Androsch: "Vulgär-Keynesianismus ist nicht die Lösung"

(c) APA (ROLAND SCHLAGER)
  • Drucken

Der Industrielle Hannes Androsch im Interview über Wachstumsstrategien, die überschätzte Macht der Landeshauptleute, falsch verstandene Sozialpolitik und die drohende Bankenkrise bei einem Griechen-Bankrott.

Die Presse: Ihre Parteifreunde wollen jetzt europaweit den Fiskalpakt aufweichen und Geld in einen Wachstumspakt pumpen. Wie steht denn der Industrielle Hannes Androsch dazu?

Hannes Androsch: Natürlich brauchen wir den Fiskalpakt. Eine gemeinsame Währung benötigt ein Mindestmaß an gemeinsamer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das haben wir derzeit nicht. Überzogene Austerität hilft allerdings auch nicht. Wir brauchen auch Wachstum.

Und wie kommen wir zu diesem Wachstum?

Na sicher nicht auf die vulgärkeynesianistische Weise, wie das jetzt diskutiert wird.

Also keine neuen Schulden. Aber ohne Geld wird eine Wachstumsstrategie wohl nicht gehen.

Das Geld ist ja da, es wird nur falsch eingesetzt. Das Geld, das wir auf der einen Seite freizügig aus dem Rucksack hängen lassen, fehlt uns dort, wo es wirklich notwendig ist. Die Wirtschaftsforscher sagen, dass wir einen Einsparungsspielraum ohne soziale Kälte von 20 Milliarden Euro haben. Wenn wir da 40 Prozent in eine Wachstumsstrategie und 60 Prozent in die vernünftige Rückführung der Schuldenquote stecken, dann stehen wir in zehn Jahren gut da. Vernünftig wäre eine Staatsschuldenquote von 60 Prozent, jetzt stehen wir mit den ausgelagerten Schattenschulden aber bei gut 95 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Und Sie glauben, man kann die Schuldenquote in der derzeitigen Form des Föderalismus einfach so zurückführen?

Natürlich muss man die Fehlentwicklung des Länderzentralismus möglichst rasch beenden. Da haben wir die Situation, dass jeder der neun Landesfürsten praktisch ein Vetorecht hat. Das ist ja ärger als bei der UNO. Wir wissen, wo das Geld liegt, können aber aus föderalen und koalitionären Rücksichten nichts machen. So wird man Schiffbruch erleiden.

Es sieht aber nicht so aus, als würde die Regierung ihr Föderalismusproblem in den Griff kriegen.

Sie muss das tun. Vielleicht stellt sich dann auch heraus, dass Macht und Einfluss so manches Landesfürsten Ähnlichkeiten mit Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern haben. Was hat die Zögerlichkeit denn bisher gebracht, außer dass die Wählerzustimmung gesunken ist? SPÖ und ÖVP haben einmal bei 90 Prozent Wahlbeteiligung eine Zweidrittelmehrheit gehabt, jetzt bringen sie bei viel weniger Wahlbeteiligung nicht einmal mehr eine einfache Mehrheit zusammen. Die SPÖ ist schon unter 30 Prozent, und die ÖVP muss froh sein, wenn sie noch einen Zweier als erste Prozentzahl sieht. Die Rohdaten liegen ja bei elf Prozent. Zu Tode gefürchtet ist also auch gestorben.

Was läuft Ihrer Meinung nach denn besonders schief?

Wir leisten uns Verkrustungen im Bankensektor und im Arbeitsmarkt. Die temporäre Schließung des Arbeitsmarktes für Osteuropäer war beispielsweise ein schwerer Fehler. Und mit den Verkrustungen bei der Leihbeschäftigung schwächen wir die industrielle Basis des Landes. Wie groß das strukturelle Missverhältnis ist, sieht man beispielsweise daran, dass wir für 70.000 in Umschulung befindliche Arbeitslose 30.000 Euro pro Kopf ohne nennenswerten Erfolg ausgeben, für 300.000 Studenten aber nur 9000 Euro pro Kopf. Allein an diesen beiden Punkten kann man die Strukturschwäche in Österreich schon schön festmachen. Dabei haben wir zu wenig Mediziner, Naturwissenschaftler und Ingenieure. Dass das in Italien oder Frankreich noch ärger ist, ist ein schwacher Trost.

Das große Ausgabenwachstum erleben wir aber im Sozialbereich.

Ja, wir haben zu viele überzogene und missbrauchte soziale Ausgaben, die von jeder sozialen Treffsicherheit befreit sind. Da gibt es im öffentlichen Bereich nicht nachvollziehbare Frühpensionierungen, da werden in Wien oder Graz offenbar „E-Card-Urlaube“ stillschweigend akzeptiert, wobei man sich seinen Krankenstand schon für das nächste Jahr ausmacht. Das läuft der demokratischen Entwicklung frontal zuwider. Man belastet damit öffentliche Haushalte, deren Schieflage sich übrigens schon lange vor der Krise aufgebaut hat. Und eines muss man klar sagen: Man bekommt nicht mehr Wachstum durch weniger Arbeitszeit, frühere Pensionierung und pragmatisierte Jobs.

Ein altes Problem...

...um das ich schon als Finanzminister in den Siebzigerjahren erfolglos gestritten habe. Wir handeln halt nach dem Motto, wenn wir schon auf dem falschen Weg sind, dann gehen wir den beschleunigt weiter.

Das ist eben der Preis des Sozialstaats, sagt man uns.

Wir lassen Wohlstand und Beschäftigung liegen, das ist weder gerecht noch sozial. Das Gerede von der sozialen Kälte ist doch nur eine Schutzbehauptung. Missbrauch ist nicht soziale Wärme, Versäumnisse und Verhinderungen sind die wahre soziale Kälte gegenüber der Zukunft des Landes und seiner Jugend.

Die nächste große Belastung des Staatshaushalts steht wohl bevor, wenn Griechenland aus dem Euro ausscheidet.

Wenn man Griechenland über die Klinge springen lässt, dann kracht es ordentlich in der Bankenlandschaft, besonders in Frankreich und Deutschland. Unser Problem ist ja mehr Osteuropa. Für Griechenland ist ein Austritt samt mindestens dreißigprozentiger Währungsabwertung aber nicht die erwartete Wunderwaffe. Da muss man behutsam vorgehen: Wenn man eine unzulässige Beschleunigung akzeptiert hat, kann man jetzt nicht brutal auf die Bremse steigen.

Zur Person

Hannes Androsch (74) war von 1970 bis 1981 Finanzminister und Vizekanzler in der SPÖ-Alleinregierung Kreisky. Heute ist Androsch an mehreren Industrieunternehmen (unter anderem AT&S) beteiligt. Er ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender in der staatlichen Bankenbeteiligungsgesellschaft Fimbag und Initiator des Bildungsvolksbegehrens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.