Tourismus: Was blieb von der Sommerfrische?

Tourismus blieb Sommerfrische
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Zwischen Sisi-und-Franz-Nostalgie und Dirndl-Idyll etablieren sich mittlerweile neue Tourismusvisionen. Kongresse gewinnen an Bedeutung. Im Hotel Cortisen fühlen sich Gäste wohl, weil Kinder unerwünscht sind.

Wir haben natürlich auch WLAN“, sagt die Kellnerin im Café des Bad Ischler Kongresshauses. Ein paar ältere Semester sitzen bei Kuchen auf der Terrasse und genießen die Maisonne. Der Kurpark ist fast menschenleer. Als wollte er die Stille und Nostalgie mutwillig konterkarieren, packt ein Gast sein iPad aus. „Und der Code?“, fragt er. „Operette“, antwortet die Kellnerin beflissen.

Drüben in der Kaiservilla bittet die Fremdenführerin, die sich als Brigitte vorstellt, knapp zwei Dutzend Besucher, ihre Tickets vorzuweisen. Ehrfürchtig geleitet sie durch die „Räumlichkeiten“. Vorbei an 18.000 Trophäen, die Kaiser Franz Joseph „persönlich geschossen hat“. Hier Elisabeths Turnzimmer. Sie sage bewusst nicht „Sisi“, erklärt Brigitte, weil dieser Name zu sehr an die Romy-Schneider-Filme erinnere. Und natürlich sei die Gemahlin des Kaisers selbst auf Sommerfrische in Bad Ischl von ihren Kindern stets als „Durchlaucht“ angesprochen worden.

Auch im Büro von Tourismusdirektor Robert Herzog ist der Kaiser allgegenwärtig. In Form eines modernen Bildes an der Wand und in Gestalt einer Tafel Schokolade. Seit 13 Jahren ist der gebürtige Wiener hier im Salzkammergut bestrebt, die Gästenächtigungen wieder anzukurbeln. „Der beste Tourismus-Chef war aber natürlich der Kaiser“, scherzt Herzog. Unweit der Trinkhalle, in deren Obergeschoß sich das Büro des Tourismusdirektors befindet, liegt das Hotel zur Post. Der Namenszug prangt über dem in Schönbrunner-Gelb getünchten Gebäude. Hier hat alles begonnen. 1827 erbauten Franz und Magdalena Koch das erste Hotel des Salzkammerguts. Hier residierten die Mitglieder des europäischen Hochadels, führende Kriegsherren, Politiker wie Theodor Herzl stiegen ebenso ab wie der Bankier Lionel Nathan Rothschild.

Den Künstlern und Staatsmännern jener Zeit begegnet man noch heute auf Schritt und Tritt. Kaum ein Häuschen, an dem nicht eine Tafel an einen von ihnen erinnert. An der gegenüberliegenden Pfarrkirche gedenkt man des „großen Meisters der Tonkunst Anton Bruckner“. Im Café Ramsauer eines Stammgasts, nämlich des „großen Volksschauspielers Alexander Girardi“. Und in einem anderen Hause wohnte „Kammersänger Richard Tauber Freund und treuer Mitarbeiter Meister Lehárs“.

Die Frage, ob man zumindest Herzog heißen muss, um in der Kaiserstadt Bad Ischl einen so wichtigen Posten zu besetzen, wurde Robert Herzog bestimmt schon tausendmal gestellt. Und er kann darüber lachen. „Natürlich stehen Sisi und Franz hier über allem“, sagt er. Aber man sehe die Testimonials längst mit einem „Augenzwinkern“.

Von einem Augenzwinkern kann in der Kaiservilla keine Rede sein. Immerhin ist sie noch immer in Besitz der Familie Habsburg. Markus Habsburg-Lothringen lebt hier mit seiner Familie. „Gäbe es noch die Monarchie, trüge er den Titel Erzherzog“, berichtet Frau Brigitte, bevor sie die Gruppe an eine Vitrine führt, in der eine Lederhose ausgestellt ist, die der Kaiser zur Jagd trug. 45.000 Tiere wurden Franz Joseph im Laufe der Jahrzehnte vor die Flinte getrieben, erfährt man hier. Und: dass der Kaiser für einen Kaiser da noch verhältnismäßig tierlieb gewesen sei. Sein preußischer Kollege Wilhelm habe „120.000 Tiere erjagt“ berichtet Brigitte, die nach der Führung erzählt, dass ihre Familie seit Generationen bei den Habsburgern angestellt sei.

