Schulden würgen Wirtschaftswachstum ab

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Leitartikel vom 11. 11. Eine ernüchternde Erkenntnis: Wir schlittern unaufhaltsam in eine Rezession – und haben keinerlei finanziellen Spielraum zum Gegensteuern mehr.

Die EU-Kommission sieht in ihrer jüngsten Konjunkturprognose also erstmals in der laufenden Krise die Gefahr einer Rezession. Und sie sieht im hoch verschuldeten Euroraum Staatsschuldenquoten, die weiter kräftig steigen statt stabilisiert oder gar verringert zu werden.

Was sie nicht dazusagt: Die beiden Aussagen stehen in ursächlichem Zusammenhang zueinander. Und diese Konstellation wird dafür sorgen, dass wohl der zweite Teil der Prognose, dass das Wachstum nämlich schon im Jahr 2013 lustig weitergehen wird, deutlich zu optimistisch ist.

Wer die Entwicklung des Wirtschaftswachstums und der Schuldenquoten in Europa zurückverfolgt (und eins und eins zusammenzählen kann), der sieht schnell, dass es in den Industrieländern schon sehr lange kein selbsttragendes Wachstum mehr gibt. Die Konjunktur der vergangenen zehn, 15 Jahre basierte überwiegend auf schuldenfinanzierten staatlichen Ausgabeprogrammen. Das ist wohl gemeint, wenn es heißt, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt.

Solche Programme sind eine gute Sache, wenn es um Anschubfinanzierung in Krisen geht. Sie kehren sich aber gegen ihre Erfinder, wenn sie zur Dauereinrichtung werden. Ganz einfach deshalb, weil der Spielraum für solche Finanzierungen proportional zum Anstieg der Zinszahlungen für die immer höhere Staatsschuld kleiner wird. Und dieser Spielraum wird sich in nächster Zeit in den Eurostaaten noch brutal verengen.

Zuerst in den Krisenländern. Italien beispielsweise spürt die hohen Risikoaufschläge für seine Staatsschuld jetzt noch kaum. Weil die üppigen (und auf Dauer unbezahlbaren) sieben Prozent, die Investoren derzeit für italienische Staatspapiere verlangen, nur für Neuemissionen gelten, liegt der durchschnittliche Zinssatz, den Italien bezahlt, noch knapp unter halbwegs erträglichen vier Prozent. Wegen des hohen Refinanzierungsbedarfs (für die Rückzahlung alter Schulden müssen neue aufgenommen werden) steigt er aber schnell an. Wenn mehr für Zinszahlungen ausgegeben wird (und die Verschuldung nicht mehr beliebig gesteigert werden kann), dann bleibt weniger für Konjunkturstimulierung übrig. So einfach ist das. Da die EU-Kommission im kommenden Jahr mit neuen Rekordständen bei der Staatsverschuldung rechnet (was die Risikoaufschläge noch höher treiben wird), werden sich Konjunkturimpulse von dieser Seite her wohl nicht ausgehen.

Wo also soll das Wachstum herkommen? Aus Osteuropa? Dort wackeln in vielen Ländern zwischen zehn und 40 Prozent der ausstehenden Kredite. Das sieht nicht mehr nach „Tigerstaaten“ aus. Aus China? Vielleicht. Aber die dortige Wirtschaft ist auch nicht so stabil, wie sie aussieht. Die Exporte werden unter der Schwäche der europäischen und amerikanischen Wirtschaft leiden. Und intern baut sich im Immobilienbereich eine recht ordentliche Schuldenblase auf. Vom Inlandskonsum? In einigen Ländern (etwa Österreich) wird es heuer tatsächlich reale Lohnsteigerungen geben. Die werden aber (wegen der hohen Inflation) real nicht besonders üppig ausfallen.

Spielraum ließe sich natürlich schaffen. Durch beherzte Strukturreformen etwa, die allein in Österreich, wie Wirtschaftsforscher ziemlich einhellig meinen, relativ kurzfristig einen niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag freispielen könnten. Dazu brauchte es allerdings Politiker, die die Beseitigung von gewachsenen Ineffizienzen nicht als „Kaputtsparen“ denunzieren. Und die den Mut haben, manchmal auch unpopuläre Maßnahmen zu vertreten, statt sich auf das Verteilen von geborgtem Geld zu beschränken.

Diese Politiker haben wir hier derzeit definitiv nicht. Und auch im Rest Europas sieht es damit traurig aus. Offenbar ist die Krise noch nicht tief genug, um ein Umdenken zu bewirken. Wir sollten uns also vorsichtshalber darauf einstellen, dass wir noch ein paar schwierige Jahre durchleben. Dass die Konjunktur nur kurz abtaucht, um dann in alter Frische weiterzublühen – so einfach wird es dieses Mal leider nicht ablaufen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2011)

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