Willkommen zur Märchenstunde

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Die Wirtschaftsbildung lässt zu wünschen übrig. So kann man den Leuten viel erzählen. Zum Beispiel, der Griechen-Schuldenschnitt sei "vom Tisch", während er schon läuft.

Neulich haben in einer repräsentativen Umfrage – kein Witz – stolze 14 Prozent der befragten Österreicher die Meinung vertreten, eines der größeren Probleme des Landes sei, dass der „Pfusch“ zu hoch besteuert werde. Kein Wunder, dass man den Österreichern bei so viel Wirtschaftsverständnis und -wissen so manches erzählen kann.

Zum Beispiel das: Der Schuldenschnitt für Griechenland sei nach dem jüngsten Maßnahmenpaket aus Zinsstundungen, Schuldenstreckungen und Anleiherückkäufen „vom Tisch“, sagte Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny. Und Finanzministerin Maria Fekter meinte, sie könnte einem Schuldenschnitt ohnehin nicht zustimmen. Das wäre ja „Amtsmissbrauch“.

Ja, eh. So wie der Bruch der Maastricht-Verträge durch praktisch alle Eurostaaten und andere Wunderlichkeiten der kurzen Eurogeschichte.

Das ist aber nicht der Punkt. Der ist vielmehr: Der Schuldenschnitt ist längst im Gange. Und Fekter hat ihm zugestimmt. Denn natürlich sind Zinsstundungen bis St. Nimmerlein und Anleiherückkäufe nichts anderes als Schuldennachlässe zulasten der Gläubiger. Und natürlich weiß jeder, auch Fekter und Nowotny, dass das noch immer nicht reichen wird, um die griechische Staatsschuld in tragbare Dimensionen zu bringen.

Warum also baut man dann in der öffentlichen Diskussion solche Märchengebilde auf? Weil man den Leuten ohnehin alles erzählen kann und sich die so oder so fälligen negativen Auswirkungen aufs Budget damit bis hinter den nächsten Wahltermin aufschieben lassen?

Im echten Wirtschaftsleben nennt man so etwas „Konkursverschleppung“, und das ist strafrechtlich höchst relevant. In der Politik beziehen die Akteure dann, wenn die Malaise sichtbar wird, meist längst ihre Privilegienpensionen und bleiben ungeschoren.

Österreich hat beim Sand-in-die-Augen-Streuen eine gewisse Tradition. Legendär etwa die Aussage des früheren Finanzministers und Vizekanzlers Josef Pröll, die (leider notwendige) Bankenrettung nach Ausbruch der Finanzkrise werde wegen der hereinkommenden Zinsen ein Bombengeschäft für den Staat werden. Unterdessen wissen wir ja, was ein „Bombengeschäft“ ist: Bisher steht das Bankenpaket netto (abzüglich eingenommener Zinsen) mit 2,4 Mrd. Euro im Minus. Und ein paar Milliarden an „Miesen“ werden wohl noch dazukommen.

Weil wir gerade bei den Banken sind: Heute noch erzählen uns Politiker und Banker gern die „Erfolgsstory“ Osteuropa. Nicht so gern sagen sie dazu, dass im Krisenjahr 2009 nur ein massives finanzielles Eingreifen (unter äußerst konstruktiver Mithilfe der heimischen Banken, das muss man schon sagen) des IWF und der EU-Finanzinstitutionen in die „Erfolgsstory“ Osteuropa verhindert hat, dass Österreich lange vor Griechenland der erste große Sanierungsfall in der Eurozone wird.

Die Öffentlichkeit kratzt das aber nicht. Die lässt sich lieber von Johanna „Her mit dem Zaster“ Mikl-Leitner erzählen, dass ein schwer verschuldetes Land, das mit seinen laufenden Einnahmen seit nunmehr 42 Jahren nicht mehr auskommt, plötzlich „Spielraum“ für eine unsinnige Erhöhung der Kfz-Pauschale um 100 Millionen Euro hat, weil durch sprudelnde Steuereinnahmen von aufgenommenen Krediten etwas „übrig bleibt“.

Bravo. Und keinen juckt es. Dass von neuen politischen Bewegungen frischer Wind kommt, ist leider nicht zu erwarten. Dazu hat der alte Frank beim Abgeordneten-Einkauf zu sehr gespart, wie der jüngste TV-Auftritt seines Klubchefs („Jedem Land sein eigener Euro“) bewiesen hat.

Bleibt nur an die Unterrichtsministerin zu appellieren, bei den angepeilten Reformen auch ein bisschen an Wirtschaftsbildung zu denken. Natürlich in der richtigen Prioritätenreihung. Vorrang hat, wie man an der laufenden Diskussion um die neue Sexualkundebroschüre des Ministeriums sieht, klarerweise die Herstellung gesellschaftlichen Konsenses in der Frage, wer wem wann wohin greifen darf. Aber wenn das geklärt ist, sollte man vielleicht daran denken: Mündige Staatsbürger brauchen heutzutage ein Mindestmaß an Wirtschaftswissen und -verständnis. Damit man ihnen, die den Spaß schließlich zahlen, nicht alles erzählen kann.

Übrigens, um die Eingangsfrage zu klären: Griechische Staatsanleihen notieren auf dem Markt derzeit so zwischen 15 und 40. Wenn man den Griechen den Rückkauf zum Marktwert ermöglicht, entspricht das einem Schuldenschnitt (vorerst auf Pump wieder einmal von Privaten, aber die Schur der Staatsgläubiger kommt schon noch) zwischen 60 und 85 Prozent. Oder irre ich mich da? Und was genau ist da jetzt „vom Tisch“?


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2012)

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