Boom in den 1970er-Jahren. 600.000 Nächtigungen zählte die Stadt an der Traun in den 1970er-Jahren. Im Sommer funktionierten die Ischler die Kinderzimmer in Fremdenzimmer um und bedienten die deutschen und österreichischen Gäste mit leistbaren Preisen und Bergromantik. Im Kurhaus waren die Hüttenabende zum Bersten voll. Braun gebrannte Burschen in Lederhosen lieferten schuhplattelnd Abend für Abend den Alpendodel ab, ernste Frauen im Dirndl sangen ländliche Weisen zur Zithermusik. „Fast 20 Prozent der Deutschen machten in den Siebzigerjahren Urlaub in Österreich“, sagt der Historiker Christian Maryška. Er ist Kurator der Ausstellung „Willkommen in Österreich“ in der Wiener Nationalbibliothek, die dieser Tage eröffnet hat. Die Schau widmet sich vor allem den Werbesujets im Tourismus von 1900 bis 1970. Was auffällt: Die Werbemotive sind in all den Jahren gleich geblieben. Grüne Almen, blaue Seen, idyllische Berge und Frauen im Dirndl. „Diese Sujets findet man in Plakaten des Jahres 1933 ebenso wie auf jenen für den Sommer 2012“, bemerkt Maryška. Sorgte das Dirndl-und-Lederhosen-Image 1973 noch für mehr als 76 Millionen Nächtigungen, waren es im Sommer 2006 nur noch 59 Millionen. In diesem Jahr wies die Statistik erstmals mehr Nächtigungen im Winter als im Sommer aus.


„No kids“ als Erfolgsrezept. Bis in die Neunzigerjahre hat sich in Bad Ischl die Zahl der Urlauber halbiert. Mit Kaiser und Blasmusik lockte man allenfalls betagte Bustouristen an. Sinnbildlich für den Niedergang des Tourismus: Das Hotel zur Post musste schließen. Es dient heute als Wohn- und Geschäftshaus. Geblieben sind Sisi und der Kaiser. „Eine schöne Landschaft gibt es anderswo auch“, sagt Herzog und verteidigt das Festhalten an den alten Maskottchen.

Und tatsächlich beeindruckt das Salzkammergut im Mai mit seiner atemberaubenden Schönheit. Der Weg von Ischl nach St. Wolfgang führt vorbei an bunten Blumenwiesen. Ab und zu weht ein kleines grünes Fähnchen im Wind. „Zimmer mit WC und Dusche“, ist zu lesen. Ab und zu auch „Zimmer mit TV-Gerät.“ „Irgendwann sind wir faul geworden“, sagt Roland Ballner. Der Hotelier in St. Wolfgang gesteht unumwunden ein, dass sich rund um die Seen des Salzkammerguts heute vor allem Rentner tummeln. „Dieses Problem haben wir, darunter leiden wir.“ Mit wir meint er die Region, nicht aber sein Hotel Cortisen. Das kleine, feine Designer-Hotel ist dieser Tage gut besucht. Es sind Pärchen mittleren Alters, die hier die gepflegte Atmosphäre genießen. Wer mag, kann sich Ballners Harley Davidson ausleihen und eine Runde um den See drehen. Die meisten genießen die Ruhe und Natur dieser Tage allerdings auf dem Mountainbike. Was man im Hotel Cortisen nicht findet, sind Kinder. „Ich war der Erste in Mitteleuropa“, sagt Ballner und schmunzelt. 2005 schaffte er es mit seiner Ansage „Kinder unter zwölf unerwünscht“ in die Schlagzeilen. Die Entrüstung war groß, der Werbewert noch größer. „Wir haben lustigerweise so viele junge Leute bei uns, die ihre Kinder ein paar Tage bei den Großeltern lassen“, erzählt Ballner. Er hat seine Nische gefunden. Trotzdem bekommt auch er das Imageproblem zu spüren. Etwa wenn ihm ein Münchner Paar gesteht, dass es zu Hause nie erzählen würde, dass es in St. Wolfgang Urlaub macht.

