Alois Strasser: "Österreichs Banken sind schwach kapitalisiert"

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Alois Strasser, für Österreich zuständiger Analyst bei Standard & Poor's, stellt den heimischen Banken ein schlechtes Zeugnis aus. In einem "Stressfall" drohe die komplette Verstaatlichung des Bankensektors.

Die Presse: Im Jänner hat Standard & Poor's Österreich das Triple A entzogen. Sie sind Oberösterreicher und dafür verantwortlich. Wie fühlt man sich als Staatsfeind?

Alois Strasser: Solche Attacken sind verständlich, wenn eine Meinung ein schlechteres Ergebnis für den Empfänger bringt. Ich möchte aber betonen, dass dieses schlechtere Ergebnis immer noch das zweitbeste Rating von 22 möglichen für Österreich bedeutet.

Wurden Sie angefeindet?

Nicht wirklich. Früher haben die Leute das als einen Schönheitswettbewerb gesehen und nicht gewusst, wie so ein Rating funktioniert. Heute wissen sie, dass es sich um eine Beurteilung der Bonität handelt. Klar habe ich ab und zu unprofessionelle Nachrichten bekommen. In anderen Ländern ist das aber deutlich schlimmer als in Österreich.

Wo zum Beispiel?

Vor allem in Südeuropa. Dort hat es stärkere Anfeindungen gegen Kollegen gegeben.

Ihre größten Konkurrenten, Moody's und Fitch, haben Österreichs Triple A erst kürzlich bestätigt. Haben Sie übers Ziel hinausgeschossen?

Nein. Jede Agentur hat ihre eigenen Kriterien. Wir haben unsere Entscheidung dementsprechend getroffen.


Die Zinsen auf österreichische Anleihen befinden sich auf einem Rekordtief – auch ohne Triple A. Ist Ihr Rating für die Investoren überhaupt noch relevant?

Das Rating ist nicht der einzige Einflussfaktor. Einfluss hat etwa auch, ob bei den Geldgebern gerade großer Investitionsbedarf herrscht oder nicht. Zudem müssen Sie die Zinsdifferenzen beachten. Klar ist das Zinsniveau derzeit niedrig. Aber die Differenz zu Deutschland ist größer als zuvor. Hier sieht man sehr wohl Konsequenzen einer schlechteren Bonitätseinstufung Österreichs.

Hat sich Österreichs Regierung Ihren Warnschuss zu Herzen genommen?

Wenn eine Regierung Konsolidierungsmaßnahmen ergreift, ist das durchaus sinnvoll. Grundsätzlich sehe ich die aktuellen Bemühungen als einen Schritt in die richtige Richtung. Konkrete Einzelmaßnahmen kommentieren wir allerdings nicht.

Klingt ja ganz gut. Ist Österreich auf dem Weg zurück zum Triple A?

Zunächst muss man die Implementierung abwarten. Etwas zu beschließen ist etwas anderes, als es umzusetzen. Das gilt vor allem für die bereits einkalkulierte Finanztransaktionssteuer, aber auch für das Steuerabkommen mit der Schweiz. Ich glaube weiters, dass dies nicht das letzte Konsolidierungspaket war. Ich möchte aber betonen, dass der Hauptgrund für die Herabstufung nicht die Finanzpolitik der Republik war, sondern das politische Umfeld in Europa.

Hat sich das seit Jänner verbessert?

Die Probleme sind kurzfristig nicht zu lösen. Man muss die Länder, vor allem jene in der Peripherie, wieder auf einen Wachstumspfad bringen. Nur sparen allein wird nicht genügen. Da ist ein Zeithorizont von ein paar Jahren nötig.

Ist die böse Ratingagentur, die stets auf Einsparungen pocht, gar zum Keynesianer mutiert?

Wir sind weder Keynesianer noch Monetaristen noch können Sie uns in sonst irgendeine Kategorie stecken. Man muss aber dazu sagen: Wachstum kann nicht nur durch Geldausgeben gefördert werden. Man kann auch Strukturen verbessern und so Geld einsparen, ohne die Konjunktur abzuwürgen.

Sehen Sie Bemühungen, dass Strukturen in ihrem Fundament verbessert werden?

Man hat Strukturen bisher nur in Teilbereichen angegriffen, großflächige Änderungen habe ich noch keine gesehen. Das Problem in Europa ist nicht vom Tisch.

Als zweites großes Risiko für Österreich sah S&P im Jänner die Situation der Banken. Hat sich daran seither etwas geändert?

