»Sommerurlaub in Österreich verbindet man mit Helmut Kohl«

Für den Hamburger Zukunftsforscher Peter Wippermann hat der österreichische Sommertourismus kein Imageproblem, sondern mittlerweile »überhaupt kein Image mehr«.

Warum verbringen immer weniger Deutsche ihren Sommerurlaub in Österreich?

Peter Wippermann: Weil man bei uns keine klare Vorstellung davon hat, was denn Sommer in Österreich bedeutet. Die Menschen haben eine ganz bestimmte Vorstellung, welche Art von Urlaub sie anstreben. Im Winter funktioniert das, da steht Österreich sehr gut da, steht für Fun und Piste. Aber im Sommer? In Deutschland verbindet man mit Sommerurlaub in Österreich noch immer Helmut Kohl.

Der den Sommerurlaub jedes Jahr in St. Gilgen am Wolfgangsee verbracht hat.

Genau, an einem mittelinteressanten See im Grünen.

Welches Image hat Sommerurlaub in Österreich bei deutschen Touristen?

Das Problem ist, dass Österreich im Sommer überhaupt kein Image mehr hat, zumindest kein klares.

Welche gezielten Vorstellungen hat der Tourist heute von seinem Urlaub?

Die einen möchten ganz konzentriert etwas erleben, die anderen wollen tatsächlich Abschied von der Vernetzung nehmen. Aber das muss auch wiederum sehr intensiv sein. Es genügt nicht mehr, sein Handy zu Hause zu lassen. Das muss ein bewusster Akt sein. Also Anti-Burn-out-Training und so. Diese Urlauber suchen nicht Entspannung, sondern Hochleistungsentspannung.

Faulsein allein ist zu wenig?

Man braucht zumindest einen Coach dafür. Mittlerweile ist ja auch das Schlafen nicht mehr selbstverständlich und fordert ein eigenes Know-how. Es gibt Premium-Angebote, bei denen Leute um sehr viel Geld nichts bekommen. Das nennt sich dann Entschlackung.

Das heißt, tatsächlich gelingt uns diese Auszeit vom Arbeitsalltag im Urlaub immer seltener oder gar nicht mehr.

Wer in dieser vernetzten Welt tatsächlich aussteigt, läuft Gefahr, in ein Loch zu fallen. Ohne Internetzugang fühlt man sich mittlerweile isoliert. In einer Hochleistungsgesellschaft, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr zerfließen, entstehen andere Urlaubsbedürfnisse.

Und zwar?

Etwa das Bedürfnis nach einer überidealisierten ländlichen Idylle. Schauen Sie sich nur das „LandLust“-Magazin an, das hat mittlerweile vermutlich eine höhere Auflage als der „Stern“ und besteht fast ausschließlich aus riesigen Bildern von schönen Blumen, malerischen Landschaft, Gärten und frischem Gemüse.

Aber davon hätten wir im Salzkammergut mehr als genug.

Ja, aber man muss die Natur auch richtig inszenieren. Beim Essen machen wirkt das ja auch. Wir sagen Slow Food dazu. Mittlerweile boomt der Veganismus derart, dass man glauben könnte, der Mensch stammt von den Kühen ab. Apropos Essen: Das ist ein Bereich, bei dem Österreich punkten kann. Das Essen ist hier viel besser als in Deutschland.

Aber konkret: Was muss man inszenieren, um die Bedürfnisse nach intakter Natur zu befriedigen?

In erster Linie das Hotel- und Übernachtungsangebot. Der Winter- und vor allem der Städtetourismus hat dies mittlerweile viel intensiver vorangetrieben. Aber auch im Sommer möchte niemand mehr in gebrauchten Ikea-Möbeln schlafen.

Das war deutlich. Welche Probleme und Vorurteile verbindet man in Deutschland noch mit Sommerurlaub in Österreich?

Die Anreise ist kompliziert. Von Berlin kommt man leichter nach Australien als nach Innsbruck. Da kann ich bis München fliegen und brauch dann vermutlich ein Mietauto oder muss auf die Bahn umsteigen.

Mit anderen Worten: Die Menschen sehnen sich nach der überidealisierten Idylle, aber nur, wenn gleich nebenan der Flughafen ist.

Ja, offenbar. Wir befinden uns in einer Art Romantik des Caspar David Friedrich. Die Romantik war ja eine Reaktion auf die Industrialisierung. Und jetzt haben die Menschen dieselben Sehnsüchte. Ich erinnere an eine kürzlich publizierte Wertewandel-Studie in Deutschland. Diese ergab, dass die Natur nicht mehr primär als schützenswert, sondern als sinnstiftend empfunden wird. Früher hat man die Bürde der Naturzerstörung wichtiger genommen.

Man hat die Natur vor dem Menschen in Schutz genommen.

Genau. Mittlerweile will der Mensch wieder Teil eines Ganzen sein. Da geht es um Spiritualität. In dem Moment, in dem man in der Natur ein Heilsempfinden hat, entrückt man der Wirklichkeit.

Es geht also um die Frage: Wie dramatisiert man die Natur für den Tourismus?

Wohin geht die Reise noch?

In Zukunft wird im Tourismus die soziale Qualität und der soziale Reichtum entscheidend sein. Mit welchen Leuten, welcher Community jemand den Urlaub verbringt.

Die soziale Abgrenzung findet also künftig nicht mehr allein über den Preis statt, sondern über Social Media?

Die Fluggesellschaft KLM hat bereits das „Social Seating“ eingeführt. Wer beim Einchecken sein Facebook-Profil verrät, erhält so den passenden Sitznachbarn. Es gibt auch schon Restaurants, in denen man sich auf diese Weise den genehmen Tischnachbarn aussucht.

Und das Ganze kommt nicht mehr so diskriminierend rüber, als wenn ein Hotelier „No kids“ oder „No granny“ postuliert.

Diese Hotels haben sich im Übrigen ganz gut etabliert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2012)

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