Stromnetze im Stress

Stromnetze Stress
Stromnetze Stress(c) Clemens Fabry
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Der rasche Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken bereitet dem heimischen Stromnetzbetreiber zunehmend Sorgen.

Wien/Auer. Am 28. März war es wieder einmal so weit: Ein Wetterumschwung im Norden Deutschlands brachte so viel Wind, dass die Windräder in der Nord- und Ostsee schlagartig die dreifache Menge an Energie produzierten. Zu viel für das deutsche Stromnetz. Eine Leitung fiel aus. Die Ampel des Alarmsystems der europäischen Netzbetreiber sprang auf Gelb. Panikartig wurden ganze Windparks abgeschaltet, um den drohenden Blackout zu verhindern. Es war der dritte Leitungsengpass im deutschen Stromnetz binnen weniger Monate. Seit der Energiewende nimmt die Zahl der sogenannten „akuten Stresssituationen“ zu. Da sich Strom an keine Grenzen hält, kommt auch Österreichs Netzbetreiber zusehends ins Schwitzen.

Im Vorjahr musste der heimische Übertragungsnetzbetreiber APG rund 2500 Mal eingreifen, also etwa Kraftwerke zu- oder abschalten, um das Netz zu stabilisieren. Zwei Jahre zuvor waren nur 1800 Einsätze nötig. Über 50 Stunden leuchtete die Alarm-Ampel 2011 in Österreich gelb auf. 4,5 Stunden stand die Anzeige gar auf Rot. Mit anderen Worten: Der befürchtete Netzausfall konnte nur haarscharf verhindert werden.

„Noch ist recht wenig passiert, aber das Problem wird nicht unsichtbar bleiben“, sagt Heinz Kaupa, Chef der APG. Das Problem trägt einen Namen: Energiewende. Mit dem europaweit propagierten Umstieg von fossilen Energieträgern auf Wind-, Sonnen- und Biomassekraftwerke kommen die Netzbetreiber noch nicht zurecht. Anders als Gas-, Kohle-und Atomkraftwerke liefern Ökostromanlagen eben nur dann, wenn Wind weht oder die Sonne scheint. Da die Netze aber für die plötzlichen Strommengen nicht ausreichend gerüstet sind, wird es immer schwieriger, das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu gewährleisten und so die Spannung im Netz konstant zu halten.

Mega-Ausbau „völlig illusorisch“

Die Situation dürfte sich nicht allzu bald entspannen. Heute sind in Europa Windräder mit einer Leistung von 80.000 Megawatt (MW) in Betrieb. Acht Mal mehr als vor zehn Jahren. Setzt die EU ihre Pläne um, werden im Jahr 2020 schon Windparks mit 200.000 MW Leistung am Netz hängen. Bis zu 35.000 Kilometer an neuen Übertragungsleitungen müssten bis 2020 gebaut werden. Gerade in Deutschland wäre das nötig, damit der Windstrom aus der Nord- und Ostsee auch seinen Weg zu den Verbrauchern findet. Dass tatsächlich so viele Leitungen gebaut werden, hält Kaupa allerdings für „völlig illusorisch“. Wenn der Ausbau bis 2050 geschafft sei, hätte man schon Grund zur Freude.

Wie sich die deutsche Energiewende in Österreich auswirkt, lässt sich noch an einer zweiten Zahl ablesen: an den Stromimporten. Erst im Februar importierte Österreich den Rekordwert von 6200 MW Strom – ein Großteil davon war deutscher Windstrom – und deckte damit zwei Drittel des Bedarfs. In Summe führte das Land im Vorjahr um 8 Terawattstunden mehr Strom ein als es exportierte. Auch das ist Rekord.

Der Windstrom „ist eine Bedrohung“, sagt Kaupa. „Verdreifacht Deutschland wie geplant seine Windkapazitäten, schwant mir nichts Gutes.“ Dann könne man nur darauf bauen, dass Polen und Tschechien tatsächlich ihre Netze von Deutschland abriegeln oder dass bis dahin ausreichend Leitungen gebaut sind.

Österreich werde auf jeden Fall keine neue Nord-Süd-Leitung bauen. „Deutschland muss seine Probleme allein lösen“, sagt Kaupa. Stattdessen will die APG hierzulande zwei Mrd. Euro investieren, um Leitungen und Umspannwerke zu bauen. Schließlich wird auch Österreich in den nächsten Jahren drei Mal so viel Windenergie produzieren wie heute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2012)

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