Der Bankensektor ist ein Risiko für den jeweiligen Staat. Wir schauen uns daher die Eigenkapitalsituation der Banken an und errechnen dann für einen Stressfall den notwendigen Kapitalbedarf. Der Stressfall ist in unserem Szenario eine Rezession in Höhe von sechs Prozent des BIPs, ein Einbruch des Aktienmarktes um 60 Prozent und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 15 Prozent. Dies ist sicherlich ein sehr krasser Stressfall. Wir halten es aber für notwendig, uns auch eine solche Situation anzusehen. Und in so einem Szenario würde das bestehende Eigenkapital der Banken vollständig vernichtet werden. Der Staat müsste daher rund 23 Prozent des BIPs (etwa 70 Mrd. Euro, Anm.) als neues Eigenkapital zuschießen.

Das heißt, bei einer neuerlichen Wirtschaftskrise, die im Ausmaß jene von 2008/09 noch etwas übertrifft, müssten alle österreichischen Banken komplett verstaatlicht werden.

Ja. In diesem Stresszenario würde es zu einer Rekapitalisierung durch den Staat kommen. Wir sagen aber nicht, dass dieser Stressfall eintreten wird oder vor der Tür steht. Wir sagen, dass es dieses Risiko gibt. Fakt ist, dass die österreichischen Banken im internationalen Vergleich schwach kapitalisiert sind. Sie sind bei der Kapitalisierung immer am unteren Ende gelegen. Und auch wenn jetzt Rekapitalisierungsmaßnahmen durchgeführt werden und Partizipationskapital in Eigenkapital umgewandelt wird, werden die österreichischen Banken nicht viel stärker sein. Sie werden dann halt vielleicht im unteren Mittelfeld liegen, aber auch das ist nicht besonders stark.

Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?

Wir gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch ist. Ansonsten würden die Ratings der Republik oder der Banken schon ganz anders aussehen. Wir wollen aber aufzeigen, dass hier ein Risiko vorhanden ist, auch wenn wir es nicht prozentuell benennen können.

Wegen Ihrer jüngsten Urteile sind S&P und die anderen beiden US-dominierten Agenturen immer wieder ins Schussfeld der Kritik gekommen. Die Politik wünschte sich daher eine europäische Ratingagentur. Die einzige ernst zu nehmende Initiative – jene von Roland Berger – droht zu scheitern. Freut Sie das?

Zuerst einmal zu der Aussage, dass wir eine US-Ratingagentur seien: Unser größtes Analystenteam für Länderratings ist in London. Und nahezu alle, die dort sitzen, sind Europäer. Die Geschäftsführung aus New York darf bei Komitee-Sitzungen der Analysten, in denen Ratings festgelegt werden, nicht einmal zuhören. Zu der europäischen Ratingagentur kann ich nur sagen, dass es schade ist, wenn sie nicht kommt. Wir sind für Meinungsvielfalt.

Ganz glauben können wir Ihnen die Freude über neue Konkurrenz nicht. Der Ratingmarkt ist heiß umkämpft. Viele Emissionen werden nur von einer Agentur bewertet. Und dabei gab es jüngst den Vorwurf von Fitch, wonach S&P einen Zuschlag der Credit Suisse erhalten habe, weil Sie in einer Art Rating-Vorschau die Aussicht auf eine bessere Bewertung gegeben haben. Sind Ratings käuflich?

Wir bewerten immer nach unseren Kriterien. Wenn Fitch nach anderen Kriterien bewertet, soll das so sein. Bei vielen Ratings sind wir wesentlich strenger als unsere Konkurrenten. Ein Rating wird zudem erst dann erstellt, wenn wir dazu den Auftrag haben. Allerdings gibt es natürlich auch andere Produkte – etwa ein Credit Assessment, sozusagen eine abgespeckte Version eines Ratings. Natürlich kann ein Auftraggeber bei mehreren Agenturen ein Rating oder ein Assessment in Auftrag geben und den endgültigen Ratingauftrag dann an jene Agentur vergeben, die seinen Vorstellungen am besten entspricht. Das ist durchaus üblich. Aber wir leben in einer freier Gesellschaft, wo jeder Auftraggeber entscheiden kann, mit wem er einen Vertrag abschließt.

Wäre es nicht transparenter, wenn nicht die Emittenten, sondern die

Investoren für das Rating zahlen würden?

Dann würde uns der Vorwurf gemacht werden, dass wir absichtlich zu schlecht bewerten würden, damit die Investoren weniger zahlen müssen. Zudem könnten uns die Emittenten dann wichtige interne Informationen vorenthalten. Beim jetzigen System sind sie verpflichtet, uns alle von uns gewünschten Informationen liefern.

Auf einen Blick

Alois Strasser ist bei Standard & Poor's für die Bonitätsbewertung Österreichs zuständig. Viel ist über den Analysten nicht bekannt. Aus Angst vor Anfeindungen müsse man „die Privatsphäre der Mitarbeiter schützen“, heißt es vonseiten der Agentur. Lediglich, dass Strasser aus Oberösterreich stammt, will man bestätigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2012)

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