einsparpotenzial beziffert die Verkehrsministerin mit 35 Mio. Euro pro Jahr. Heuer werden noch mehr als 700 Eisenbahner betriebsbedingt in den vorzeitigen Ruhestand geschickt.
„Das ist eine verlogene Debatte", meint Hebenstreit. Einerseits sei „nicht geklärt, in welchen Bereichen die Leute künftig eingesetzt werden". Er fordert „einen Plan, wofür man ältere Mitarbeiter verwenden will". Auf der anderen Seite sei es „völlig klar, dass die wahren Einsparpotenziale ganz woanders liegen", sagt Hebenstreit. Die Regierung sowie die ÖBB-Spitze hält dem entgegen, dass das Ende der Frühpensionierungen zumindest ein erster wichtiger Schritt für eine Sanierung der Bundesbahn sei.
Ein Dorn im Auge Hebenstreits ist vor allem der Brennerbasistunnel. Die Gesamtkosten des Projekts werden sich zumindest auf zehn Mrd. Euro belaufen; fünf Mrd. Euro soll nach derzeitigem Stand die Republik Österreich übernehmen (den Rest Italien bzw. die EU). Auch der Chef des Tiroler Transitforums, Fritz Gurgiser, hat sich gegen den Tunnel ausgesprochen. Der Warentransport auf der Straße sei deutlich günstiger, außerdem würden viele Spediteure ohnehin von Deutschland über die Schweiz nach Italien fahren.

„Es ist in Wahrheit ungewiss, ob durch den Brennerbasistunnel eines Tages auch Züge durchfahren werden", sagt Hebenstreit. Solange kein Plan vorliege, wie der Verkehr von der Straße in den Tunnel gelockt werden soll, sei ein Baustopp sinnvoller als die Fertigstellung. Ähnliches gelte für den Koralmtunnel, dessen Kosten sich inklusive Zubringer auf mehr als fünf Mrd. Euro belaufen werden. „Mit solchen Projekten lasten wir der nächsten Generation bloß erhebliche Schulden auf", erklärt der Betriebsrat.

Tatsächlich ist unklar, wie teuer alle derzeit geplanten Infrastrukturinvestitionen in die Bahn die Steuerzahler zu stehen kommen werden. Der Rechnungshof errechnete erst kürzlich eine Summe von 53,5 Mrd. Euro. Der Finanzberater Nomura spricht gar von 200 Mrd. Euro. Die gewaltigen Differenzen ergeben sich aus der unklaren Zinsentwicklung (für die Projekte müssen Kredite aufgenommen werden, das Ministerium hat die Finanzierungskosten dafür in seinen Berechnungen nicht berücksichtigt) sowie möglichen Kostenexplosionen, die bei komplexen Tunnelprojekten keine Seltenheit sind.

Zumindest offiziell machen die Regierungsparteien derzeit keine Anstalten, die drei Großbauten zu überdenken. Vor allem beim Brennerbasistunnel wäre es durchaus noch möglich, das Projekt auf Eis zu legen. Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) betrachtet die erneute Diskussion darüber als „Pflanzerei". Man möge „nicht schon wieder mit dem Theater anfangen". Rückendeckung erhält Platter von Parteichef Michael Spindelegger, der den Tunnel als „wichtiges Infrastrukturprojekt" bezeichnet.

Einröhriger Bau als Alternative

Selbst Hebenstreit glaubt, dass seine Forderung „realpolitisch schwer zu realisieren sein wird", und bringt eine andere Variante ins Spiel: „Die Tunnel könnten eventuell auch einröhrig gebaut werden." Das könnte die Baukosten Verkehrsexperten zufolge um bis zu 40 Prozent reduzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2011)

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