Was ist passiert? Während sich die Hoteliers im Salzkammergut und an den Kärntner Seen auf ihren Lorbeeren und vor allem ihrem Ersparten ausruhten, startete Werner Lang richtig durch. Mit Freude erinnert er sich an die Achtzigerjahre, als er den Reiseveranstalter Touropa leitete. „Das Unternehmen hatte in Österreich fast ein Monopol“, erzählt er. Gerade einmal 50.000 sogenannte Pauschaltouristen beförderte es 1970 per Flugzeug nach Mallorca oder die Costa Brava. Zehn Jahre später waren es doppelt so viel. Mitte der Neunzigerjahre flog eine Million Österreicher in den Süden. Als Leitfigur des Charterflug-Tourismus fungierte Niki Lauda mit seiner „Lauda Air“. „Sonderangebote gab es keine“, erzählt Walter Krahl. Wenn der Vertriebsleiter von Ruefa-Reisen von früher erzählt, bekommt man den Eindruck, als könne er es noch immer nicht fassen, was damals abging. „Von Jänner bis März haben sich regelrechte Menschenschlangen vor den Reisebüros gebildet“, erzählt er.

„Entscheidend für den Erfolg der Pauschalreisen waren die deutschsprachigen Reiseleiter in den Urlaubsorten“, weiß der frühere Touropa-Chef Lang. Denn die Ängste vor der Fremde waren groß. „Es ging so weit, dass Touristen immer dort gebucht haben, wo ihr Reiseleiter hinflog“, erinnert sich Lang.

Aber auch diese Ära ging jäh zu Ende. Touropa und Lauda Air sind längst Geschichte. Und die klassische Pauschalreise wurde von Billig-Airlines und Internetbuchungen abgelöst. Eine Million Österreicher, so schätzen Experten, buchen heute noch eine Pauschalreise. So viele waren es auch schon vor 20 Jahren.

Kongresse gewinnen an Bedeutung. Und im Salzkammergut? „Heute könnten wir das Hotel zur Post wieder gebrauchen“, sagt Tourismus-Direktor Robert Herzog. Die Zahl der Nächtigungen hat sich in Bad Ischl stabilisiert und liegt nun bei 380.000. Immer mehr an Bedeutung gewinne der Kongresstourismus. Deshalb sei die Stadt auch bestrebt, ein neues Viersternehotel zu bauen. „Und ob Sie mir's glauben oder nicht“, sagt Herzog. „Fast bei jedem Kongress werde ich gefragt, ob ich nicht unsere Sisi- und Franz-Doubles bereitstellen kann.“ Natürlich kann er.

Auch in St. Wolfgang zeugen Vodafone-Fahnen von einem Kongress. „Diese Kongresse sind wichtig, sie verlängern die Saison“, sagt Hotelier Ballner. Statt von Mai bis Oktober haben viele Hotels nun von März bis November geöffnet. Dann noch während des Advents. Wenn die Leute andernorts Ski fahren, liege St. Wolfgang im Winterschlaf. Drüben in Bad Ischl will Tourismusmanager Herzog den Winter nicht ganz abschreiben. Er setzt auf „Winterwärme“ als Pendant zur Sommerfrische. „Thermenurlaub boomt nach wie vor“, ist er überzeugt.

Der Himmel hat sich eingetrübt über Bad Ischl. Die Stadt macht ihr Mittagsschläfchen. Nur die Hochwasser führende Traun stört durch ihr monotones Rauschen die Ruhe auf der Esplanade. Ein paar Pensionisten sitzen im Garten der Konditorei Zauner. Entlang der Promenade wurden neue Bäume gepflanzt. Kaiser-Linden, was denn sonst?

Tourismus

Rückgang: Im Sommer ist die Zahl der Gäste zurückgegangen. Gab es 1973 mehr als 76 Millionen Nächtigungen, waren es 2011 nur noch 64 Millionen.

Werbemotive: Wie die Schau „Willkommen in Österreich“ in der Wiener Nationalbibliothek zeigt, sind die Werbemotive in den vergangenen Jahrzehnten gleich geblieben: grüne Almen, blaue See, idyllische Berge und Frauen im Dirndl.

Image: Das Problem ist, dass Österreich im Sommertourismus überhaupt kein Image mehr hat, sagt der Hamburger Zukunftsforscher Wippermann. Er schlägt vor, dass Österreich die Natur „richtig inszeniere“. Wichtig seien auch die „soziale Qualität“ und der „soziale Reichtum“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2012)

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